Rückblick: Mittwoch, 12.
September 2012 - später
Jetzt
also war der Moment gekommen: das erste Mal floss das Zellgift in ihren kleine
Körper. Ich sah wieder die kahlköpfigen, blassen, würgenden Kinder vor meinem
inneren Auge. Kamillentee, wo bist du? Aber jetzt gehörten wir zu einem Kreis,
zu dem wir nie gehören wollten. Wir hatten ein krebskrankes Kind. Hier der
Behandlungsplan in der Übersicht: Insgesamt hat Vianne fünf verschiedene
Chemotherapeutika bekommen, aufgeteilt in 5 Zyklen à 4 Blöcken. Im 1. Block
wurden Cyclophosphamid (an drei aufeinanderfolgenden Tagen, jeweils für 1
Stunde) und Vincristin (Tag 1, als Spritze) verabreicht, nach 2 Wochen folgten
im 2. Block Methotrexat (24-Std. Infusion, das Gegenmittel musste nach Stunde
42
verabreicht
werden) und Vincristin (Tag 1), nochmals zwei Wochen später im 3. Block wieder
Methotrexat und Vincristin und zwei Wochen später im 4. Block schließlich
Carboplatin (Tag 1-3, ca. einstündige Infusion) und Etoposid (Tag 1-3, ca.
halbstündige Infusion). Drei Wochen nach der letzten Gabe aus dem ersten
Zyklus folgt der zweite und wiederum drei Wochen später der dritte Zyklus.
Zyklus 4 und 5 sind anders aufgebaut. Dort fallen die beiden Methotrexat- und
Vincristin-Gaben in der Mitte weg, so dass zwischen der
Cyclophosphamid/
Vincristin-Gabe und der Carboplatin/Etoposid-Gabe drei Wochen Pause liegen. So
die Theorie. Laut Plan dauert die gesamte Chemotherapie 39 Wochen. Laut Plan…
Das
Cyclophosphamid wurde nun zum ersten Mal verabreicht, eine Stunde lief die
Infusion über den Broviak-Katheter. Dazu gab es am ersten Tag Vincristin,
welches zeitverzögert gespritzt wurde, damit man im Notfall sehen kann, auf
welches Medikament das Kind reagiert. Gruselig. Ich behielt Vianne die ganze
Zeit über im Auge. Ich weiß nicht, was ich erwartet habe, aber nicht das: es
tat sich nach außen hin gar nichts. Kein Weinen, keine Schweißausbrüche, keine
Müdigkeit, keine Übelkeit! Vianne wirkte wie immer, abgesehen von der
Broviak-Wunde. Mir war zwar klar, dass die Wirkung zeitverzögert eintreten
würde, doch ich
traute „dem Braten“ trotzdem nicht. Aber auch nach den nächsten Infusionen am
nächsten und übernächsten Tag zeigte Vianne keinerlei Symptome. Durch die
ständige Wässerung, an der sie angeschlossen war, musste sie nur häufiger auf’s
Töpfchen. Es war leichter das Töpfchen zu benutzen, als mit dem sperrigen und
schlecht rollenden Infusionswägelchen die Toilette aufzusuchen. Und wenn
Dreijährige müssen, dann müssen sie sofort. Na ja, wir haben es nicht immer
rechtzeitig geschafft. Aber wir wurden immer besser. Auch in der Nacht stand
ständiges Windelwechseln an, ansonsten gab’s eine Überschwemmung. Seltsam: Irgendwann
boten die Nachtschwestern an, das Windelwechseln zu übernehmen.
In
unserem Einzelzimmer fühlten wir uns einigermaßen wohl. Zuvor hatte ich
Schwester B. gefragt, ob wir ein Einzelzimmer haben. „Ja, sie sind mit Vianne
allein, aber das können wir nicht immer garantieren.“ „Ich kann nicht
in ein Mehrbettzimmer“, brachte ich mit kehliger Stimme zustande, während ich
merkte, wie mir die Tränen in die Augen schossen. In der Hinsicht bin ich echt
eine Mimose, ich brauchte die Zeit für meine Tochter und mich allein.
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