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15. Juni 2016

Broviak-Katheter



Rückblick: 12. September 2012

Am Dienstag fand das Narkosegespräch statt. Wieder wurden alle möglichen Risiken aufgeführt. Wir wussten aus erster Hand, dass bei diesem Eingriff schon einmal etwas dermaßen schief gelaufen war, weswegen wir noch nervöser waren. Ein kleiner Junge, der den gleichen Tumor wie Vianne hat, hatte allergisch auf das "Spülmittel" für den Broviak reagiert. Die Eltern hatten wir bereits von Kiel aus kontaktiert. Sie hatten uns angeboten, sie anzurufen, falls wir Fragen wegen der Erkrankung und der Behandlung hätten. Sehr lieb. Der Kontakt kam über Freunde von uns zustande, die wiederum mit Freunden dieser Familie in Verbindung stehen. Solche Tragödien sind umso schlimmer, wenn man ein Gesicht zu einem Namen hat. Aber wir wollten den "Teufel nicht an die Wand" malen und versuchten, den bevorstehenden Eingriff realistisch zu betrachten. Auch wollten wir Vianne nicht verunsichern, schließlich mussten wir sie vor jeder neuen Behandlung altersgemäß informieren und einbinden. Da noch viele MRT und Untersuchungen und eventuell auch Operationen anstanden, wollten wir sie sanft an alles heranführen und keinesfalls traumatisieren. Doch am nächsten Tag wurde uns gleich "ein Strich durch die Rechnung" gemacht. Dabei fing alles gut an. Beim Anästhesiegespräch am Vortag betonten wir, dass unsere Tochter in unserem Beisein einschlafen soll. Wir berichteten von unseren guten Erfahrungen mit der Kieler Uniklinik. Geplant war, Vianne über eine Maske in den Schlaf zu versetzen, bevor der Zugang gelegt wird. Wir wollten so lange dabei sein, bis sie wirklich schlief und nicht nur leicht benommen war. Die Anästhesistin beim Vorgespräch war sehr verständnisvoll und vermerkte unseren Wunsch auf dem Patientenbogen. Wir bekamen ein Einzelzimmer, irgendwann gab's den Schlafsaft (Dormicum), dieses Mal in etwas höherer Dosis, weil er beim ersten Mal kaum Wirkung gezeigt hatte. Vianne kuschelte sich in unsere Arme, wir lasen leise Geschichten vor und überlegten gemeinsam, was sie sich nach der Operation aussuchen darf. Schließlich kamen die Schwestern ins Zimmer und sagten: "So, wir können los." Wieder eine Vollnarkose, wieder ein Eingriff. Ich hatte Angst, und die Ungewissheit bezüglich der Anästhesie trug nicht gerade zu unserer Beruhigung bei. Dieses Mal mussten wir mit ihr nicht durch den Tunnel (Vianne fand ihn zum Glück toll), sondern nur ins Erdgeschoss der Kinderklinik. Die Türen zum OP-Bereich öffneten sich nach dem Klingeln. Gemeinsam mit der Schwester betrat ich den dahinter liegenden Flur. Sofort stürzte sich ein "Grünhemd" auf mich: "Was machen Sie hier? Sie dürfen hier nicht rein! Das ist ein steriler Bereich." "Ach ja, und wo ist die Schleuse? Und warum lief hier gerade schon ein Mann rein, um irgendwelche Wäschesäcke wegzuschleppen?
Und warum durfte die Stationsschwester, die Keime aus all den  Patientenzimmern an sich trug, bis hierher?“, fragte ich mich insgeheim. Die Anästhesistin schaute mich herausfordernd an. Zum Glück hatte ich Schwester D., eine meiner Lieblingsschwestern, an meiner Seite. Tapfer sagte sie: "Das war so abgesprochen, dass die Mutter mit rein darf." Mittlerweile kamen weitere Menschen in Grün auf mich zu. Es wurde unruhig. Natürlich spürte auch Vianne diese angespannte Stimmung - trotz Beruhigungssaft. "Ich habe gestern beim Vorgespräch deutlich gemacht, dass ich solange dabei sein möchte, bis meine Tochter eingeschlafen ist", sagte ich nach außen hin betont ruhig, obwohl ich innerlich gerade explodierte. "Das wurde auch so vermerkt", ergänzte ich. Worte wurden entgegengeschleudert. Eine wilde Diskussion drohte. So ginge das nicht, Emma (sie heißt Vianne!!! du dumme Pute) würde sowieso ganz schnell einschlafen, mit wem ich denn gesprochen hätte, und und und. Vianne fing an zu weinen. Am liebsten hätte ich sie mir geschnappt und wäre gegangen. Aber sie brauchte den Broviak, denn die Chemo sollte noch am selben Tag starten. "Ich diskutiere jetzt nicht hier mit Ihnen, während meine Tochter daneben liegt", beendete ich das Gespräch und schaute die Grünkittel kalt an. Ich gab meiner Maus einen Kuss auf die Stirn. "Gleich wirst du einschlafen, dann kannst du mit Yakari um die Wette reiten", sagte ich ganz sanft zur ihr und fuhr ihr durch die Haare. Wir hatten unserer Tochter nämlich gesagt, sie dürfe sich einen ganz bestimmten Traum aussuchen, den, den sie am allerliebsten mag. Sie hatte sich für den kleinen Indianerjungen, der mit den Tieren sprechen kann, entschieden. Eigentlich wollte ich sie mit diesen Bildern in den Schlaf gleiten lassen. Daraus wurde jetzt nichts. Dann wurde ich äußerst bestimmt durch die Tür bugsiert. Mein Mann wartete davor. Dann hörten wir Vianne weinen, laut, und keinesfalls kurz. Es zerriss mir das Herz. Mein Gott, sie war doch gerade einmal drei Jahre alt. Wut und Mitleid schnürten mir gleichermaßen die Kehle zu. Auch Schwester D. wirkte fassungslos und betroffen. Dann wurde es ruhig. Vianne war eingeschlafen.

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