Rückblick: 12. September
2012
Am
Dienstag fand das Narkosegespräch statt. Wieder wurden alle möglichen Risiken
aufgeführt. Wir wussten aus erster Hand, dass bei diesem Eingriff schon einmal
etwas dermaßen schief gelaufen war, weswegen wir noch nervöser waren. Ein
kleiner Junge, der den gleichen Tumor wie Vianne hat, hatte allergisch auf das "Spülmittel"
für den Broviak reagiert. Die Eltern hatten wir bereits von Kiel aus
kontaktiert. Sie hatten uns angeboten, sie anzurufen, falls wir Fragen wegen
der Erkrankung und der Behandlung hätten. Sehr lieb. Der Kontakt
kam über Freunde von uns zustande, die wiederum mit Freunden dieser Familie in
Verbindung stehen. Solche Tragödien sind umso schlimmer, wenn man ein Gesicht
zu einem Namen hat. Aber wir wollten den "Teufel nicht an die Wand"
malen und versuchten, den bevorstehenden Eingriff realistisch zu betrachten.
Auch wollten wir Vianne nicht verunsichern, schließlich mussten wir sie vor
jeder neuen Behandlung altersgemäß informieren und einbinden. Da noch viele MRT
und Untersuchungen und eventuell auch Operationen anstanden, wollten wir sie
sanft an alles heranführen und keinesfalls traumatisieren. Doch am nächsten Tag
wurde uns gleich "ein Strich durch die Rechnung" gemacht. Dabei fing
alles gut an. Beim Anästhesiegespräch am Vortag betonten wir, dass unsere
Tochter in unserem Beisein einschlafen soll. Wir berichteten von unseren guten
Erfahrungen mit der Kieler Uniklinik. Geplant war, Vianne über eine Maske in den
Schlaf zu versetzen, bevor der Zugang gelegt wird. Wir wollten so lange dabei
sein, bis sie wirklich schlief und nicht nur leicht benommen war. Die
Anästhesistin beim Vorgespräch war sehr verständnisvoll und vermerkte unseren
Wunsch auf dem Patientenbogen. Wir bekamen ein Einzelzimmer, irgendwann gab's
den Schlafsaft (Dormicum), dieses Mal in etwas höherer Dosis, weil er beim
ersten Mal kaum Wirkung gezeigt hatte. Vianne kuschelte sich in unsere Arme,
wir lasen leise Geschichten vor und überlegten gemeinsam, was sie sich nach der
Operation aussuchen darf. Schließlich kamen die Schwestern ins Zimmer und
sagten: "So, wir können los." Wieder eine Vollnarkose, wieder ein Eingriff.
Ich hatte Angst, und die Ungewissheit bezüglich der Anästhesie trug nicht
gerade zu unserer Beruhigung
bei. Dieses Mal mussten wir mit ihr nicht durch den Tunnel (Vianne fand ihn zum
Glück toll), sondern nur ins Erdgeschoss der Kinderklinik. Die Türen zum
OP-Bereich öffneten sich nach dem Klingeln. Gemeinsam mit der Schwester betrat
ich den dahinter liegenden Flur. Sofort stürzte sich ein "Grünhemd"
auf mich: "Was machen Sie hier? Sie dürfen hier nicht rein! Das ist ein
steriler Bereich." "Ach ja, und wo ist die Schleuse? Und warum lief
hier gerade schon ein Mann rein, um irgendwelche Wäschesäcke wegzuschleppen?
Und
warum durfte die Stationsschwester, die Keime aus all den Patientenzimmern an sich trug, bis hierher?“, fragte
ich mich insgeheim. Die Anästhesistin schaute mich herausfordernd an. Zum Glück
hatte ich Schwester D.,
eine meiner Lieblingsschwestern, an meiner Seite. Tapfer sagte sie: "Das
war so abgesprochen, dass die Mutter mit rein darf." Mittlerweile kamen
weitere Menschen in Grün auf mich zu. Es wurde unruhig. Natürlich spürte auch
Vianne diese angespannte Stimmung - trotz Beruhigungssaft. "Ich habe
gestern beim Vorgespräch
deutlich gemacht, dass ich solange dabei sein möchte, bis meine Tochter
eingeschlafen ist", sagte ich nach außen hin betont ruhig, obwohl ich
innerlich gerade explodierte. "Das wurde auch so vermerkt", ergänzte
ich. Worte wurden entgegengeschleudert. Eine wilde Diskussion drohte. So ginge
das nicht, Emma (sie heißt Vianne!!! du dumme Pute) würde sowieso ganz schnell
einschlafen, mit wem ich denn gesprochen hätte, und und und. Vianne fing an zu
weinen. Am liebsten hätte ich sie mir geschnappt und wäre gegangen. Aber sie
brauchte den Broviak, denn die Chemo sollte noch am selben Tag starten.
"Ich diskutiere jetzt nicht hier mit Ihnen, während meine Tochter daneben
liegt", beendete ich das Gespräch und schaute die Grünkittel kalt an. Ich
gab meiner Maus einen Kuss auf die Stirn. "Gleich wirst du einschlafen,
dann kannst du
mit Yakari um die Wette reiten", sagte ich ganz sanft zur ihr und fuhr ihr
durch die Haare. Wir hatten unserer Tochter nämlich gesagt, sie dürfe sich
einen ganz bestimmten Traum aussuchen, den, den sie am allerliebsten mag. Sie
hatte sich für den kleinen Indianerjungen, der mit den Tieren sprechen kann, entschieden.
Eigentlich wollte ich sie mit diesen Bildern in den Schlaf gleiten lassen.
Daraus wurde jetzt nichts. Dann wurde ich äußerst bestimmt durch die Tür
bugsiert. Mein Mann wartete davor. Dann hörten wir Vianne weinen, laut, und
keinesfalls kurz. Es zerriss mir das Herz. Mein Gott, sie war doch gerade
einmal drei Jahre alt. Wut und Mitleid schnürten mir gleichermaßen die Kehle
zu. Auch Schwester D. wirkte fassungslos und betroffen. Dann wurde es ruhig.
Vianne war eingeschlafen.
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