Rückblick: Die nächsten
drei Tage
Bereits
am nächsten Tag kam die Krankengymnastin und begann mit den ersten Übungen. Daniela
eroberte Viannes Herz im Sturm. Sie brachte ein Steckspiel aus Holz mit, sie
machte ein Lauf- und Treppentraining mit Vianne. Das Rollbrett, mit dem unser
Wirbelwind den Krankenhausflur rauf und runter rollte, war das Highlight. Andi,
Ralf und die Kinder kamen täglich. Während unser Ältester kaum wusste, wie er
sich Vianne nähern sollte, hatte Ada gar keine Berührungsängste. Sie ging ganz
unbefangen mit ihrer Schwester um, welch ein Segen. Das hatte andererseits zur
Folge, dass sie auch null Rücksicht nahm. Im Spielzimmer
entbrannte
irgendwann ein Streit zwischen den Zwillingen. Beide wollten den gelben
Bauklotz haben. Ada konnte ihn erobern - und haute ihn Vianne mit voller Wucht
auf den Kopf, genau auf die Naht. Mein Herz blieb für einen Moment stehen.
Vianne schrie lauthals auf, ich brüllte Ada an und schließlich heulten wir alle
gemeinsam. Zum Glück war nichts passiert, Prof. N versicherte mir, dass die
Stelle nicht so instabil sei wie man vielleicht meinen würde. Er hätte mal einen
Patienten gehabt, der genau an der Stelle auf den Kopf gefallen sei, an der der
Knochendeckel wieder eingesetzt worden war. Der Knochendeckel sei dann nicht an
den Bruchstellen gebrochen, sondern mittig durch. Ich hatte Ada gegenüber ein
schlechtes Gewissen und nahm sie erst einmal ganz fest in den Arm. Sie war doch
auch noch so klein.
Die
Schulferien neigten sich in NRW dem Ende entgegen. Wir beschlossen, dass Andi
und Ralf mit Luke, Ada und Jesse zu uns nach Hause fahren sollten. Wir wollten
nachkommen, sobald Vianne entlassen werden konnte. Der Abschied fiel schwer.
Die
Sonne lachte weiterhin vom Himmel, wir wollten an die frische Luft. Die Ärzte
hatten keine Einwände. Wir bekamen einen Rollstuhl für die Maus, weil sie noch
nicht weit laufen konnte. Obwohl die Umstände so blöd waren, gefiel uns das
Uniklinikgelände. Eine Eisbude lachte uns an, und in den aufgestellten Strandkörben
genoss unsere Tochter unzählige Vanille-, Erdbeer- und Schokokugeln. Vianne
durfte in diesen Tagen alles. Zudem lag die Klinik unweit der Kieler Voerde.
Die Promenade war voller Menschen. Radfahrer und Jogger kamen uns entgegen,
diverse Fischbuden lockten und zahlreiche Restaurants luden zum Verweilen ein.
Segler und Ruderer waren unterwegs, und ab und an legte eine große Fähre oder
ein Kreuzfahrtschiff an. Es hatte fast etwas von Urlaub - wäre nicht unsere
Tochter mit dem verbundenen Köpfchen im Rollstuhl gewesen.
Interessant war, wie uns die Entgegenkommenden beäugten, teils mitleidig oder
mitfühlend, teils neutral. Und dann gab es noch diejenigen, die krampfhaft
versuchten, in eine andere Richtung zu schauen. Ich war nur froh, dass Vianne
nicht für immer in diesem Rollstuhl sitzen musste. Aber ich konnte das
Verhalten der Menschen gut nachvollziehen. Auch ich wusste früher nicht (und
weiß es auch heute manchmal noch nicht), ob und wie und wohin ich schauen soll,
wenn mir ein Mensch mit einer offensichtlichen Einschränkung entgegenkommt.
Vianne selbst fand ihren rollenden Sessel super.
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