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14. Juni 2016

Kieler Voerde



Rückblick: Die nächsten drei Tage


Bereits am nächsten Tag kam die Krankengymnastin und begann mit den ersten Übungen. Daniela eroberte Viannes Herz im Sturm. Sie brachte ein Steckspiel aus Holz mit, sie machte ein Lauf- und Treppentraining mit Vianne. Das Rollbrett, mit dem unser Wirbelwind den Krankenhausflur rauf und runter rollte, war das Highlight. Andi, Ralf und die Kinder kamen täglich. Während unser Ältester kaum wusste, wie er sich Vianne nähern sollte, hatte Ada gar keine Berührungsängste. Sie ging ganz unbefangen mit ihrer Schwester um, welch ein Segen. Das hatte andererseits zur Folge, dass sie auch null Rücksicht nahm. Im Spielzimmer

entbrannte irgendwann ein Streit zwischen den Zwillingen. Beide wollten den gelben Bauklotz haben. Ada konnte ihn erobern - und haute ihn Vianne mit voller Wucht auf den Kopf, genau auf die Naht. Mein Herz blieb für einen Moment stehen. Vianne schrie lauthals auf, ich brüllte Ada an und schließlich heulten wir alle gemeinsam. Zum Glück war nichts passiert, Prof. N versicherte mir, dass die Stelle nicht so instabil sei wie man vielleicht meinen würde. Er hätte mal einen Patienten gehabt, der genau an der Stelle auf den Kopf gefallen sei, an der der Knochendeckel wieder eingesetzt worden war. Der Knochendeckel sei dann nicht an den Bruchstellen gebrochen, sondern mittig durch. Ich hatte Ada gegenüber ein schlechtes Gewissen und nahm sie erst einmal ganz fest in den Arm. Sie war doch auch noch so klein.

Die Schulferien neigten sich in NRW dem Ende entgegen. Wir beschlossen, dass Andi und Ralf mit Luke, Ada und Jesse zu uns nach Hause fahren sollten. Wir wollten nachkommen, sobald Vianne entlassen werden konnte.  Der Abschied fiel schwer.

Die Sonne lachte weiterhin vom Himmel, wir wollten an die frische Luft. Die Ärzte hatten keine Einwände. Wir bekamen einen Rollstuhl für die Maus, weil sie noch nicht weit laufen konnte. Obwohl die Umstände so blöd waren, gefiel uns das Uniklinikgelände. Eine Eisbude lachte uns an, und in den aufgestellten Strandkörben genoss unsere Tochter unzählige Vanille-, Erdbeer- und Schokokugeln. Vianne durfte in diesen Tagen alles. Zudem lag die Klinik unweit der Kieler Voerde. Die Promenade war voller Menschen. Radfahrer und Jogger kamen uns entgegen, diverse Fischbuden lockten und zahlreiche Restaurants luden zum Verweilen ein. Segler und Ruderer waren unterwegs, und ab und an legte eine große Fähre oder ein Kreuzfahrtschiff an. Es hatte fast etwas von Urlaub - wäre nicht unsere Tochter mit dem verbundenen Köpfchen im Rollstuhl gewesen. Interessant war, wie uns die Entgegenkommenden beäugten, teils mitleidig oder mitfühlend, teils neutral. Und dann gab es noch diejenigen, die krampfhaft versuchten, in eine andere Richtung zu schauen. Ich war nur froh, dass Vianne nicht für immer in diesem Rollstuhl sitzen musste. Aber ich konnte das Verhalten der Menschen gut nachvollziehen. Auch ich wusste früher nicht (und weiß es auch heute manchmal noch nicht), ob und wie und wohin ich schauen soll, wenn mir ein Mensch mit einer offensichtlichen Einschränkung entgegenkommt. Vianne selbst fand ihren rollenden Sessel super. 
 





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