Rückblick: 30. Oktober 2012
Vor
diesem Tag haben wir immer besonders Angst - die MRT-Kontrolle. Wieder eine
Kurznarkose, wieder sechs Stunden kein Essen, wieder in die "Röhre",
wie Vianne mittlerweile wie ein alter Profi zu sagen pflegt. Am Abend zuvor
bekamen wir mitgeteilt, wann sie am nächsten Tag an der Reihe ist. Ja, wir
verbrachten viel Zeit im Krankenhaus, wenn nicht stationär, dann ambulant zum
"Fingerpiks", zur neurologischen Kontrolle, zum Spülen des
Broviak-Katheters (damit er sich nicht zusetzt), zum EEG, zur augenärztlichen
Untersuchung, zum Hörtest,... Wir mussten uns also endlich mit dem Krankenhaus
arrangieren. Wir lernten immer mehr Eltern und Kinder auf Station kennen. Da war
der kleine D. aus der Ukraine, der mit seiner Oma die Therapie über sich
ergehen ließ, da war die sechsjährige D. mit ihrer Mutter, die schon das 2. Mal
wegen einer Leukämie behandelt wurde. Der kleine B. war so aufgeschwemmt vom
Cortison, dass kaum Gesichtszüge zu erkennen waren. Mit A. und seiner Mama
konnten wir uns nur mit Händen und Füßen verständigen, denn sie kamen aus
Armenien und sprachen leider weder deutsch noch englisch - und wir kein
armenisch. Und dann gab
es da noch Lilli und ihre Mama, über die wir uns immer besonders freuten.
Gemeinsam klebten Lilli und Vianne Sticker auf, und ich trank mit Lillis Mama
etliche Krankenhaus-Kaffee zusammen, vom ersten Moment an fand ich sie super
sympathisch. Es entwickelte sich ein Paralleluniversum zu der Welt dort draußen,
und auch hier kehrte Alltag ein. Dienstags kamen immer die Clowns, zwischen 10
und 12 war jeden Tag Visite, freitags war der Chefarzt mit dabei. Ich habe es
mir nie vorstellen können - aber das war jetzt unser Leben, und das war auch okay
so, denn für Vianne schien es in Ordnung zu sein. An den MRT-Terminen
- an diesem Tag machten wir den Anfang - bekam sie immer ein Lillifee-Heft und anschließend
wurden im Kiosk gegenüber unzählige Süßigkeiten gekauft - aus Sicht einer
Dreijährigen kein schlechter Deal.
Vianne
sollte wieder das Dormicum, den Beruhigungssaft, nehmen. Eine kleine Tortur,
denn das Zeug schmeckt sehr bitter, sogar mit Saft verdünnt. Mit Engelszungen
überredete ich sie schließlich zur Einnahme. Eine halbe Stunde dauert es ungefähr,
bis der Saft seine Wirkung entfaltet. Dann konnten wir hinüber
ins Hauptgebäude. Im Vorraum zum MRT stöpselten die Anästhesisten schließlich
einen der beiden Broviakschenkel für das Narkosemittel an. Während die Ärzte
auf Station äußerst penibel mit dem Zugang umgehen und alles immer steril
verpacken, damit möglichst keine Keime eindringen, fassten die Anästhesisten
die Verbindungsstelle mit bloßen Händen an. Na, super. Man habe einfach
unterschiedliche Auffassungen, erklärte man uns. Mir war nicht wohl dabei,
einen verunreinigten Katheter konnten wir nicht auch noch gebrauchen. Vianne
schlief sanft in unserem Beisein ein. Ich erzählte ihr dabei von Lillifee und ihrem
Einhorn Rosalie, wie sie am See wunderschöne leuchtende Lampions für das große
Frühlingsfest aufhängen. Geschafft! Dann hieß es wieder warten, vor dem
MRT-Raum, auf den Stühlen. Dort hielten wir es nicht
lange aus. Micha war zum Glück bei mir. Er ging zwar morgens erst ins Büro,
sobald aber der Beruhigungssaft verabreicht wurde, rief ich ihn an und er kam
schnell vorbei. So musste er sich nicht immer einen Tag Urlaub nehmen, denn wir
mussten gut mit diesen Tagen haushalten. Wir tigerten zum Kiosk und holten
uns einen Latte Macchiato. Zurück in den Wartebereich. Ein Blick zur Uhr.
Bereits 40 Minuten um, warum dauerte es - verdammt noch mal - so lange? Hatten
sie was entdeckt? Schnell zum Wasserspender, etwas trinken, hatte keine Spucke
mehr im Mund. Die Tür zum MRT-Raum ging auf. Wie guckten die Ärzte? Was sagte
uns ihr Blick? Natürlich nichts - Ergebnisse gibt es erst morgen. Vianne
schlief noch tief und fest. Durch den dunklen, engen Tunnel fuhren wir zurück
auf die Kinderstation. Herz und Atmung wurden weiter überwacht.
Vianne nennt das Messgerät an ihrem Finger immer den Leuchtfinger - sie mag ihn
nicht. Micha und ich waren erst einmal froh, dass sie das MRT überstanden
hatte. Wir ließen sie danach lange ausschlafen. Wird sie zu früh wach, ist sie
sehr knatschig. Und dann aß sie.
Auszug
aus dem Krankenhaus-Bericht: "Am 30.10.2012 erfolgte erstmals eine
radiologische Verlaufskontrolle mittels MRT des Schädels. Dieses zeigte
erfreulicher Weise keinen Anhalt für ein Rezidiv der Grunderkrankung, sodass
wir nach einer ausreichenden hämatologischen Rekonstitution mit dem zweiten Therapiezyklus
beginnen werden."
Kein
neuer Tumor!
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