Rückblick: September 2012
Es
war schön und seltsam zugleich, wieder zu Hause zu sein. Obwohl unser Zuhause
das übliche Vertrauen ausstrahlte, fehlte etwas. Der Alltag war fort. Wir
befanden uns nach wie vor im Ausnahmezustand. Irgendwie hatte ich gehofft,
alles Böse in Kiel zurücklassen zu können. Viel Zeit zum Durchatmen und somit
auch zum Grübeln gab es zum Glück nicht. Bereits am nächsten Tag hatten wir
einen Termin mit den Dortmunder Onkologen, einen Tag später mit dem Essener
Team. Meine Eltern kamen zu uns, um auf die Kinder aufzupassen. Es tat so gut,
sie wiederzusehen, aber es war auch schwer, ihren Schmerz in den Augen zu
erkennen. Spät am Abend arbeitete ich noch eine Liste aus, mit Punkten, die ich
abfragen wollte. Schließlich stand uns ein Dreivierteljahr Chemotherapie bevor
(falls wir uns dafür entscheiden sollten), und in dieser Zeit wollten wir die
fähigsten und nettesten Ärzte für unsere Tochter und für uns. Konnten wir für
die stationären Zeiten ein Einzelzimmer bekommen? Wie viele Kinder mit
Hirntumor hatten sie schon behandelt? Müssten wir uns auf ständig wechselnde
Ärzte einstellen, oder hätte unsere Tochter vertraute Gesichter um sich? Um wie
viele kleine Patienten kümmern sich die Schwestern und Pfleger? Ist eine
Chemotherapie wirklich sinnvoll bei dieser Art von Tumor? Gibt es begleitende
Maßnahmen wie Kunst- oder Musiktherapie, eine Spielecke, Psychologen? Dürfen
wir mit unserer Tochter auch im Zelltief (wenn sie nur ganz wenig Abwehrkräfte
hat) nach Hause? Ist auch nachts immer ein Onkologe auf Station? Wann sollen
wir mit der Behandlung starten? Fragen über Fragen.
Am
nächsten Morgen fuhren wir zur Dortmunder Kinderklinik. Bereits von Kiel aus
hatte ich mit dem Onkologen telefoniert. Das Telefonat verlief sehr erfreulich,
der Arzt war mir bereits am Telefon sympathisch. Aber irgendwie kam mir das
Ganze ein wenig wie ein Werbegespräch für die Dortmunder Klinik vor. Egal, ist
ja legitim und verständlich. Ich war sehr neugierig, was uns vor Ort erwarten
würde. Von außen gefiel mir das Klinikum schon. Es war nicht zu groß, es gab
Balkone, die zum Garten und zum Spielplatz lagen. Wir meldeten uns beim Empfang
an und wurden in die 1. Etage geschickt. Eine Sekretärin geleitete uns den Gang
hinunter in das Büro des Klinikleiters. Auf dem Weg dorthin hingen mehrere Fotografien
eines kleinen, kahlköpfigen Mädchens an der Wand, wunderschön und erschreckend
zugleich. Dieses Mädchen hatte Krebs - eindeutig. Und trotzdem waren die Fotos ansprechend,
voller Leben, ästhetisch. Damals konnte ich das noch nicht erkennen, ich sah
nur das kranke, kahlköpfige Kind, meine Angst vor Viannes Zukunft versperrte mir
den Blick auf die eigentliche Aussage: diese Lebensfreude, diese Kraft, dieses
Vertrauen.
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