Rückblick: Mitte September
2012
Am
nächsten Tag setzte ich unsere beiden Mäuse in den Fahrradanhänger und wir
drehten eine kleine Runde an der Ruhr entlang, machten am Wasser Pause und
ließen uns von der Herbstsonne verwöhnen. Wir nutzten Stöcke als Angeln und
versuchten, winzig kleine Fische aus der Ruhr zu fischen.
Alltägliche Dinge
wurden plötzlich zu etwas Besonderem. Schon in Kiel hatten wir gemeinsam mit
Vianne eine Liste von Dingen erstellt, die sie gerne unternehmen und erleben
will: durch Pfützen hüpfen, Schiff fahren, ein Plüschreh kaufen, reiten gehen,
im Schwimmbad planschen, wieder den Kindergarten besuchen - was für kleine
kindliche Wünsche. Wir versuchten so viel wie möglich in die Tat umzusetzen.
Die nächsten Tage waren erst einmal mit Krankengymnastik und Kontrollterminen
in der Kinderklinik ausgefüllt. Aber diese Termine gaben mir Sicherheit. Ich
konnte etwas tun. Ich konnte dieses Scheißding in ihrem Kopf bekämpfen. Jeden Abend vor dem Einschlafen legte ich meine Hand auf ihren Kopf und stellte mir vor, wie all meine Kraft in sie floss.
Mit
dem Zauberwirbel, ein Strudel aus allen Farben des Regenbogens, wollte ich jede
kleinste entartete Zelle hinwegfegen. Wir hatten anderthalb Wochen, bevor wir
mit Vianne wieder stationär ins Krankenhaus mussten. Welch kostbare Zeit.
Dieses Mal sollten wir voraussichtlich fünf Tage bleiben, da beim MTX
vorgewässert wird, um die Nieren möglichst zu schützen. Also erschienen wir
nicht erst Mittwochmorgen in der Klinik, sondern bereits am Dienstagmittag.
Zuvor machten Vianne und ich einen „Mädelsausflug“ in die Dortmunder City. Wir trieben
uns Ewigkeiten im Spielzeugladen herum, tranken bei Star Bucks Karamell-Kaffee
und heiße Schokolade
und alberten und kicherten so laut, dass uns die Leute anschauten. „Hey, sie
darf das, sie lebt," wollte ich ihnen am liebsten entgegenschleudern.
Danach
schauten wir uns Kleidchen an, kauften süße Ski-Handschuhe, die noch zwei
Nummern zu groß waren und dinierten mittags in einem schicken Restaurant. Auf
das Krankenhausessen hatten wir beide keine Lust. Zum Glück konnten wir wieder
auf meine Familie zurückgreifen. Micha und ich teilten uns die Krankenhausbetreuung
auf. Am Freitag-Nachmittag wollte er mich ablösen, damit Vianne ihn zu Gesicht bekommt
(und die übrigen Kinder mich). Zwischendurch kam Micha nach der Arbeit immer
kurz zu Besuch und brachte jedes Mal eine kleine Überraschung mit. Unsere Zeit
der Lillefee-Hefte begann. Auf der Station deckten wir uns mit Spielzeug aus
der „Spiele-Oase“ des Krankenhauses ein.
Vianne fand es gut. Es schien sie nicht groß zu stören, wieder mit mir ins
Krankenhaus zu fahren. Was für ein Segen, dass sie noch so klein war und ihr
das Verständnis für diese lebensbedrohliche Erkrankung fehlte. Sie machte sich
keine Sorgen um die Zukunft, denn den Begriff Zukunft gab es in ihrem
kindlichen Denken noch nicht. Nur das Hier und Jetzt zählte - bewundernswert.
Das Krankenhaus hatte auch etwas Abwechslung zu bieten. Am Dienstag kamen immer
die Clowns auf Station, an anderen Tagen waren die Kunst- oder die
Musiktherapeutin da und vormittags sorgte die Erzieherin für Unterhaltung. Ab
und zu unterhielt ich mich in der Stationsküche mit anderen Eltern, aber es war
niemand dabei, auf den ich mich näher einlassen mochte. Irgendwie gingen die Tage
wieder schnell rum. Denn Vianne hielt uns gut auf Trab mit Vorlesen, spielen,
kitzeln. Es ging ihr weiterhin gut. Das Methotrexat (MTX) ist dafür bekannt,
dass es die Schleimhäute angreift. Die Ärzte hatten uns darauf vorbereitet.
Aber Viannes Mundschleimhaut scheint äußerst zäh zu sein - sie hatte keine größeren
Probleme und aß ohne Schmerzen, zwar nicht so gut wie zuhause, aber sie aß. Sie
brauchte alle Kräfte für die langwierige Therapie.
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