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14. Juni 2016

Warten, bangen, hoffen



Rückblick: Freitag, 17. August 2012, früher Abend


Wir traten hinaus ins Sonnenlicht, wanderten ziellos über das Klinikgelände. Die Sonne lachte, und unserer kleinen Tochter wurde gerade die Schädeldecke aufgebohrt. Das einzig Gute am Sonnenschein war, dass Micha und ich Sonnenbrillen tragen konnten, denn wir wollten nicht ganz Kiel unsere verquollenen Augen und unsere Verzweiflung zeigen. Wir verließen das Klinikgelände, weil wir raus mussten, aber zugleich wollten wir uns auch nicht zu weit entfernen, falls irgendetwas sein sollte. Wir hatten dem Ärzteteam unsere

Handynummern dagelassen und sie hatten versprochen, sich zu melden, wenn die Operation beendet sei. Wie wir diese circa fünf Stunden des Wartens, Bangens und Ausharrens herum bekommen haben, weiß ich nicht mehr im Detail. Wir wechselten nur wenige Worte, mehr war auch gar nicht nötig, denn wir wussten, wie es im jeweils anderen aussah. Wir kehrten in unser Krankenzimmer zurück, Micha spielte Sudoku, ich las ein Buch, an dessen Titel ich mich nicht einmal mehr erinnern kann. Ich wanderte im Zimmer auf und ab, kuschelte mich an Micha, wanderte wieder auf und ab. In unserem  Krankenzimmer stand die Welt still, während sich vor unserem Fenster alles weiterdrehte. Ich beobachtete Leute, die fröhlich schwatzend oder in Fachgespräche vertieft über das Klinikgelände schlenderten. Wie konnte alles so normal wirken, während sich unsere Welt auf den Kopf stellte? Ich erwartete noch immer, jeden Moment aufzuwachen. Als eines unserer Telefone klingelte, schafften wir es kaum, auf den richtigen Knopf zu drücken. Unser Neurochirurg war dran. Die Operation sei gut verlaufen, wir könnten jetzt zu ihr kommen. Wir rannten Richtung Aufwachraum. Da lag sie, unsere kleine Tochter. Auf den ersten Blick wirkte alles gut: sie wurde nicht mehr beatmet, und sie hatte einen relativ kleinen Verband um den Kopf. Ich hatte gedacht, der gesamte Kopf wäre mit einem riesigen weißen „Turban“ umwickelt. Aber nein, nur ihre linke Kopfseite war bandagiert. Die vom Jod rot gefärbten Haare stachen scharf hervor. Sie sah friedlich aus, trotz der vielen piepsenden Geräte, mit denen sie verkabelt war. Als wir den Aufwachraum betraten, hatte Prof. N ihre Hand gehalten. Er sah in diesem Moment sehr alt aus, hatte tiefe Ringe unter den Augen. Irgendjemand erzählte mir im Nachhinein, er wäre erst gegangen, nachdem Vianne seinen Händedruck mit ihrer rechten Hand zart erwidert hatte. Es schien fast, als wäre er etwas betrübt, als hätte er mehr Funktion erwartet. „Sie hat ihr rechtes Bein schon ganz leicht bewegt“, sagte er. Ich war erleichtert, sie schien also noch Gefühl in ihrer rechten Körperhälfte zu haben. Nach der Operation wären nämlich verschiedene Möglichkeiten denkbar gewesen, von Lähmungen bis hin zur kompletten Wiederherstellung ihrer Motorik, da durch die Tumorentfernung der Druck auf ihr Hirn genommen wurde. Prof. N berichtete uns, dass er den Tumor samt Zysten und Zystenrändern komplett entfernen konnte. Die Zysten hätten sich nach der Entleerung quasi von selbst vom umliegenden Gewebe abgeschält. Dann verabschiedete er sich müde. Alles Weitere solle am folgenden Tag besprochen werden.

Vianne wurde zur weiteren Beobachtung auf die Kinderintensivstation gebracht. Wir wichen nicht von ihrer Seite. Irgendwann in der Nacht legte uns die Krankenschwester nahe, dass wir uns selbst etwas Schlaf gönnen sollten, sie würde gut auf Vianne Acht geben und wir bräuchten unsere Kraft, wenn sie aufwachen würde. Nur widerwillig trennten wir uns, auch wenn wir wussten, dass die Schwester Recht hatte. Sie versprach, uns auf der Stelle zu verständigen, wenn irgendetwas sein sollte oder wenn Vianne richtig zu sich kommen würde. Erschöpft von der mentalen Anspannung der letzten 24 Stunden fielen Micha und ich todmüde in unser Krankenhausbett.














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