Rückblick: Montag, 27.
August 2012
Dann
kam der Tag, an dem wir mit Vianne nach Hause fahren durften – nur zehn Tage
nach der aufwendigen Hirn-OP. Einerseits freute ich mich sehr auf Zuhause, auf
die übrigen Kinder, auf Andi und Ralf, Oma und Opa. Aber ich hatte auch Angst.
Wir waren mit einem vermeintlich gesunden Kind in den Urlaub aufgebrochen
(vor gerade einmal dreieinhalb Wochen), und nun kamen wir mit einem
schwerkranken heim. Wie sollte ich rund um die Uhr auf Vianne Acht geben können
und zeitgleich den anderen Kindern gerecht werden und dazu kochen,
Informationen einholen, Hausaufgaben nachschauen, einkaufen? Konnte Vianne die
Treppen bewältigen, ohne runter zu purzeln? Zudem fühlten wir uns in Kiel
sicher und medizinisch gut betreut. Wir machten uns auch Gedanken, wie die
Heimfahrt an sich verlaufen würde. Was wäre, wenn mit Vianne während der Fahrt
irgendetwas passieren würde? Wie schnell könnten wir einen Rettungswagen holen
oder die nächste Klinik erreichen, die sich mit Hirntumoren auskennt? Es gab so
viele Ängste und Zweifel. Auch hier brachte Prof. N wieder Ruhe hinein. Wir
könnten sowieso nicht jede Sekunde auf unsere Tochter achten, auch wenn wir sie
zehnmal auf der Treppe begleiten würden, beim 11. Mal würde sie fallen. Wir
sollten uns nicht so unter Druck setzen, die Naht würde einiges aushalten. Wir
sollten vertrauen in unsere Tochter haben – sie würde ihre Grenzen ganz klar
erkennen.
Zuversichtlich
trugen wir Vianne und unsere Koffer ins Auto. Aber wir fuhren nicht los, ohne
noch einmal „unserer“ Daniela Tschüss zu sagen, die zum Abschied mit Vianne
kräftig im Bällebad tobte (natürlich mit krankengymnastischem
Hintergrund). Micha zeigte mir noch einmal einen wunderschönen Ort im Alten
Botanischen Garten. Wir stiegen zum höchsten Aussichtspunkt, von wo aus wir das
Meer betrachten konnten. Dort entdeckte ich meinen Lieblingsplatz, eine alte
Bank unter einer wunderschönen Trauerweide, deren tiefhängende Zweige uns wie ein
schützender grüner Mantel umfingen. Adé Kiel! Wir kamen gut auf der Autobahn
voran. Kein Stau vorm Elbtunnel, alles frei auf der A1. Vianne freute sich auf
Zuhause, das merkten wir ihr an. Gutgelaunt erzählte sie Geschichten, schaute
aufmerksam aus dem Fenster und schien mit sich und der Welt zufrieden. Je mehr
Zeit ohne irgendwelche Vorkommnisse verging, desto ruhiger wurde auch ich. Tief
in meinem Innern wusste ich irgendwann, dass ihr jetzt nichts passieren würde.
Noch aus dem Auto rief ich unseren Hausarzt an und erklärte unsere Lage, ohne
Umstände schrieb er meinen Mann und mich für die nächste Woche krank und gab
uns zur schnellen Kontaktaufnahme seine private Mail-Adresse - er machte es uns
wirklich einfach und nahm uns ganz viel von dem organisatorischen Druck, der
auf uns lastete. Was gibt es Schlimmeres in so einer Situation, wenn man auch
noch gegen bürokratische Hürden anrennen muss. Aber bisher hatten uns alle
Beteiligten den Rücken freigehalten. Auch die Grundschule und der Kindergarten
wussten Bescheid und kamen uns in jeder erdenklichen Form entgegen. Manchmal
ist es wirklich ein Segen, in einem kleinen Örtchen zu leben.
Alle
zwei Stunden machten wir Pause. Die gewohnte Eile, zu der ich ansonsten auf
längeren Autofahrten neige, verspürte ich nicht mehr. Und irgendwann kamen wir
zu Hause an. Ich war aufgeregt. Auf den letzten Metern explodierten
tausend Gedanken in meinem Kopf. Die Kinder waren da, Andi war da, überall
kleine Willkommensgrüße, Geschenke, bewegende Briefe von Freunden, und Blumen
und Kuchen auf dem gedeckten Küchentisch. Welch ein wunderbar warmherziger
Empfang. Ada und Vianne hatten sich schrecklich vermisst. Es war zwar lediglich
ein paar Tage her, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten, aber sie waren
bisher noch nie voneinander getrennt gewesen. Wir alle waren unglaublich
erleichtert, wieder zusammen zu sein und hielten uns ganz lange in den Armen.
Andi und Ralf machten sich schließlich ziemlich erschöpft
auf den Weg nach Hause. Sie hatten hier tapfer die Stellung gehalten.
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