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14. Juni 2016

Essen versus Dortmund



Rückblick: September 2012

Früh am nächsten Morgen brachen wir auf Richtung Essener Uniklinikum. Obwohl wir an diesem Tag zügig vorankamen, war der Weg dorthin eine Katastrophe, weil die A40 gerade ausgebaut wurde und ständig irgendein Teilstück entweder gesperrt oder nur einseitig befahrbar war. Staus waren vorprogrammiert. "Wie sollten wir im Notfall schnell das Klinikum erreichen?", fragte ich mich schon auf dem Hinweg. Ich war so nervös, versuchte aber, mich auf das anstehende Gespräch zu konzentrieren. An sich war es der gleiche Ablauf: ansprechendes Gelände, nette und kompetente Gesprächspartner. Aber die Zimmer waren viel kleiner und hoffnungslos überfüllt. Alles in mir schrie laut "Nein". Das schaffe ich hier nicht. Gleichzeitig quälte mich ein schlechtes Gewissen. Ein Uniklinikum bot so einige Vorteile: mehr Gelder, folglich auch bessere Personalschlüssel und vielleicht auch bessere medizinische Geräte, eine bessere Vernetzung. Auch die Ärztin war maßgeblich an der Hirntumor-Studie für Rezidive beteiligt, also absolut vertraut mit Ependymomen. Aber hier würden wir nur im Ausnahmefall ein Einzelzimmer bekommen, soviel war klar. Für die Eltern standen in den kleinen Kammern lediglich Klappbetten bereit, die tagsüber abgebaut werden mussten, um überhaupt noch durch das Zimmer zu kommen. Die Privatsphäre ging gleich null. Müsste ich mit meiner Tochter wegen eines Beinbruchs hier zwei Wochen verbringen wäre das ja ok, aber nicht für eine knapp einjährige Behandlungsdauer unter solch großer emotionaler Belastung. Ich wollte für mich sein, wenn mir nach Weinen zumute war, ich wollte für mich sein, wenn ich mit meiner Tochter herumalbere, schmuse, Kitzelmonster spiele, wenn ich ihr schräge Lieder vorsinge oder blöde Reime erzähle. Innerlich hatte ich bereits eine Entscheidung getroffen, kam mir aber dabei so klein und schwach vor. Auf dem Weg zum Auto konnte ich nicht mehr an mich halten. Ich schluchzte laut und konnte nicht aufhören. Erst Micha konnte mich wieder beruhigen, indem er mir sage, ich solle mich auf mein Bauchgefühl verlassen. Langsam konnte ich wieder klar denken. Essen war insgesamt schon etwas anonymer und nüchterner. Die Ärzte hatten sich im Gegensatz zu den Dortmundern nicht erkundigt, wie es Vianne gerade geht. Außerdem waren auf der Station so viele Ober- und Assistenzärzte tätig, dass wir sicher jeden Tag ein neues Gesicht sehen würden. Was hätten wir also von der Professorin, die im Thema ist, wenn sie nicht greifbar ist. Die Behandlung an sich läuft an allen Kliniken nach dem gleichen Protokoll. Zudem liegt Dortmund logistisch gesehen viel günstiger für uns, wir wären schnell dort und Micha arbeitet quasi um die Ecke, so dass wir uns schnell ablösen könnten mit Viannes Betreuung. Bis Donnerstag hatten wir uns Bedenkzeit erbeten. Aber unsere Entscheidung stand eigentlich schon am Dienstag fest. Donnerstagmorgen informierten wir beide Kliniken und waren sehr angetan von der Reaktion der Essener. Die Professorin sagte, sie hätte sich schon gedacht dass wir uns für die heimatnahe Klinik entscheiden, sicherte uns aber ihre Unterstützung zu, falls wir eine Zweitmeinung bräuchten oder falls Vianne nochmals operiert werden müsse. Die Zusammenarbeit der Fachleute untereinander funktionierte gut, auch über die Kliniken hinaus, und das machte uns sehr zuversichtlich. Die Spezialisten kannten sich, regelmäßig fand ein guter Fachaustausch statt. Jetzt ging es also wirklich los.











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