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14. Juni 2016

Lumbalpunktion



Rückblick: Dienstag, 4. September 2012

Bereits am folgenden Dienstag fand die noch ausstehende Lumbalpunktion und das MRT des Spinalkanals statt. Bei der Lumbalpunktion wird Hirnwasser aus dem Rückenmarkskanal entnommen, um zu sehen, ob sich darin versprengte Tumorzellen befinden. Gleichzeitig wird beim MRT der Wirbelsäule geschaut, ob sich dort Metastasen angesiedelt haben. Für die beiden Untersuchungen sollte unsere Maus eine leichte Narkose bekommen. Sie bekam den "Schlafsaft" Dormicum. Aber irgendwie wirkte er nicht. Mit uns auf dem Zimmer lag ein kleiner Junge. Der Fernseher lief. Vianne wollte immer wieder zum Fernseher schauen,  schläfrig oder beduselt wirkte sie nicht. Wir baten die Mutter des Kleinen, den Fernseher auszuschalten, es war so unruhig, und wir waren so aufgeregt. Wieder eine Untersuchung, wieder auf's Ergebnis warten müssen. Ich wollte nicht, dass sie Vianne weh tun. Gerade nach einer Lumbalpunktion soll man die erste Zeit ruhig liegen bleiben, ansonsten gibt es derbe Kopfschmerzen, aber unsere kleine "Zappelelse" konnte noch nicht einmal das Dormicum ausbremsen. Ich war so negativ eingestellt und rechnete bei den anstehenden Untersuchungen mit schlimmen Neuigkeiten. Schließlich waren die letzten Nachrichten alle ziemlich übel gewesen. Bösartig statt gutartig, rechtsseitige Bewegungseinschränkung statt Verbesserung der Motorik nach der OP. Ich war so verdammt nervös, dass ich nur noch genervt war: der Junge war zu laut, die Mutter zu unbeteiligt, ich wollte allein sein mit meiner Tochter und meinem Mann. Ich beschwerte mich bei den Schwestern (was mir im Nachhinein echt unangenehm ist) und der Junge wurde in ein anderes Zimmer verlegt. Erst bei weiteren Krankenhausaufenthalten habe ich erfahren, dass der Junge ebenfalls Krebs hat und gerade einen Rückfall erlitten hatte.
Eine Schwester holte uns ab und brachte uns zum MRT im Hauptgebäude. Die Kinderklinik ist durch einen unterirdischen engen und miefigen Tunnel mit dem Hauptgebäude verbunden. An manchen Passagen passt gerade mal ein Krankenhausbett durch – Gegenverkehr muss warten. Ich trug Vianne den ganzen Weg auf dem Arm, ich konnte sie nicht loslassen. Schließlich kamen wir beim MRT an und mussten unsere Tochter an der Tür abgeben. So etwas kannten wir aus Kiel nicht, dort durfte sie sogar vor der großen Hirn-Operation, bei der sie nicht wie jetzt lediglich sediert worden war (bei der Sedierung schläft man zwar, atmet aber eigenständig), sondern eine richtige Narkose bekommen hatte (bei der Narkose wird die Atmung ausgeschaltet und der Patient muss künstlich beatmet werden) auf unserem Arm einschlafen. Hier war so etwas anscheinend nicht möglich. Wir waren so perplex, dass wir nur schwach protestierten, allerdings ohne Erfolg. Wir setzten uns geschockt auf die Bänke vor dem MRT-Raum, während wir Vianne noch kurz weinen hörten. Knapp eine Stunde sollten beide Untersuchungen zusammen dauern. Wir hockten einfach nur auf unseren Stühlen. Ich fühlte mich wütend, hilflos, verzweifelt, hoffnungslos. Micha wirkte so stark, aber innerlich sah es beim ihm auch nicht anders aus. Auf einmal kam Dr. B. um die Ecke und setzte sich uns gegenüber. In diesem Moment fiel mir das erste Mal auf, wie beruhigend seine Anwesenheit auf mich wirkte. Er erklärte noch einmal genau, was gerade mit Vianne passiert und ging behutsam auf unsere Fragen und Ängste ein. Ich schüttete meinen Unmut über das Anästhesieteam über ihn aus. Noch ein weiterer Punkt störte mich: Während in Kiel geduldig versucht wird, die Kinder ohne Sedierung  ins MRT zu schicken, steht dieses Vorgehen in Dortmund gar nicht zur Debatte. Darauf angesprochen schauten uns die Anästhesisten lediglich mit großen Augen an. Wie? Jüngere Kinder ohne Ruhigstellung ins MRT? Diese Vorstellung schien für die Dortmunder Kollegen so abwegig wie ein zweitägiger Flug zur Sonne.
Dr. B saß lange bei uns und half, die Zeit des Wartens und Bangens zu überbrücken. Was für eine nette, menschliche Geste. Mehrere Male öffnete und schloss sich die Tür zum MRT-Raum, und jedes Mal versuchten wir in den Gesichtern der Ärzte und Schwestern zu lesen. Die Tür öffnete sich abermals. Vianne lag in ihrem Gitterbettchen, und wir fuhren mit ihr zurück auf die Station. Alles habe gut geklappt, erklärte der Anästhesist, mehr erfuhren wir noch nicht. Wir waren zuerst einmal erleichtert, unsere Maus wieder bei uns zu haben. Vianne schlief tief und fest. Der Ärger über das Anästhesieteam war wie wegblasen. Ich wollte nur noch meine Tochter berühren, streicheln, riechen, genießen.


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