Rückblick: September
2012
Das
darauf folgende Wochenende gehörte uns, wir unternahmen nichts und genügten
uns. Früher, vor Viannes Erkrankung, hatte ich immer diese Ruhelosigkeit,
musste ständig etwas unternehmen, plante Ausflüge und Besuche. Jetzt plante ich
nicht mehr, sondern nahm die Tage, wie sie kamen. Eine angenehme Ruhe legte
sich über unsere Familie.
Der
Kindergarten war so lieb gewesen, auf meinen Wunsch hin Ada zunächst im
Zwergenland, in der Gruppe für die Zwei- bis Dreijährigen zu lassen, damit sie
erst einmal in ihr vertrautes Umfeld zurückfand. Meine Schwester hatte sie
gebracht, während wir noch mit Vianne in Kiel waren. Den Wechsel ohne Vianne in
die große Kindergartengruppe wollte ich gerne mit Ada gemeinsam angehen. Jetzt
schien mir der richtige Zeitpunkt gekommen. Eigentlich sollte Ada mit Vianne die
gelbe Gruppe besuchen, nach Rücksprache mit der Kindergartenleitung hatten wir
uns aber nun für die rote Gruppe entschieden, weil die meisten Kinder aus dem „Zwergenland“
dahin wechselten und dort zudem heilpädagogisch gearbeitet wird. Ada hatte
somit zumindest einige vertraute Gesichter um sich, wenn ihre
Zwillingsschwester schon nicht mitgehen konnte. Kindergarten war für sie tabu,
weil sie während der Chemotherapie kaum Abwehrkräfte haben würde und somit extrem
gefährdet wäre zwischen so vielen Kindern. Aber Ada wollte nicht ohne ihre
Schwester in die Gruppe. An meiner Hand ging sie zögerlich in den Gruppenraum,
schon im Flur klammerte sie sich an mich, als ob sie zum ersten Mal dort wäre.
Die Erzieherinnen in der Gruppe gingen liebevoll auf sie ein. Alle wussten um unsere
Situation. Es war uns wichtig zum Schutz der anderen Kinder, dass die
entsprechenden Institutionen wie
Schule und Kindergarten informiert waren. Nur so konnten sich Lehrer und
Erzieher mögliche Probleme oder Verhaltensänderungen unserer Kinder erklären
und dementsprechend reagieren und Rückmeldung geben. Auch ich wich Ada nicht
von der Seite. Sie wirkte so verlassen zwischen all den Kindern. Vianne fehlte
uns beiden schrecklich. Am ersten Tag blieb ich gemeinsam mit ihr zwei Stunden
im Kindergarten, am zweiten Tag verbrachte sie schon eine Stunde allein, und so
erhöhten wir die Zeiträume immer mehr. Aber jedes Mal flossen Tränen. Tief in
unserem Herzen wussten wir, dass der Kindergarten Ada langfristig gut tun
würde. Wir wollten unseren Kindern möglichst viel Alltag und Normalität bieten.
Wenn alles gut ging, sollte Vianne im nächsten Kindergartenjahr in die rote
Gruppe folgen. Es war so seltsam, den Kindergarten mit nur einem Mädchen zu betreten.
Ich hatte das Gefühl, dass uns alle Eltern anschauten, dass wir im Mittelpunkt
standen.
Es
war schwer, auch wenn die meisten unglaublich fürsorglich und hilfsbereit
waren. Viele vertraute Gesichter erkundigten sich nach Vianne. Gemeinsam mit
den Erzieherinnen weinte ich in einem unbeobachteten Moment. Meistens musste
ich nach solchen Momenten laufen, wegrennen vor den schrecklichen
Bildern, mir die Angst, die Wut und den Schmerz von der Seele laufen, damit ich
wieder ganz für unsere Familie da sein konnte. Ich war noch nie eine gute
Läuferin gewesen, aber nun schaffte ich locker 12 Kilometer, nachdem ich zuvor
eine Stunde Zumba getanzt hatte.
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