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14. Juni 2016

Kindergarten



Rückblick: September 2012


Das darauf folgende Wochenende gehörte uns, wir unternahmen nichts und genügten uns. Früher, vor Viannes Erkrankung, hatte ich immer diese Ruhelosigkeit, musste ständig etwas unternehmen, plante Ausflüge und Besuche. Jetzt plante ich nicht mehr, sondern nahm die Tage, wie sie kamen. Eine angenehme Ruhe legte sich über unsere Familie.

Der Kindergarten war so lieb gewesen, auf meinen Wunsch hin Ada zunächst im Zwergenland, in der Gruppe für die Zwei- bis Dreijährigen zu lassen, damit sie erst einmal in ihr vertrautes Umfeld zurückfand. Meine Schwester hatte sie gebracht, während wir noch mit Vianne in Kiel waren. Den Wechsel ohne Vianne in die große Kindergartengruppe wollte ich gerne mit Ada gemeinsam angehen. Jetzt schien mir der richtige Zeitpunkt gekommen. Eigentlich sollte Ada mit Vianne die gelbe Gruppe besuchen, nach Rücksprache mit der Kindergartenleitung hatten wir uns aber nun für die rote Gruppe entschieden, weil die meisten Kinder aus dem „Zwergenland“ dahin wechselten und dort zudem heilpädagogisch gearbeitet wird. Ada hatte somit zumindest einige vertraute Gesichter um sich, wenn ihre Zwillingsschwester schon nicht mitgehen konnte. Kindergarten war für sie tabu, weil sie während der Chemotherapie kaum Abwehrkräfte haben würde und somit extrem gefährdet wäre zwischen so vielen Kindern. Aber Ada wollte nicht ohne ihre Schwester in die Gruppe. An meiner Hand ging sie zögerlich in den Gruppenraum, schon im Flur klammerte sie sich an mich, als ob sie zum ersten Mal dort wäre. Die Erzieherinnen in der Gruppe gingen liebevoll auf sie ein. Alle wussten um unsere Situation. Es war uns wichtig zum Schutz der anderen Kinder, dass die entsprechenden Institutionen wie Schule und Kindergarten informiert waren. Nur so konnten sich Lehrer und Erzieher mögliche Probleme oder Verhaltensänderungen unserer Kinder erklären und dementsprechend reagieren und Rückmeldung geben. Auch ich wich Ada nicht von der Seite. Sie wirkte so verlassen zwischen all den Kindern. Vianne fehlte uns beiden schrecklich. Am ersten Tag blieb ich gemeinsam mit ihr zwei Stunden im Kindergarten, am zweiten Tag verbrachte sie schon eine Stunde allein, und so erhöhten wir die Zeiträume immer mehr. Aber jedes Mal flossen Tränen. Tief in unserem Herzen wussten wir, dass der Kindergarten Ada langfristig gut tun würde. Wir wollten unseren Kindern möglichst viel Alltag und Normalität bieten. Wenn alles gut ging, sollte Vianne im nächsten Kindergartenjahr in die rote Gruppe folgen. Es war so seltsam, den Kindergarten mit nur einem Mädchen zu betreten. Ich hatte das Gefühl, dass uns alle Eltern anschauten, dass wir im Mittelpunkt standen.

Es war schwer, auch wenn die meisten unglaublich fürsorglich und hilfsbereit waren. Viele vertraute Gesichter erkundigten sich nach Vianne. Gemeinsam mit den Erzieherinnen weinte ich in einem unbeobachteten Moment. Meistens musste ich nach solchen Momenten laufen, wegrennen vor den schrecklichen Bildern, mir die Angst, die Wut und den Schmerz von der Seele laufen, damit ich wieder ganz für unsere Familie da sein konnte. Ich war noch nie eine gute Läuferin gewesen, aber nun schaffte ich locker 12 Kilometer, nachdem ich zuvor eine Stunde Zumba getanzt hatte.






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