Rückblick: Freitag,
17. August 2012, morgens
Der
Morgen graute, und das Grauen traf mich - hinterhältig, mit voller Wucht. Ich
schlug die Augen auf, und eine dunkle Welle überrollte mich. Ich schaute nach
Vianne. Obwohl sie die ganze Nacht überwacht worden war, musste ich mich mit
eigenen Augen davon überzeugen, dass es ihr gut ging. Sie schlief tief und fest
und ruhig. Es war noch ganz früh am Morgen. Micha hatte noch in der Nacht mit
mir telefoniert um mir zu sagen, dass er sicher im Ferienhaus angekommen war.
Er hatte sich durch dichten Nebel gekämpft, als ob diese Nacht unser Innerstes
widerspiegeln wollte. Im Ferienhaus angekommen, hatten sich die vier gemeinsam
in ein Bett gekuschelt.
Das
Frühstück kam - ich brachte kaum einen Bissen runter. In den Tagen in der
Kieler Uniklinik entdeckte ich meine Liebe zu Kamillentee, den ich bisher immer
verabscheut hatte, sogar wenn ich krank war. Ich weiß nicht mehr, wann genau ich mir die erste Tasse holte, ich
weiß nur, dass mich der Teebeutel auf dem Wägelchen
im Krankenhausflur plötzlich anlächelte und ich seither immer Kamillentee
trinke, wenn mich diese innere Kälte überfällt.
Ich
kann mich nur bruchstückhaft an diesen Tag im Krankenhaus erinnern. Ganz genau
erinnern kann ich mich aber an das erste Zusammentreffen mit Prof. N. Er
strahlte Ruhe und Sicherheit aus, als er in unser Zimmer kam. Auch Vianne
mochte ihn auf Anhieb. Wir hatten Fragen, so viele Fragen surrten in unseren Köpfen.
Es sei wichtig, dass der Tumor entfernt werde, sagte er. Es gebe drei
Möglichkeiten, erklärte uns der Professor: er operiert unsere Tochter noch
heute, am Freitag, wenn wir der Meinung seien, ihr Zustand habe sich seit
gestern verschlechtert. Alternative Nummer Zwei wäre eine Operation am Montag,
dann könne er sein „Dreamteam“ zusammenstellen und sich in aller Ruhe vorbereiten.
Unsere Tochter müsste dann das ganze Wochenende engmaschig überwacht werden,
weil sie bereits eine Einblutung gehabt hätte, höchstwahrscheinlich als sie bei
meinen Eltern übernachtet hatte. Das führte zu den schlagartigen motorischen Ausfälle,
denn der Tumor saß in der linken Hirnhälfte, in dem Bereich, der die Motorik
der rechten Körperhälfte steuert. Nicht auszudenken was gewesen wäre, wenn
diese Blutung nicht von allein zum Stillstand gekommen wäre. Dann wäre sie
gestorben, bei meinen Eltern. Wenn es also am Wochenende zu einer erneuten
Blutung im Hirn käme, müsste eine Notoperation gemacht werden. Die dritte
Option wäre eine Verlegung in eine heimatnahe Klinik, davon würde er uns aber
dringend wegen der Einblutungsgefahr abraten:
„Ich würde Emma (ihr Rufname ist doch Vianne!) auf keinen Fall transportieren.
Kommt es dabei zur Blutung, können wir auch im Krankenwagen nichts mehr für sie
tun“, erklärte er uns sachlich. Wir waren geschockt. Noch gestern schien unsere
Tochter mehr oder weniger gesund, und heute war ihr Tod Thema. Sagte er das
nur, weil er ihren Tumor operieren wollte? Standen Forschungen, Übungszwecke,
Gelder im Vordergrund? Ich bin immer so schrecklich skeptisch.
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