Gesamtzahl der Seitenaufrufe

21. Februar 2017

Echtzeit! Farbkleckse



Samstag, 20. Juni 2015


Wir hatten ein paar wirklich gute Tage. Von der Übel- und Müdigkeit, die am Dienstag noch so präsent war, war am Mittwoch nichts mehr zu spüren: Vianne besuchte morgens den Kindergarten und sprang nachmittags ausgelassen auf dem Trampolin herum - das hatte sie seit Wochen nicht mehr getan. Wahnsinn! Unglaublich! Ich war schier sprachlos und verstehe diese schnellen Wechsel nicht - aber letztendlich ist es auch egal, Hauptsache, es geht ihr gut. Später am Tag holten sich die Mädels dicke Holzbretter aus dem Gartenhaus, die sie emsig mit Wasserfarben bemalten. Einträchtig saßen sie auf ihren Decken auf der Terrasse und pinselten, bis die Farben leer waren. Auch am Donnerstag fühlte sich Vianne fit. Sie ist so lustig: Morgens hat sie sich als Laterne verkleidet und dabei lautstark Laternenlieder geträllert... 




Nachmittags konnten wir gemeinsam mit Ada zu ihrer Kindergartenabschlussfeier gehen - zum Glück! Ich hätte es schrecklich gefunden, wenn Vianne die Feier nicht hätte besuchen können. Ganz stolz haben die Vorschulkinder das Theaterstück "Laura kommt in die Schule" aufgeführt - wirklich niedlich. Nicht weniger stolz nahmen sie später ihre Abschlussmappen und ihre Mini-Schultüten (gefüllt mit kleinen Leckereien) von den Erzieherinnen in Empfang, die noch ein süßes Abschiedsgedicht vorbereitet hatten. Wir werden den Kindergarten vermissen... Das Fest klang mit einem gemütlichen Grillabend aus, während die Kleinen über das Kindergartengelände tobten. Vianne kam zwar wieder nicht hinterher - obwohl sie tapfer probierte dranzubleiben - aber es schien sie dieses Mal nicht so sehr zu stören. Von Kopfweh und Übelkeit blieb sie ebenfalls weitgehend verschont, lediglich ihr Beinchen schmerzte ein, zwei Nächte hintereinander. 




Auch heute Nachmittag wurde wieder emsig der Pinsel geschwungen. Freunde von uns hatten die Kinder dazu eingeladen, die Regipsplatten zu verschönern, mit denen sie ihre Garage/ Scheune verkleidet hatten. Letztendlich haben wir uns alle (bis auf Jesse) dort verewigt - ein Phantasiebaum, Blumen, eine Unterwasserwelt, ein Auto, ein Gecko, Schmetterling, Drache, ein Haus,... kunterbunt und farbenfroh - und auch hier wurde wieder spontan der Grill angeschmissen - Vianne verspeiste zahlreiche Mini-Würstchen . "Heute war ein sehr schöner Tag", zog sie anschließend Resumée. Auch Ada schlief zufrieden und glücklich ein, denn wir hatten nach zweitägiger Suche endlich ihr heißgeliebtes Schnuffeltuch wiedergefunden.



Wir haben für die Ferien spontan ein Wohnmobil gebucht - wir wollen nicht hier Zuhause sitzen und warten, bis irgendetwas Schlimmes passiert. Ich hoffe sehr, dass wir wie geplant aufbrechen können...


Echtzeit! Anspannung



Dienstag, 16. Juni 2015


Egal welche Auszeiten wir uns nehmen, ganz gleich was für Sicherungsleinen wir auswerfen, egal welche Ablenkung wir uns gönnen, Druck und Anspannung steigen momentan stetig. Ohne die vielen aufmunternden Worte und auffangenden Arme von Familie und Freunden würden wir noch mehr straucheln (Danke Steffi - genau im richtigen Moment heute, danke Nicole - fürs Zuhören, danke Anke - für's kurzzeitig zum Lachen bringen!) Wir sind machtlos, was diese Krankheit anbelangt, und diese Machtlosigkeit, gepaart mit der Angst um Vianne, macht uns ruhelos, aggressiv und unglaublich unglücklich. Die Krankheit beginnt uns zu zermürben - eine mir bis dato fremde Bitterkeit macht sich breit.

Blass und müde wurde Vianne heute Morgen wach. Sie musste sich wieder übergeben. Sie weinte. Sie hatte Kopfweh. Anschließend schlief sie erschöpft auf unserem Sitzkissen ein. Sie schlief mehrere Stunden lang. So klein und zart und zerbrechlich lag sie vor mir. Es tut unbeschreiblich weh, sie so zu sehen - mit dem Wissen, dass es nie wieder besser wird, nur schlimmer. Ich vergrub mich in einem guten Buch. Vianne wirkt seit einiger Zeit streckenweise abwesend, reizbar, unglücklich. Sie verändert sich - schleichend. Und wir sitzen in der ersten Reihe - so nah dran und doch so unglaublich weit weg. Ihre Sprache verwischt, manchmal spricht sie undeutlich, schleppend und muss sich sehr auf ihre Worte konzentrieren. Manchmal wirkt es, als würde diese Last in ihrem kleinen Köpfchen sie erdrücken, sie verwirren, so dass sie fragend nach innen zu horchen scheint. Weil sie es nicht versteht - weil es niemand versteht.

Gegen Mittag wachte Vianne schließlich auf. Nach der ausgiebigen Ruhepause ging es ihr zum Glück um einiges besser. Sie futterte viel und spielte den Nachmittag laut und ausgiebig mit Ada, goss die Blumen, verkleidete sich, bastelte und malte. Vorm Einschlafen bedeckten wir uns gegenseitig mit unzähligen Küssen. Ich liebe sie so sehr...

Es fällt schwer, alte Fotos zu betrachten, denn dann weiß ich, dass uns ein Teil von Vianne schon längst genommen wurde... Ich kann nicht noch mehr von ihr gehen lassen... Nein, keine Sorge, ich werde mein Versprechen weiterhin halten: Lieber Micha, lieber Jesse und Luke, liebe Ada und Vianne - ich lasse mir - ich lasse uns nicht einfach den Boden unter den Füßen wegziehen!



Echtzeit! Scheinnormalität



Sonntag, 14. Juni 2015


Wir machen so normale Dinge wie Tennisspielen, Blumen pflanzen, Eis essen, Urlaubsanfragen stellen, Hausaufgaben, Seepferdchen-Abzeichen, Freunde zum Spielen besuchen, Mails bearbeiten, Drachen steigen lassen, in den Pool hüpfen, auf Geburtstage gehen - und trotzdem ist nichts normal bei uns. Diese trügerische Scheinnormalität zerrt an unser aller Nerven. Während Vianne wahnsinnige Stimmungsschwankungen hat, legt Jesse eine schon alarmierende Souveränität, eine für sein Alter so untypische Selbstberrschung an den Tag, Luke hingegen ist extrem nähesuchend, Ada arg aufmerksamkeitsheischend. Micha und ich probieren irgendwie, alle einigermaßen auf Kurs zu halten. Wir funktionieren. Mal besser, mal schlechter.

Am Freitag war das Palliativteam wieder da. Ein sehr netter Arzt setzte sich gleich zu Vianne auf den Terrassenboden, erkundigte sich bei ihr (danach bei mir) nach ihrem Befinden. Vianne sagte durchweg, es gehe ihr gut, ja, sie würde immer gut essen (ach ja?), ihr würde nichts wehtun (hm?), übel sei ihr nicht (den Tag zuvor hatte sie noch gewürgt). Sie hat eine Momentaufnahme von sich gegeben, sie lebt in ihrer wunderbaren Kinderwelt, frei nach dem Motto: was interessiert, was gestern war, was interessiert, was morgen sein wird... Welch eine grandiose Fähigkeit - wir können so viel von ihr lernen. Schon nach kürzester Zeit gab sie dem Team ziemlich eindeutig zu verstehen, dass sie sich nun davonmachen sollen - "Madame" wollte in ihren Pool hüpfen... Ich konnte kaum an mich halten vor Lachen. Was für ein kleiner Charmebolzen - ganz die Mama. Als der Arzt freundlich bat, sie kurz noch untersuchen zu dürfen und hinzufügte, es würde auch gar nicht wehtun, schaute sie im Davongehen gespielt theatralisch über ihre Schulter und meinte entnervt: "Klar, weiß ich doch, dass es nicht weh tut - hach..." Es war eine wirklich entspannte Stimmung - beinahe richtig unbeschwert und heiter. Wenn Vianne nicht gerade genervt war, kicherte sie sogar mit dem Palliativteam und spielte eine Runde "Dragi Drache" mit einem Mitarbeiter, bevor sie wiederholte, dass es nun an der Zeit sei, dass sie wieder verschwinden.





Diese Woche war Vianne nur einen Vormittag im Kindergarten. Montag waren wir noch im Urlaub, Dienstag und Donnerstag musste sie sich schon morgens übergeben und am Freitag wollte sie partout nicht im Kindergarten bleiben. Auf meine Nachfrage hin meinte sie nur, sie wolle nicht darüber sprechen. Ich glaube den Grund zu kennen: sie merkt immer deutlicher, dass sie mit ihren kleinen Freundinnen nicht mehr mithalten kann - und andererseits kann man von bewegungsfreudigen Fünf- und Sechsjährigen nicht andauernd Rücksicht erwarten, obwohl alle meistens sehr lieb zu Vianne sind. Aber als Spielpartner ist sie nicht mehr so attraktiv, sie kommt nicht mehr hinterher - und zieht sich zurück. Unvorstellbar, dass sie vor einem halben Jahr noch Ski- und Radfahren und Ausschneiden konnte. Sie spürt ihre Grenzen immer deutlicher, meidet Reckstangen, Treppen und Trampoline. Während sie früher auf jedes Pferd springen wollte, müssen wir sie heute beinahe zum Reiten überreden. Es tut weh, sie allein im Raum stehen zu sehen, während alle ihre Freundinnen (inklusive Ada) freudig davonpreschen.

Am Freitag hat Ada ihr Seepferdchen-Abzeichen gemacht und erzählte es natürlich jedem - leider immer mit dem Zusatz, dass Vianne noch kein Abzeichen hat. Ada war so mächtig stolz - zurecht - und trotzdem war auch hier die Freude wieder getrübt, weil bei Vianne Tränen flossen. Luke und ich haben heute in seiner Schublade an einer viel zu kleinen Badehose sein altes Abzeichen gefunden und gemeinsam beschlossen, dass Vianne es kriegen soll. Luke will das "Seepferdchen" mit ihr machen - unter besonderen Prüfbedingungen. Er ist wirklich ein Schatz!


Echtzeit! Wind, Wellen, Weite, Weigerung



Dienstag, 9. Juni 2015 


Wir sind wieder Zuhause - und gleich heute Morgen ist es Vianne übel geworden. Wir sollten ab jetzt immer Urlaub machen. Kurzerhand hatten wir Ende letzter Woche entschieden, im Anschluss an den MRT-Termin das Weite zu suchen - insofern es Vianne einigermaßen gut geht. Am Freitagabend war nicht mehr an eine Fahrt zu denken, noch in der Nacht zu Samstag hatte sie erbrochen - am Samstagmorgen ging es ihr dafür umso besser. Gemeinsam mit Andi, Ralf und Ada stiegen wir ins Wohnmobil (die Mädels wollten schon immer mal eine Wohnmobil-Tour machen und grinsten bereits beim Anblick) - und fuhren los. "Wozu hast du Lust?", fragten wir Vianne. "Wohin möchtest du fahren?" "Nach Afrika", antwortete Vianne spontan. Also auf nach Afrika - eher gesagt in den Münsteraner Zoo. Wir fütterten Elefanten mit Salatköpfen und Gurkenstücken, schauten den Robben bei ihren Kunststücken zu und  beobachteten die Leoparden-Babys. Vianne wirkte fit, lachte, futterte und scherzte, während sie auf Ralfs Rücken ritt. Also ging es weiter gen Norden, an die Nordsee, nach Neuharlingersiel, wo gerade der Jever Fun Kitecontest stattfand - eine gute Sache! Eine einzigartige, entspannte Atmosphäre! Nächstes Wochenende ist die Meisterschaft auf Fehmarn ... Wir bekamen einen Stellplatz direkt hinter dem Deich - auf der anderen Seite das Watt, das Meer und unendlich viele bunte flatternde Kites unter einem strahlend blauen Himmel. Ada, Vianne (und ich) juchzten laut auf, denn: "Man muss immer etwas haben, worauf man sich freut." (Eduard Friedrich Mörike) - und ich teile seine Meinung. Am Meer wurden wir fast davongepustet - was für ein Vergnügen. Eigentlich machten wir nicht viel, wir hatten überhaupt keinen Plan für den nächsten Tag, ließen uns einfach nur treiben und sogen die Atmosphäre in uns auf. Wir bauten mit den Mädels Sandburgen im Windschatten der Strandkörbe. Anschließend wollte Vianne unbedingt eine Erbsensuppe futtern, die es auf dem Gelände der Kite-Surfer gab, während uns der Sinn eher nach einem kühlen Getränk stand - vor dem Cappuccino und der Auszeit im Liegestuhl. Wir probierten richtig coole Sonnenbrillen auf - Ada und Vianne bekamen dank ihres Charmes auch gleich eine geschenkt... Total spannend waren die Finalrennen der Kiter. Vianne wollte es ihnen nachmachen, schnappte sich einen Liegestuhl, dessen Tuch sie kurzerhand zum Kiteschirm umfunktionierte und ließ sich vom Wind in die Lüfte heben... Wir ritten auf Robben und hinterließen Spuren im Sand - und wir chillten so mächtig, dass dieser Scheiß-Tumor einfach in den Wellen versank - zumindest für den Moment. Natürlich kamen wir auch nicht an dem "Hamsterrad" auf dem Wasser vorbei, ohne es einmal auszuprobieren....
Die Mädels sind unglaublich zäh. Obwohl es am nächsten Tag nur noch schlappe 14 Grad Celsius "warm" war, schmissen sie sich in ihre Badeanzüge und in die graue Nordsee. Respekt! Ada lag mal wieder unfreiwillig komplett drin...  Dann lieferten wir uns noch eine lustige Algenschlacht. So viel Aktion macht Hunger - Vianne verspeiste später im Hafen unzählige Kibbelinge und noch mehr Nordseekrabben (wovon sich "Möwe" Ralf ein paar stibitzte, was zu lautem Protest führte) Hin und wieder versuchten Angst und Pessimismus die Oberhand zu gewinnen, aber solange Vianne sich so dermaßen fit zeigte, hatten beide mächtigen Gegner keine Chance. Am letzten Tag unseres Kurzurlaubs erkundeten wir den Spielplatz am Strand, spielten im Park eine Runde Schach und Mühle mit überdimensionalen Spielfiguren, besuchten anschließend die Robben-Aufzuchtstation, bevor wir uns am frühen Abend in aller Ruhe Richtung Heimat aufmachten. Dabei veranstalteten Ada und Vianne einen Schimpfwort-Wettbewerb. Während anfangs sämtliche Flatulenz- und (seichte) Fäkalienbegriffe fielen, wurden die Damen nach und nach einfallsreicher: Irgendwann schleuderte Vianne Ada inbrünstig "du verlorenes Kind" entgegen, woraufhin Ada mit "du Grashalm" konterte.

Unsere Ärzte sind erstaunt, wie fit Vianne trotz all der Tumorlast ist. Es gibt weitere neue Metastasen im Köpfchen, die alten Herde sind zum Teil gewachsen. Es kann nicht sein! Trotz all dieser hoffnungslosen Nachrichten weigern wir uns nach wie vor, das Kommende zu akzeptieren. Es gibt diesen Teil namens Vernunft in uns, der uns "vorbereitende" Bücher mit ihr lesen lässt (wir haben mittlerweile ein wirklich gutes Kinderbuch gefunden „Die Königin und ich“, das wir den Mädels auf eigenen Wunsch am ersten Tag mehrmals vorlesen mussten), aber andererseits haben wir vergessen, vernünftig zu sein. Ich  persönlich könnte bis zum Ende Zeit mit ihr am Meer verbringen... In drei Wochen haben wir drei Wochen Urlaub. Halte durch, kleine starke Vianne...Für das Meer, für die Wellen, für die Unvernunft...















Echtzeit! Gestern, heute, morgen?



Freitag, 5. Juni 2015


Gestern! Gestern war ein guter Tag mit viel Geplansche und Gefiepe (weil das Wasser soooo kalt war im Pool) im Kreise lieber Freunde. Die Sonne lachte gemeinsam mit den Kindern und uns. Wir probierten selbstgebrautes Bier von unserem neuen "Braumeister" und ließen es uns bei Leckereien vom Grill richtig gut gehen. Vianne war so fit und rannte und badete und schaukelte und  buddelte. Wir lernten ein neues Spiel - "Kubb" - kennen, dass wir heute einstimmig zu unserem neuen Lieblingsspiel erklärt haben.
Heute! Heute war MRT-Tag - und noch nicht einmal Zuckertag, da Vianne nichts essen wollte. Sie wollte nur schlafen. Das erste Mal direkt nach dem Aufwachen. Im Krankenhaus. Auf der Rückfahrt. Schlafend trugen wir sie in unser Bett. Ihr war heute Morgen bereits übel. Uns ist jetzt übel - wir haben am späten  Nachmittag die neuen MRT-Bilder gemeinsam mit dem Onkologen am Bildschirm betrachtet. Erivedge wirkt nicht! Kein Strohhalm mehr...


8. Februar 2017

Echtzeit! So riecht die Welt



Mittwoch, 3. Juni 2015


Nachdem die letzten Tage herrlich unspektakulär waren, hat Vianne heute Morgen nach dem Aufstehen wieder gebrochen. Scheiße - zwei Wochen hatte sie Ruhe, zwei Wochen kein Würgen. Keine Ahnung, warum es jetzt wieder kommt. Ich gab ihr daraufhin die Tablette gegen Übelkeit. Den Rest des Tages blieb sie zum Glück verschont, es ging ihr sogar richtig gut, so dass wir uns nachmittags gemeinsam Lukes Tennisspiel anschauen konnten. Und ihr Appetit kam auch wieder zurück. Sie hat den Tennis-Jungs einfach ihren Kuchen stibitzt. Zum Mittagessen hatte sie sich schon zu ein paar Garnelen überreden lassen.

Ansonsten hätte ich heute vor lauter Wut einfach nur schreien können - hab ich auch getan, leider waren die Adressaten die falschen. Irgendwie hat jedes Kind heute "sein Fett weg gekriegt" - wegen verdammter Nichtigkeiten: die eine schmiss lediglich ihr Glas um (und wurde angeschnauzt), die andere rupfte den wunderschönen Farn im Garten raus (und wurde zur Schnecke gemacht), der Dritte hatte vergessen, dass heute eine Englischarbeit auf dem Plan stand (und musste sich eine ewig lange Standpauke über Organisation und Aufmerksamkeit anhören), der Vierte (schon Erfahrene) machte sich ganz schnell aus dem Staub, gerade als ich die Müllansammlung in seinem Zimmer zum Thema machen wollte. Ich würde so gerne jemandem die Schuld für Viannes Erkrankung geben. Nur wem? Es ist schwer, keinen Verantwortlichen zu haben. Je näher der MRT-Termin rückt, desto wütender werde ich. So viele Türen wie heute habe ich lange nicht mehr zugeknallt, so viele zusammengeknüllte Trockentücher seit Ewigkeiten nicht mehr an die Wand geschmissen. Am liebsten hätte ich in den Stuhl gebissen. Was ich mir für heute gewünscht hätte? Eine private Kickbox-Einheit, damit sich diese ganze angestaute Wut Bahn brechen kann - ohne Schaden anzurichten. Ich hatte heute noch nicht einmal Lust, laufen zu gehen, was ansonsten immer ganz gut hilft. Heute hätte ich ein härteres, gefährlicheres Trainingsprogramm gebraucht. Komischerweise brachten mich ein paar simple Läuse (die ich zur Krönung des Tages auf dem Kopf eines unserer Kinder entdeckte) wieder auf den Boden zurück. Anstatt komplett auszurasten, fiel plötzlich der ganze Ärger von mir ab, und ich stürzte mich ins Bettenabziehen und Kopfeinreiben und Haarauskämmen - eine abendfüllende Tätigkeit.

Zum Glück verlaufen nicht alle Tage so: Gestern wollte Vianne beim Kochen helfen. Ich hatte tolle Gewürze und Kräuter bereit stehen, mit denen sie voller Freude (und ziemlich großzügig) würzte. "Hier, riech mal", ermunterte ich sie. "So riecht die weite Welt", murmelte ich und hielt ihr frischen Ingwer unter ihr Näschen. "Hmmm, die Welt riecht aber frisch", meinte Vianne daraufhin genießerisch. Sie schnüffelte sich noch durch Kurkuma, Curry und Bockshornklee, Lauchzwiebeln, Knoblauch, frischen Thymian und Majoran. Manchmal riecht das Leben verdammt gut! Letzte Woche haben wir noch zwei erfrischende französische Filme geschaut, die ebenfalls ein wahrer Genuss waren: "Monsieur Claude und seine Töchter" und "Madame Mallory und der Duft von Curry". Wenn Vianne stabil bleibt fahren wir Freitag nach dem MRT für wenige Tage weg... noch mehr von der Welt "erschnuppern"...


Echtzeit! "Viel Farbe im Grau"



Sonntag, 31. Mai 2015


Dank eines anderen Blogs bin ich auf diesen ach so wichtigen Verein gestoßen: "Viel Farbe im Grau"! Sie versuchen, schwerkranken Kindern einen  Herzenswunsch zu erfüllen. Dabei stehen nicht nur Wünsche monetärer Art im Vordergrund, aber vieles kostet halt - und so ist der Verein natürlich auf Spendengelder angewiesen, auch wenn er auf eigene Faust immer wieder Aktionen veranstaltet, um Gelder herein zu bekommen. Es gibt auch einen Nähkreis, wo wirklich süße Dinge, vom selbstgenähten Sorgenfresser bis hin

zu Mützen und Täschchen entstehen. Eine großartige Sache! Erst vor wenigen Wochen hatte ich den Verein angeschrieben und ihnen von unserer "kleinen Kämpferin" erzählt. Bis Mitte Mai haben sie "Wunschzettel" gesammelt und uns direkt im Anschluss kontaktiert. Sie wollten auch Vianne einen Wunsch erfüllen. Letzte Woche stand daraufhin ein Überraschungspäckchen vor unserer Haustür, gefüllt mit einem schönen Schleich-Pferd samt Elfe, einer an Vianne adressierten Karte, etlichen wunderschönen selbstgenähten nützlichen Dingen und vielen weiteren kleinen Überraschungen, die ein Kinderherz höherschlagen lassen. Und dann waren da noch zwei Eintrittskarten... Ich hatte in unserem Brief erwähnt, dass Vianne Pferde und Elfen zauberhaft findet. Daraufhin erhielten wir die Anfrage, ob ihr eventuell "Apassionata" gefallen könnte, eine phantastische Show mit Pferden, feuriger Akrobatik, anmutigen Balletttänzerinnen und fabelhaft anmutenden weißen Fächern und Farbenspielen.

Gemeinsam begaben wir uns heute zur Show nach Düsseldorf. Wir nahmen noch Ada und Andi mit und erlebten ein paar unbeschwerte Stunden, in denen der "freche Wicht" in die hinterste Ecke unseres Denkens verbannt wurde - eingesperrt und ausgeschlossen. Mit Feuereifer verfolgten wir "die goldene Spur" (so der Titel) und ließen den schwarzen Schatten für einen Moment hinter uns. Als ein Minipferdchen in die Arena galoppierte, konnte Vianne nicht mehr an sich halten und rief voller Inbrunst: "Ist das schnuckelig!" Besonders gut gefielen ihr auch die wilden Reiter, die kopfüber am Pferd hingen, im Galopp absprangen, um gleich darauf wieder rücklings auf dem Pferderücken zu sitzen. Aber auch die ruhige, anmutige Dressur nahm sie in ihren Bann.




Ansonsten konnten wir die letzten Tage viele Aktivitäten verwirklichen, die sich Vianne gewünscht hatte: Kindergartenbesuch, Teilnahme am Schwimmkurs, Übernachtung im Kindergarten - zumindest eine halbe, denn um halb elf am Abend wollte Vianne doch lieber abgeholt werden, was auch völlig okay war. Sie hatte ein paar aufregende Stunden dabei sein können, und nur das zählt. Dafür durfte sie gemeinsam mit Luke bei mir nächtigen - und Micha wurde zu Lukes "Monsterkrabbe" ausgelagert


Echtzeit! Kindergarten und Schule



Freitag, 29. Mai 2015


Letzte Woche gab es einen Elternabend an unserer Grundschule, auf dem die Klasseneinteilung bekanntgegeben und die zukünftige Klassenlehrerin vorgestellt wurde. Die Schule hat ein wirklich gutes "Hilfsnetzwerk" um uns gesponnen: alle Kinder, die Ada und Vianne Rückhalt geben, sind in ihrer Klasse, alle Eltern, die uns immer tatkräftig unterstützt haben, sind dabei. Wir freuen uns sehr darüber - es macht es leichter. Und wir haben eine tolle Klassenlehrerin bekommen, der ich es absolut zutraue, die schwere Situation mitzutragen und allen Kindern emotionalen Rückhalt zu geben. Ansonsten fiel es mir sehr schwer, zwischen all den anderen Eltern zu sitzen, die so erwartungsfroh der Einschulung entgegensehen. Als die Rektorin auf die kommenden, spannenden nächsten vier Jahre zu sprechen kam, konnte ich kaum meine Tränen zurückhalten. Vianne hat wahrscheinlich keine so weitreichende Zukunft. Sie wird um die nächsten Jahre betrogten - einfach so. Daneben steht Ada, die schon jetzt so sehr leidet, wenn Vianne nicht an ihrer Seite ist. Somit wird auch sie ein Stück weit betrogen - um eine unbeschwerte Kindheit. Ich hoffe nur, dass beide Mädels gemeinsam die Einschulung erleben, dass Vianne zumindest etwas am Schulalltag teilhaben kann. Gestern hatten sie ihren Schnuppertag in ihrer neuen Klasse. Für eine Stunde verschwanden sie mit ihren neuen Etuis, ihren Schulkameraden und ihrer Lehrerin in ihrem zukünftigen Klassenzimmer - beide Mäuse waren so herrlich aufgeregt und hatten sich extra schick gemacht für diesen "Anlass".  Ada plagten etwas Bauchschmerzen, die sich später aber wieder verflüchtigten. Jedes Kind wurde einzeln aufgerufen, und dann trottete die kleine, bunte, quirlige Schar schüchtern hinter der Lehrerin her. Glücklich und zufrieden kamen mir Ada und Vianne später wieder entgegen - was für ein gelungener "1. Schultag".


Morgen übernachten sie im Kindergarten - sozusagen als Verabschiedung. Wir drücken auch hier die Daumen, dass Vianne mitmachen kann. Nächsten Freitag ist der nächste MRT-Termin. Sie wollen sich den Kopf anschauen. Sechs Wochen nach erster Erivedge-Gabe sind dann um. Die Studie gibt diesen Zeitabstand vor. Was werden wir sehen? Wir haben furchtbare Angst vor dem Ergebnis. Erivedge ist unser "letzter Strohhalm"...


Echtzeit! Meeresbalsam



Dienstag, 26. Mai 2015


Heute vor einer Woche ging es Vianne verdammt dreckig - da kommen gleich wieder Ängste hoch, denn auch heute Abend bekam Vianne urplötzlich starke Kopfschmerzen. Wir konnten ihr eben noch das Novalgin verabreichen, bevor sie, noch bei mir auf dem Arm, einschlief. Aber es gibt auch schöne Nachrichten: wir waren über Pfingsten bei unseren lieben Freunden (die sich so dermaßen nach Familie anfühlen), wir waren gemeinsam am Meer, wir waren auf dem Hof. Für mich hat sich der Kreis geschlossen. Es fühlte sich gut und richtig an. Ganz spontan sind wir am Samstagmorgen kurz nach fünf Uhr Zuhause aufgebrochen, nachdem die Nacht und der Freitag unauffällig verlaufen waren - ohne Erbrechen oder größere Schmerzattacken. Mut gemacht hatte mir im Vorfeld das Kinder-Palliativ-Team, das am Donnerstag zu Besuch war. Wir haben sie während der schlimmen Tagen aktiviert, weil wir uns so hilflos, so heillos überfordert gefühlt hatten. Eigentlich hatte der aufsuchende Arzt nur in einem kleinen Nebensatz erwähnt, dass Tavor (ein Medikament gegen Krampfanfälle) unterwegs leichter zu verabreichen wäre als Diazepam, wenn wir z.B. über die Feiertage nach Holland oder sonst wohin fahren wollten. Okay!
Alle Kinder verschliefen fast die gesamte Fahrt Richtung Norden, nach drei Stunden waren wir schon am Ziel. Was für ein warmherziges Wiedersehen. Nach einem ausführlichen und gemütlichen Frühstück schlenderten Uli und ich über den wirklich netten Wochenmarkt, um noch ein paar Leckereien für das Abendessen einzukaufen, bevor es später mit allen gemeinsam zum wunderschönen Ahrensburger Schloss ging. 

Vianne schlummerte noch vor dem Abendessen auf der Terrassenliege, in dicke Decken gekuschelt, ein. Später trugen wir sie leise ins Schlafzimmer, wo sie zwischen uns gebettet weiter schlief. Die Nacht war ruhig und wohltuend. Früh am nächsten Morgen ging es nach Dahme, wo wir in einem netten Strandrestaurant mit wunderbarem Ausblick auf Strand und Meer ausgiebig frühstückten. Ein fast menschenleerer Strand und ein strahlendblauer Himmel lachten uns an. Das Meer, das Licht, die Luft - Balsam für meine verletzte Seele. Wahrer "Meeresbalsam", der einige Narben verblassen ließ. Das erste Mal seit Wochen fühlte ich mich wieder richtig lebendig. Sollen wir doch ans Meer ziehen? Vianne und die anderen Kinder wollten später unbedingt Tretboot fahren. Wir willigten ein, obwohl wir noch eine halbe Stunde Wartezeit einplanen mussten. Früher hätten wir uns dagegen entschieden. Nun machen wir die Dinge einfach, die Vianne gerne machen will, und zwar gleich (sofern es sich realisieren lässt). Die Wartezeit überbrückten wir mit einer wilden Strandbuddelei. Draußen auf dem Wasser war Vianne ganz still und andächtig, während Loulou, Ada und ich wie wild trampelten, um gegen Wind und Wellen anzukommen. Schließlich mussten wir dem Jungs-Boot (mit Micha, Lu und Dalo) entkommen, das uns immer rammen und "versenken" wollte. Nach der erfrischenden Fahrt ließen wir uns einfach in den Sand fallen und genossen bei einer Flasche leckerem Rosé, während die Kinder am Strand fangen spielten. Irgendwann kam Ada pitschenass vom Meer her zu uns gelaufen, ihre dicke Strickjacke hing wie ein nasser Sack an ihr. Aber da ich meine kleine, wilde, süße Tochter gut kenne, hatte ich vorsorglich einen ganzen Kleidersack mit Wechselsachen mitgenommen. Vianne wirkte insgesamt glücklich und zufrieden. Sie kann zwar beim Klettern, Fangen und Rennen nicht mehr mitmachen (was sie hin und wieder traurig werden lässt), aber sie kann noch teilhaben. Die übrigen Kinder finden meistens eine Lösung, dass sie auf ihre Art mitspielen kann. Und das ist auch ganz viel wert!





Ihre Motorik hat sich verschlechtert, ihr rechtes Bein wirkt zunehmend kraftloser, sie läuft sehr wackelig und vermeidet fremde Treppen, zumindest beim Runtersteigen. Im Haus unserer Freunde hat sie uns immer gerufen, wenn sie nach unten wollte. Allein traute sie sich nicht mehr. Dann trugen wir sie einfach hinunter. Hier zuhause geht es noch allein.

Nach dem Strandbesuch machten wir uns am späten Nachmittag auf den Weg zum Hof. Die letzten paar Meter ging ich von einem nahe gelegenen Ausflugsgut, wo wir noch Kuchen besorgt hatten, allein zu Fuß. Diesen Moment brauchte ich für mich, um mit meinen Gefühlen ins Reine zu kommen. Um noch einmal die schmerzhafte Vergangenheit Revue passieren zu lassen. Wohltuende,  reinigende Tränen liefen mir die Wange herunter. Vor knapp vier Jahren war ich während eines Besuchs diesen Weg mit zwei vermeintlich gesunden Zwillingsmädchen entlang geschlendert. Es gibt noch Fotos davon. Wie glücklich wir waren. Wie heißt es in einem Zitat von Boethius: "Welche Wendung zum Schlechten das Schicksal auch nehmen mag, so ist der Unglücklichste unter den Unglücklichen jener, der einst glücklich war" (Über den Trost der Philosophie). Beim letzten Mal sind wir diesen Weg mit dem Fahrrad entlang geradelt - im Sommer 2012 - Ada und Vianne saßen im Anhänger. Nach einer ausgiebigen Fahrradtour hatten wir uns bei einer warmen Suppe auf dem nahe gelegenen Gut gestärkt. Vianne lief über den Schotterplatz. Sie lief so schlecht und seltsam, taumelte und stürzte, dass es uns eiskalt den Rücken hinunter lief. In diesem Moment überfiel uns die Gewissheit (nur wenige Tage vor dem MRT-Termin in Kiel), dass etwas Schlimmes im Gange war. Auch wenn wir es noch nicht richtig greifen konnten. Natürlich erinnere ich mich daran, wie sorgenbehaftet wir während unseres Aufenthaltes auf dem Hof unserer Freunde nach Viannes Symptomen im Internet gesucht hatten, wie auffällig zittrig und unkoordiniert sie in eben dieser Küche versucht hatte, den Löffel mit der rechten Hand zum Mund zu führen. All diese Gedanken durchfluteten meinen Kopf, während ich den Weg entlanglief. Doch je näher ich dem Gehöft kam, desto mehr legte sich eine innere Ruhe auf mich. Bilder und Szenen, wie wir lustige Wasserschlachten während dieses Urlaubs 2012 rund ums Haus veranstaltet hatten, wie Ada nicht nur sich, sondern das halbe Badezimmer mit Sonnencreme eingeschmiert hatte, Vianne sich im Pool räkelte, wie wir die Schafe anblökten und uns prächtig mit ihnen unterhielten, wie wir noch am MRT-Tag mit den Jungs Federball gespielt hatten, während die Mädels auf Trampeltreckern um uns herum düsten... Ich liebe diesen Hof - das wurde mir in diesem Moment so dermaßen klar. Dieser Hof symbolisiert für mich all das, was vor Viannes Erkrankung liegt, vor dem schrecklichen MRT-Ergebnis.

Denn danach bin ich bisher nie wieder dort gewesen. Dieser Hof beschert mir die letzten unbeschwerten Stunden VOR DIESEM SCHEIß TUMOR. Der Hof beschert mir innere Ruhe - ganz eng verbunden mit meiner Liebe zu Vianne und der engen Verbundenheit zu unseren Freunden. Mit einem Lächeln im Gesicht kam ich schließlich an. Ich bin so glücklich, diese Reise mit Vianne und allen anderen gemacht zu haben. Wie sagt es meine liebe Uli so treffend: "Vianne hinterlässt Wellen... Vianne verändert..."








Heute Abend hier zu Hause ist Ada endlich mit der Sprache rausgerückt. Sie ist ziemlich mürrisch und schlecht gelaunt in letzter Zeit - so Ada untypisch. Etwas schnodderig kommt sie gerne manchmal rüber, aber das hier ist etwas anderes. Nachdem wir uns beim Zubettgeh-Programm im Badezimmer gestritten hatten, brach sie in Tränen aus: "Ich vermisse Vianne". Sie leidet. Ich hatte es mir schon gedacht, dass etwas mit ihr nicht stimmt. Sie fragte mich, warum "das mit dem Sterben sein muss", sie sagte mir, dass sie "ihre Vianne" wiederhaben will, dass alles so wie früher werden soll. Ada, Micha und ich vergossen gemeinsam ein paar Tränen, während Vianne erschöpft in ihrem Bett schläft...




7. Februar 2017

Echtzeit! Ein neuer Tag



Mittwoch, 20. Mai 2015


Wir sind unendlich erleichtert: es geht ihr besser. Viel besser! Ich wage kaum noch, über einen Tag zu berichten, weil sich kurz nach dem Schreiben schon wieder eine völlig neue Situation ergeben haben kann. Die Wechsel sind zu schnell, wir kommen emotional nicht mehr nach, sind einen Tag starr vor Schreck, weil Vianne leidet und fühlen uns zwölf Stunden später wie befreit, weil sie diesem Tumor noch einmal den "Stinkefinger" gezeigt und sich wider Erwarten ganz schnell von den Strapazen der vergangenen Tage erholt hat. Gestern war ein schrecklicher Tag, ein beängstigender Tag. Heute haben wir jeden Moment genossen - auch wenn ich mich immer wieder dabei ertappe, wie ich Vianne genau "unter die Lupe" nehme, jede Regung deute, bei jedem Husten alarmbereit mit der Brechschüssel neben ihr stehe. Bereits um halb sechs heute Morgen wurde Vianne wach und hatte Kopfschmerzen. Sofort gab's die Schmerztropfen. Sie schlief daraufhin wieder ein. Ich wappnete mich innerlich für einen weiteren schmerzbeladenen Tag. Doch beim nächsten Aufwachen waren die Kopfschmerzen verschwunden. Sie wollte ausgiebig kuscheln. Mehr aus Gewohnheit bot ich ihr einen Milchschaum mit Honig an. "Ja, lecker", antwortete sie. Ich dachte mich verhört zu haben. Sie hatte wieder Appetit und schlürfte den Schaum genüsslich weg, verspeiste dazu einen Keks. Von Übelkeit keine Spur. Wir bauten ihre Murmelbahn auf. Sie wirkte präsent, lief durch das Haus, stieg Treppen, zwar noch etwas zittrig auf den Beinchen, aber sie stieg. Ihr Appetit hielt an, die Kopfschmerzen blieben fern, die Übelkeit ebenso - ganz ohne Schmelztablette. Zum Mittagessen verspeiste sie zwei von Andis selbstgemachten "Super-Frikadellen", mehrere Stücke Wassermelone und schob noch einen Schokokuss nach. Mit schokoverschmierten Mund verkündete sie, dass sie ins Schwimmbad wolle. Ich glaube, ich habe ziemlich dämlich dreingeschaut. Wohin wollte sie? Ich schlug ihr vor, den Schwimmbadbesuch noch ein wenig zu vertagen und vorher erst noch etwas Energie zu tanken. Sie überlegte kurz: "ok, dann reiten wir." Ja, dann gehen wir reiten, alles was du willst, mein Schatz, jubelte ich innerlich. Um 15.30 Uhr saß sie schon auf  Wilma?/Wanda? und ließ sich von ihr gemächlich im Schritt durch die Wälder tragen, Ada ritt auf "Flocke" an ihrer Seite oder trabte und galoppierte schon mal - von Andi sicher am Strick gehalten - voraus. Vianne hat neuerdings Angst vorm Traben, das ist auch in Ordnung. Später holten wir uns alle noch ein Eis und kuschelten uns Zuhause gemütlich hin. Wir sind vorerst erleichtert, aber wir wissen auch, wie schnell und plötzlich sich ihr Zustand verändern kann. Das verunsichert. Aber wir haben einen großen Gegenpol: Sicherheit bieten die uns umgebenden Hilfssysteme, die verschiedenen Dienste, Krankenschwestern und Ärzte, die parat stehen. Und natürlich unsere Familie und all die lieben Freunde, die uns voller Sorge nach dem gestrigen Eintrag mit Hilfsangeboten, Leckereien, kleinen Geschenken und mutmachenden Worten aufrecht gehalten haben.



Echtzeit! Parallelwelt



Dienstag, 19. Mai 2015


Ja, die Nacht von Sonntag auf Montag war ruhig. Vianne schlief bei uns im Bett. Ada wollte natürlich auch zu uns, aber dann hätten wir alle keinen Schlaf bekommen. Sie weinte. Also verabredeten wir, dass Vianne bei Papa und ich bei ihr schlafen würde. Das war für Ada annehmbar. Diese Nacht war eine letzte Ruhepause vor dem Sturm. Seit Montagmorgen geht es Vianne jeden Tag ein kleines bisschen schlechter. Montagmorgen hat sie sich mehrmals übergeben müssen. "Es ist so widerlich", bringt sie zwischen Tränen hervor. Ich gebe ihr das Mittel gegen Übelkeit und spreche mich kurz mit Dr. B. ab. "Hey Süße, Dr. B. hat gerade angerufen, ich soll dir liebe Grüße von ihm ausrichten", sage ich zu Vianne. Vianne schaut mich ruhig an und sagt völlig nüchtern: "Mama, mein Pipi hat gerade angerufen, ich soll dir von ihm ausrichten, dass es zur Toilette muss." Ich breche in schallendes Gelächter aus, blende für einen kurzen Moment alle Sorgen aus. Sie kichert mit mir. Sie ist unglaublich. Wie sehr ich ihren trockenen Humor liebe. 

Kurz darauf schläft sie völlig fertig für einige Stunden auf dem Sofa ein. Ich traue mich kaum von ihrer Seite. Am Nachmittag geht es ihr endlich etwas besser. Sie isst eine Kleinigkeit. Ich wage zu hoffen, dass das Erbrechen vorerst vorüber ist. In der Nacht zu Dienstag bekommt Vianne schlimme Kopfschmerzen. Wir holen sie wieder zu uns ins Schlafzimmer. Trotz der Schmerzen weigert sie sich, die Tropfen zu nehmen. Sie schreit, sie weint, sie verschluckt sich. Ich verliere die Nerven, nach mehrmaligen Bitten wird mein Ton schärfer. Sie muss doch die Tropfen nehmen, damit wir den Schmerz unter Kontrolle kriegen! Ich werde immer lauter, bin irgendwann völlig außer mir. Vianne ebenso. Nach so viel Druck gibt sie schließlich nach, nimmt die Tropfen - und fällt kurz darauf in einen tiefen Schlaf. Ich habe die Kontrolle verloren. Meine heißen Tränen fallen auf ihr blasses Gesicht. Ich fühle mich so hilflos, so schlecht. Ihre kleine Hand schmiegt sich ganz fest in meine. Ich kann nicht aufhören, diese kleine Hand mit meinen Küssen zu bedecken. Ich kann die Tränen nicht stoppen.

Nachdem ich Ada in den Kindergarten gebracht habe, fahre ich heute Morgen ganz früh zu einem wichtigen Termin. Micha bleibt solange bei Vianne, bis ich wiederkomme. Erst dann macht er sich auf den Weg ins Büro. Auf den ersten Blick scheint es Vianne ganz gut zu gehen. Sie "spielt" auf der Gitarre und singt dabei total schräg. 

Sie will sogar "Dragi Drache" mit mir spielen. Aber ihre Augen schauen zu oft zu leer und sie hat noch inmmer keinen Appetit. Kurz darauf übergibt sie sich (Hilfe!) und klagt über Kopfschmerzen. Ich gebe ihr wieder die Schmerztropfen. Eine halbe Stunde später spuckt sie sie wieder aus. Sie schläft ein, liegt neben mir auf dem Sofa. 
Zum Glück kommen meine Eltern vorbei, versorgen die übrigen Kinder mit warmen Essen. Vianne will kein Mittagessen, eigentlich will sie gar nichts, sie schlürft lediglich einen kleinen Smoothie. Der Alltag der Jungs läuft währenddessen weiter: Jesse hat heute eine Deutsch-Klausur geschrieben, Luke musste heute nach dem Tennistraining sein Tennis-Stadtmeisterschaften -Spiel austragen. Ich hole ihn nachmittags vom Training abund bringe ihn nach Schwerte auf den nächsten Tennisplatz, während meine Eltern auf Vianne Acht geben. Ada ist derzeit bei ihrer kleinen Freundin zu Besuch. Ich unterhalte mich mit Lukes Trainerin und mit anderen Eltern, treffe unterwegs noch kurz auf eine Freundin. Alles läuft so normal weiter, ich laufe unbemerkt in meiner Parallelwelt nebenher. Auf dem Rückweg erreicht mich der Anruf meines Vaters: Vianne habe schrecklich erbrochen - zum Glück nur wenige Meter von unserem Haus entfernt. Meine Eltern hatten sie im Buggy eine kleine Runde spazieren gefahren. Dabei war sie eingeschlafen - schon auffällig. Als ich nach Hause komme, liegt Vianne schlaff und kraftlos bei Jesse im Arm. Immer wieder dämmert sie weg, erwähnt zwischendurch Kopfschmerzen. Ich bekomme Angst und rufe erst Dr. B. und anschließend die Kinderkrankenschwester vom Pflegedienst an, die später vorbeikommt. Erneut gebe ich Vianne das Mittel gegen Übelkeit, später die Schmerztropfen. Sie erholt sich ein wenig. Jetzt schläft sie.

Wir schaffen es nicht an die Ostsee. Ich glaube, der Ausflug in die Eifel war unser letzter. Erivedge scheint nicht zu wirken. Es fällt mir schwer, die Ruhe zu bewahren, wenn Vianne ständig würgen muss, wenn sie völlig entkräftet einschläft und die Augen unter den halb geschlossenen Lidern nach hinten weggleiten. Und das ist erst der Anfang... Vianne ist verängstigt. Ich auch. Auch Ada ist verändert. Sie ist zu lieb zu Vianne, überlässt ihr bereitwillig ihre Süßigkeitenration, macht ihr freiwillig Zahnpasta auf die Zahnbürste, lässt sie die Farbe der Spielfigur aussuchen. Ich habe Kinderbücher zum Thema „Sterben" bestellt, die heute eingetroffen sind. Es ist so pervers. Das erste Buch "Yolante sucht Crisula" habe ich Ada und Vianne heute vorgelesen: sie fanden es beide "doof". "Warum?", wollte ich wissen. "Es ist nicht spannend", so Adas Kommentar. Vianne sagte nichts.



Echtzeit! Unruhig



Sonntag, 17. Mai 2015


Wir sind unruhig. Um vier Uhr heute Morgen hatte Vianne eine Art Kruppanfall. Bevor der bellende Husten und das schwere Atmen begann, saß sie schon weinend in ihrem Bett. Ich trug sie ins Badezimmer, und wir hockten uns eine gute halbe Stunde in Decken eingemuckelt vor das weit geöffnete Fenster, während warmes Wasser aus der Dusche lief. Die kalte feuchte Luft sollte ihr das Atmen erleichtern. Mist! Sie atmete zu verkrampft, trotz Nasentropfen. Irgendwann schliefen wir alle wieder ein, Vianne zwischen uns gekuschelt.

Auch nach dem Aufstehen wirkte sie nicht richtig fit, dabei hatten die Mädels doch heute eine Einladung zum Reiten mit Conni. Beide wollten unbedingt hin, also beließen wir es bei dem Termin. Noch während wir am Telefon miteinander sprachen, fing Vianne abermals an zu husten und erbrach sich plötzlich schwallartig. Schon wieder! Erst gestern hatte ich Dr. B. Rückmeldung gegeben, dass alles soweit gut sei. Tja.... Allerdings erholte sich Vianne im Laufe des Vormittags, bekam Appetit, mampfte ihr Frühstücksbrötchen und konnte es dann auch kaum abwarten, bis es zum Ausritt ging. Aber irgendwie gefiel sie mir noch immer nicht. Sie war zu blass, wollte nur im Schritt reiten und wirkte unglaublich müde. Auf der Rückfahrt war sie sehr ruhig – zu ruhig. Zuhause angekommen wollte sie nur auf meinen Schoß, wollte nicht essen, wollte nicht spielen. Sie klagte über leichte Übelkeit. Wir ließen Erivedge heute Abend weg, da wir vermuteten, dass sie es uns sowieso in hohem Bogen entgegenspucken würde. Seit dem frühen Abend liegt sie wieder völlig fertig bei uns im Bett. Sie konnte sich kaum noch auf ihren kleinen, dünnen Beinchen halten. Ich bin unruhig und schaue der Nacht ängstlich und angespannt entgegen.


Echtzeit! Wunderbare Walderlebnis-Wohlfühl-Tage



Samstag, 16. Mai 2015


Vianne ging es die letzten Tage gut - so dass es uns ebenfalls ganz gut ging. Am Mittwoch wollte sie morgens mit Ada für zwei Stündchen in den Kindergarten, nachmittags besuchten wir "unsere" Lilli und verbrachten einen vergnüglichen Sonnentag zwischen Wasserschlacht und Kuchen. Nur zum Ende musste ich mich arg zusammenreißen. Als Vianne etwas Pause brauchte und sich auf der Wiese ausstreckte, legte ich mich kurz zu ihr auf das Handtuch: "Mama, wenn ich sterbe, kannst du gar nicht mehr mit mir kuscheln", überlegte sie.

Auch den Donnerstagmorgen zeigte Vianne keine neuen Auffälligkeiten, so dass wir uns kurzfristig entschlossen, an dem dreitägigen Walderlebnis in der Eifel teilzunehmen, zu dem eine liebe Freundin im Rahmen ihres Geburtstages eingeladen hatte. Eine gute Entscheidung! Es waren wunderbare Wald-Wohlfühl-Tage inmitten der Natur und lieben Leuten und einer Riesenschar von Kindern.









Vianne war mittendrin. Wir nächtigten in rustikalen Vierbettzimmern, saßen abends auf dem Flur und lachten herzlich und fühlten uns fast wieder wie damals auf dem Schulausflug. Wir grillten, wir schnitzten, wir aßen wildwachsenden Bärlauch und Brennesseln, backten Stockbrot, versuchten mehr schlecht als recht, ein Feuer zu entfachen, hackten Holz, sahen den Wald aus der Perspektive eines Fuchses, ließen uns die Sonne aufs Gesicht scheinen, warfen Bananen ins Lagerfeuer, die wir hinterher genüsslich verspeisten (Vianne aß vier!), probierten Kunststücke auf der Slagline, spielten Fußball und Volleyball, tranken irgendein Tannennadeln-Kräuter-Gebräu (sehr lecker) und ließen ohne Raum und Zeit Wald und Wiese und verzauberte Pfade auf uns wirken. Natürlich war da immer wieder die Angst, dass sich Vianne überanstrengt, weil sie mit den anderen Kindern mithalten will, oder dass es ihr abseits von Zuhause plötzlich rapide schlechter geht. Aber das passierte nicht. Und wir wehren uns nach wie vor, uns eigenhändig einzumauern und unsere Aktivitäten und Ausflüge aus einer (wenn auch realen) Angst heraus zu unterbinden. Wir entscheiden kurzfristig - aber wir entscheiden - noch! Geht's ihr gut, fahren wir, wenn nicht, dann nicht.

Vianne hat mittlerweile 24 Erivedge-Gaben bekommen, noch 18 weitere, dann stehen die nächsten Kontroll-MRTs an, wenn sich ihr Zustand bis dahin nicht rapide verschlechtert. Die Sehstörung ist seit Dienstag nicht wieder aufgetreten. Heute Abend hat sie allerdings wieder etwas bei der Medizineinnahme gewürgt, den Großteil aber bei sich behalten. Insgesamt hatten wir ein paar ruhige, entspannte Tage, aber wir wissen auch, dass die See trügerisch ist und die nächste große Welle sicherlich bald wieder über uns hereinbrechen wird. Unser neues Ziel: Pfingsten bei lieben Freunden auf ihrem Hof an der Ostsee verbringen - dort wo alles begann, wo es seinen Anfang nahm, wo wir das erste Mal den Tumor zu Gesicht bekamen und diese schrecklichen Ängste zum ersten Mal in uns hoch krochen und von uns Besitz ergriffen. Es ist wichtig, dorthin zu fahren, diesen Ort aufzusuchen, das spüre ich. Alles zieht mich dorthin. Als ob wir etwas zu Ende bringen müssten - wie immer dieses zu Ende bringen auch aussehen mag. Aber wir sind nicht allein dort – das wissen wir. Danke!

Echtzeit! Wie?



Dienstag, 12. Mai 2015


Die Nacht von Montag auf Dienstag verlief ruhig. Morgens kam Vianne wieder in unser Bett gekrabbelt. Es ging ihr gut. Mir auch. Bis sie aus heiterem Himmel diesen einen Satz sprach - ganz schlicht: "Ich will nicht sterben." Wie geht man mit so einem Satz um? Wie? Ich glaube, ich habe es nicht gut gemacht. Ich war so überfordert, dass ich mich ein paar Stunden später kaum noch daran erinnern kann, was ich ihr zwischen (meinen) Tränen eigentlich genau gesagt habe. Ich muss mich besser vorbereiten. Morgen werde ich mir Rat holen. Sie wechselte dann auch ziemlich schnell das Thema. Bis sie später mit Ada im Bad stand und scheinbar ganz emotionslos zu ihr sagte: "Ada, du, ich werde wahrscheinlich sterben...." Sie sagte es im gleichen Tonfall, als wolle sie mitteilen, dass sie gleich in den Kindergarten oder zum Blumenpflücken oder zum Einkaufen geht. Ich stand wie erstarrt. Ada wirkte erst etwas irritiert, schaute mich fragend an, sagte dann im Hinausgehen aber mit normaler Stimme: "Dann werde ich dich sehr, sehr vermissen." Es ist so unwirklich!

Heute Abend erwähnte Vianne zum ersten Mal, dass sie so komisch sehen würde, dass die Dinge nicht übereinander sind, dass das eine Bild hier, und das gleiche Bild dort sei. Ich glaube sie meint Doppelbilder. Das ist nicht gut. Gar nicht gut. Irgendetwas mit "Augen" habe ich in der Nebenwirkungsliste von Zofran gelesen. Ich muss gleich noch mal genauer nachgucken. Wahrscheinlicher ist aber, dass einer der Tumore auf irgendetwas drückt. Wir werden abwarten und beobachten. Was sollen wir auch tun? Sollte es schlimmer

werden oder weitere Symptome hinzukommen, werden wir die Ärzte kontaktieren. Hoffen wir auf eine ruhige Nacht.







Echtzeit! Nachts



Montag, 11. Mai 2015

 
Ich mag die Nacht (was vielleicht auch daran liegen mag, dass ich unglaublich lange auf bin und die mich umgebende Ruhe und Dunkelheit genieße). Die Nacht offenbart so viele neue Perspektiven. Äußerst faszinierend ist der Moment, wenn sich die Nacht langsam zurückzieht und dem ersten Schimmer eines neuen Tages Platz macht. Angst hat mir die Nacht noch nie gemacht - bis Vianne krank wurde. Letzte Nacht war schmerzlich. Bereits bei der Erivedge-Gabe fing Vianne an zu würgen und erbrach sich schließlich. Tränen kullerten ihr die Wangen hinab. Es ist schmerzhaft, es anzusehen. Jede Träne höhlt uns aus, wäscht immer mehr Substanz weg und schwemmt einen Teil von uns davon. Micha duschte Vianne ab. Wir überlegten, ob wir noch einen Versuch starten sollen, aber sie sah so elendig aus und bat mit tränenerstickter Stimme: "Nicht noch einmal, eine Ausnahme, bitte, nur heute." Wir starteten keinen weiteren Versuch. Bevor wir sie hinlegten, gaben wir ihr das Mittel gegen Übelkeit. Ich kann nicht sagen warum, aber ich lauschte die halbe Nacht nach ihr. Um zwei Uhr hörten wir sie. Sie rief. "Es" würde sich so komisch anfühlen.
Nicht gut - gar nicht gut. Ich trug sie runter in unser Schlafzimmer. Ihre Beinchen taten weh. Ich massierte sie mit Solum-Öl. Erschöpft und blass lag sie in den Kissen - bis sie erneut würgte. Ich wachte die Nacht über sie. 1000 Fragen geisterten durch meinen Kopf. Warum erbrach sie? War der Tumor am Hirnstamm gewachsen und reizte die Region? War es lediglich eine Nebenwirkung des Medikaments? Erst am frühen Morgen fiel ich in einen unruhigen Schlaf. Micha kümmerte sich um die übrigen Kinder und brachte Ada in den Kindergarten, während Vianne und ich langsam erwachten. Sie sah noch immer blass und mitgenommen aus. Ich trug sie ins Wohnzimmer und kuschelte sie gemeinsam mit "Hoppel" in ihre Lieblingsdecke. Sie hatte weder Hunger noch Durst. Kurz darauf erbrach sie ein drittes Mal. Ich schrieb Dr. B. an und skizzierte die Situation, auch um abzuklären, wie oft ich Vianne etwas gegen Übelkeit geben darf. Die Rückmeldung kam prompt (auch wenn ich es gar nicht erwarten würde, weil ich weiß, wie sehr er beansprucht wird - aber es ist ein gutes, ein beruhigendes Gefühl). Vianne erholte sich im Laufe des Vormittags langsam, aber stetig. "Vita" kuschelte sich ganz eng an sie, als ob sie sie trösten wollte.

Gegen Mittag war Vianne so fit, dass wir Ada gemeinsam aus dem Kindergarten abholen konnten. Am Nachmittag merkte man ihr kaum noch etwas von den Strapazen der Nacht an, abgesehen von den blauen Schatten unter ihren Augen. Sie scherzte schon wieder rum und stolzierte mit meiner Sonnenbrille auf der Nase auf und ab. 

Dann meckerte sie, weil ich ihre spontane Spielregeländerung beim "Schneckenrennen" nicht akzeptieren wollte. Später kochte sie im Garten ihre berühmte "Matschblumensuppe" und mampfte Äpfel dazu. Zur richtigen Stärkung gab es am Abend noch eine (echte) kräftige Rinderbrühe, die sie voller Genuss schlürfte. Kurz darauf hüpfte sie wie wild auf dem Trampolin. Diese Suppe müssen wir öfter kochen....

Zum Glück hat sie die heutige Erivedge-Gabe vorerst bei sich behalten. Warten wir die Nacht ab.