Dienstag, 9. Juni 2015
Wir
sind wieder Zuhause - und gleich heute Morgen ist es Vianne übel geworden. Wir
sollten ab jetzt immer Urlaub machen. Kurzerhand hatten wir Ende letzter Woche
entschieden, im Anschluss an den MRT-Termin das Weite zu suchen - insofern es
Vianne einigermaßen gut geht. Am Freitagabend war nicht mehr an eine Fahrt zu
denken, noch in der Nacht zu Samstag hatte sie erbrochen - am Samstagmorgen
ging es ihr dafür umso besser. Gemeinsam mit Andi, Ralf und Ada stiegen wir ins
Wohnmobil (die Mädels wollten schon immer mal eine Wohnmobil-Tour machen und
grinsten bereits beim Anblick) - und fuhren los. "Wozu hast du
Lust?", fragten wir Vianne. "Wohin möchtest du fahren?"
"Nach Afrika", antwortete Vianne spontan. Also auf nach Afrika - eher
gesagt in den Münsteraner Zoo. Wir fütterten Elefanten mit Salatköpfen und Gurkenstücken,
schauten den Robben bei ihren Kunststücken zu und beobachteten die Leoparden-Babys. Vianne
wirkte fit, lachte, futterte und scherzte, während sie auf Ralfs Rücken ritt.
Also ging es weiter gen Norden, an die Nordsee, nach Neuharlingersiel, wo
gerade der Jever Fun Kitecontest stattfand - eine gute Sache! Eine
einzigartige, entspannte Atmosphäre! Nächstes Wochenende ist die Meisterschaft
auf Fehmarn ... Wir bekamen einen Stellplatz direkt hinter dem Deich - auf der
anderen Seite das Watt, das Meer und unendlich viele bunte flatternde Kites
unter einem strahlend blauen Himmel. Ada, Vianne (und ich) juchzten laut auf,
denn: "Man muss immer etwas haben, worauf man sich freut." (Eduard
Friedrich Mörike) - und ich teile seine Meinung. Am Meer wurden wir fast
davongepustet - was für ein Vergnügen. Eigentlich machten wir nicht viel, wir
hatten überhaupt keinen Plan für den nächsten Tag, ließen uns einfach nur
treiben und sogen die Atmosphäre in uns auf. Wir bauten mit den Mädels
Sandburgen im Windschatten der Strandkörbe. Anschließend wollte Vianne
unbedingt eine Erbsensuppe futtern, die es auf dem Gelände der Kite-Surfer gab,
während uns der Sinn eher nach einem kühlen Getränk stand - vor dem Cappuccino
und der Auszeit im Liegestuhl. Wir probierten richtig coole Sonnenbrillen auf -
Ada und Vianne bekamen dank ihres Charmes auch gleich eine
geschenkt... Total spannend waren die Finalrennen der Kiter. Vianne wollte es
ihnen nachmachen, schnappte sich einen Liegestuhl, dessen Tuch sie kurzerhand
zum Kiteschirm umfunktionierte und ließ sich vom Wind in die Lüfte heben...
Wir ritten auf Robben und hinterließen Spuren im Sand - und wir chillten so
mächtig, dass dieser Scheiß-Tumor einfach in den Wellen versank - zumindest für
den Moment. Natürlich kamen wir auch nicht an dem "Hamsterrad" auf
dem Wasser vorbei, ohne es einmal auszuprobieren....
Die
Mädels sind unglaublich zäh. Obwohl es am nächsten Tag nur noch schlappe 14
Grad Celsius "warm" war, schmissen sie sich in ihre Badeanzüge und in
die graue Nordsee. Respekt! Ada lag mal wieder unfreiwillig komplett drin... Dann lieferten wir uns noch eine lustige
Algenschlacht. So viel Aktion macht Hunger - Vianne verspeiste später im Hafen unzählige
Kibbelinge und noch mehr Nordseekrabben (wovon sich "Möwe" Ralf ein
paar stibitzte, was zu lautem
Protest führte) Hin und wieder versuchten Angst und Pessimismus die Oberhand zu
gewinnen, aber solange Vianne sich so dermaßen fit zeigte, hatten beide
mächtigen Gegner keine Chance. Am letzten Tag unseres Kurzurlaubs erkundeten
wir den Spielplatz am Strand, spielten im Park eine Runde Schach und Mühle mit überdimensionalen
Spielfiguren, besuchten anschließend die Robben-Aufzuchtstation, bevor wir uns
am frühen Abend in aller Ruhe Richtung Heimat aufmachten. Dabei veranstalteten
Ada und Vianne einen Schimpfwort-Wettbewerb. Während anfangs sämtliche
Flatulenz- und (seichte) Fäkalienbegriffe fielen, wurden die Damen nach und
nach einfallsreicher: Irgendwann schleuderte Vianne Ada inbrünstig "du
verlorenes Kind" entgegen, woraufhin Ada mit "du Grashalm"
konterte.
Unsere
Ärzte sind erstaunt, wie fit Vianne trotz all der Tumorlast ist. Es gibt
weitere neue Metastasen im Köpfchen, die alten Herde sind zum Teil gewachsen.
Es kann nicht sein! Trotz all dieser hoffnungslosen Nachrichten weigern wir uns
nach wie vor, das Kommende zu akzeptieren. Es gibt diesen Teil namens Vernunft
in uns, der uns "vorbereitende" Bücher mit ihr lesen lässt (wir haben
mittlerweile ein wirklich gutes Kinderbuch gefunden „Die Königin und ich“, das
wir den Mädels auf eigenen Wunsch am ersten Tag mehrmals vorlesen mussten), aber
andererseits haben wir vergessen, vernünftig zu sein. Ich persönlich könnte bis zum Ende Zeit mit ihr am
Meer verbringen... In drei Wochen haben wir drei Wochen Urlaub. Halte durch,
kleine starke Vianne...Für das Meer, für die Wellen, für die Unvernunft...
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