Mittwoch,
6. Mai 2015
Heute
Mittag war die Frau vom Essener Palliativdienst da, um sich und die Tätigkeiten
des Vereins und die Möglichkeiten der Begleitung von betroffenen Familien
vorzustellen. Blöderweise hatte ich den Termin genau in die
Kindergarten-Abholzeit gelegt. Unterbewusstsein? Vielleicht wollte ich gar
nicht Zuhause sein? Keine Ahnung. Jedenfalls hat eine liebe Freundin die
Zwillinge abgeholt und hierher gebracht. Den Vormittag über ging es mir echt dreckig.
Verdrängung klappt nicht mehr, wenn solch ein Besuch ansteht - wenn ein weißes Auto
mit den fetten Lettern "Kinder-Palliativdienst" vorm eigenen Haus
parkt. Aber die Frau war gut und konnte der Situation etwas von dem Schrecken
nehmen. Ada und Vianne sprudelten vor Leben, flitzten vor dem Haus auf
Laufrädern und Rollern auf und ab, wirbelten durchs Haus und quatschten unsere
Besucherin hemmungslos zu, so als ob sie dem Schicksal einen fetten Tritt in
den (Entschuldigung) Arsch geben wollten. Sie sprudelten vor Leben, während wir
Erwachsenen Gespräche über Sterbebegleitung führten. Vianne soll
weiter
sprudeln.... Mein Verstand weiß, dass der Ansatz der richtige ist. Es ist
wichtig, gewisse Dinge vorher in die Wege zu leiten, abzuklären, sich kennenzulernen,
bevor die schlimmen Situationen über uns hereinbrechen. Mein Herz kommt aber
dem Verstand nicht hinterher und bröckelt. Wir sollen in den nächsten Tagen
Rückmeldung geben, ab wann wir die Palliativbetreuung benötigen.
Später
am Tag machten die Schlawiner "Klingelmännchen" - ich sah nur noch
einen roten und einen grünen Helm hinter der Hecke verschwinden, begleitet von
lautem Gekicher. Nach einem ausgiebigen Mittagessen plus Nachtisch und
Vorspeise und Vor-Vorspeise (nach dem Frühstück) vertilgte Vianne am Nachmittag
anderthalb Stücke selbstgemachten Erdbeerkuchen von Oma, der auf ihrem Teller
fast vollständig unter einem Sahne-Bergmassiv verschwand. Zwischendurch
stibitzte sie noch etliche Erdbeeren aus der Schüssel, bevor sie
am Abend ein Brot und drei Scheiben Wurst vertilgte. Was für ein gesunder
Appetit!
Vianne
ist momentan sehr verschmust. Wir kuscheln viel. Auch wenn ihr kindlicher Geist
die Situation noch nicht in aller Klarheit erfassen kann, weiß sie - glaube ich
- mehr, als sie preisgibt. Sie zeigt es uns nur nicht, als ob sie uns schützen
will. Nur in manchen Augenblicken schimmert es durch. Wenn ihre Augen ganz abwesend
schauen. Oder wenn sie ihre dünnen Ärmchen ganz fest um mich schlingt, so wie
heute Abend. "Ich habe dich unglaublich lieb", flüsterte ich ihr ins
Ohr. "Ich dich auch, Mama", flüsterte sie zurück, "nur...nur den
frechen Wicht HABE-ICH-ÜBERHAUPT-NICHT-LIEB", sagte sie laut und trotzig
und verletzlich
zugleich. Ich sehe es in ihren Augen: sie weiß mehr, als sie uns sagt.
Vianne
verzaubert uns alle - immer wieder. Ich weiß nicht, wie wir auf diesen Zauber
jemals verzichten sollen. Vielleicht ist sie zu zauberhaft für diese Welt?
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