Rückblick: Mittwoch, 12.
September 2012 - nachmittags
Auf
Station angekommen, richteten wir unser Krankenhauszimmer erst einmal gemütlich
ein. Loulous Schmetterlingsaufkleber klebten wir an Viannes Bett, die bunte
Schmetterlingslampe aus Papier kam darüber. Die Powermaus-Postkarte hefteten
wir an die Wand. Das „Schmücken“ wurde zu einem Ritual. Vianne sollte
sich wohl fühlen, sobald sie wach wurde. Die unzähligen Stofftiere und die
Eulen-Spieluhr lagen sowieso schon in ihren Armen. Unsere Lieblingsbücher
platzierten wir auf dem kleinen Nachttisch. Schließlich schlug die Maus die
Augen auf, nuckelte genüsslich an ihrem Schnuller, war ansonsten aber leicht irritiert,
weil ihre rechte Brustseite mit einem sterilen Pflaster bedeckt war, worunter
zwei Schläuche hinausführten. Wahrscheinlich tat die Stelle auch weh. „Du
darfst nicht an den Schläuchen ziehen, mein Schatz“, erklärte ich ihr. „Warum
nicht?“, wollte sie wissen. „Weil sie in deinen Körper hineingehen.“ „Unter die
Haut?“, wollte Vianne wissen. „Ja, unter
die Haut.“ „Habe Hunger“, sagte sie. Das hörte sich doch gut an! Appetit war
immer ein gutes Zeichen. Vor dem Eingriff hatte sie sechs Stunden lang nichts
essen dürfen, also gab es jetzt ihr Lieblingsfrühstück: Nutella-Toast. Ich
wusste gar nicht, wie ich Vianne hochheben
sollte, ohne ihr wehzutun. Wo durfte ich sie packen, wo nicht? Zum Glück hatte
uns der Chirurg noch im Aufwachraum kurze Instruktionen gegeben. Und trotzdem
war es so befremdlich. Direkt hinter der Eintrittsstelle lag eine Muffe, die im
Laufe der Zeit unter der Haut einwachsen würde. Zur ersten Stabilisation war
der Broviak-Katheter mit einem kleinen Flügel außen mit jeweils zwei bis drei
Stichen vernäht. Diese Fäden würden später gezogen. Das allerwichtigste aber
war der sterile Umgang mit dem Zugang, damit sich keine
Bakterien
einnisten. Die Schwester kam ins Zimmer, um nach Vianne zu schauen. „Gleich
wird die erste Chemo angehängt“, verkündete sie. „Wie, was, gleich schon, so
schnell nach der Operation? War das nicht zuviel für eine Dreijährige?“ All das
schoss mir in einer Millisekunde durchs Hirn. Ich war noch nicht so weit. Ich
würde nie so weit sein! Ich musste mir immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass
die Chemo ihr helfen konnte, dass sie nicht ihr/unser Feind war. Das musste ich
auch meiner Tochter vermitteln. Das war meine Aufgabe - sie möglichst gut
dadurch zu bringen. Ich riss mich zusammen. In den Infogesprächen ein paar Tage
zuvor hatten wir die Einwilligung zur Behandlung unterschrieben. Wir wurden
umfangreich auf alle Nebenwirkungen und Folgeschäden hingewiesen. Auf den
Infoblättern stand es schwarz auf weiß: Haarausfall
(das wussten wir), Übelkeit und Erbrechen (auch bekannt), Blasenentzündungen,
Schädigung der peripheren Nerven (in den Händen und Füßen),
Mundschleimhautentzündungen, Unfruchtbarkeit, in seltenen Fällen
Entstehung von Zweittumoren, Hörminderung, Nierenschäden, Beeinträchtigung der
Leberfunktion, gelegentlich zentralnervöse Erscheinungen, anaphylaktische
Reaktionen (Schock), Thrombozytopenie (wenig Blutplättchen,
zuständig für die Blutgerinnung), allergische Reaktionen, Hirnnervenausfälle,
Verstopfung, Leukopenie (wenig Abwehrkräfte), schwere zerebrale Störungen. All
diese Nebenwirkungen und Spätfolgen können, müssen aber nicht auftreten. Wir
hielten uns vor Augen, dass auch auf jedem Beipackzettel für Kopfschmerztabletten
geringe wie auch schwerwiegende Nebenwirkungen aufgeführt sind. Das beruhigte etwas.
Wir bekamen noch mehr Blätter, worauf mir achten müssen und was wir alles nicht
tun dürfen, zum Beispiel
keine frischen Erdbeeren und kein Eis vom Eisverkäufer essen, keine Hunde und
Katzen streicheln.
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