Rückblick: November 2013
Am
schwersten fiel Vianne, dass sie mit
ihrem Broviak-Katheter nicht baden gehen durfte. Das Duschen ging lediglich mit
etlichen wasserdichten Pflastern, ein Schwimmbad-Besuch kam gar nicht in Frage.
Dabei liebte sie es so sehr, ausgiebig zu planschen. Die Infektionsgefahr war
einfach zu groß. Aber Kinder sind
schließlich kreativ. Ada und Vianne verlegten den Hallenbad-Besuch kurzerhand
in unsere Küche. Sie zogen sich ihre Badehosen an, ich musste die
Schwimmflügelchen hervorholen und dann sprangen sie in den unsichtbaren Pool,
ruderten mit ihren Armen und Beinen und quietschten laut. Neben den Arztspielen
wurde dieser "Schwimmbadbesuch" zu ihrem neuen Lieblingsspiel.
Manchmal schoben sie sich bis zu einer halben Stunde lang in Bauchlage oder
auch in Rückenlage über unseren Granitboden. Doch irgendwann sollte das Spiel
ein jähes Ende haben. Nachdem sie wieder einmal einen "Badbesuch" mit ausgiebigen
Brustschwimmen hinter sich hatten, kam Vianne zu mir und erzählte, der
Brovi-Schlauch sei „rausgerutscht“. Wie? Beunruhigt schaute ich unter ihr
Hemdchen. Das Pflaster, dass über der Eintrittsstelle klebte, war zum Glück
nicht blutig. Auch sonst sah alles normal aus. Ich wollte das Pflaster ablösen
und mir den Zugang genauer ansehen, aber Vianne fing an zu weinen. Den
Pflasterwechsel - trotz Pflasterlöser - empfand sie immer noch als Tortur. Da
sie mir versicherte, die Eintrittsstelle würde nicht wehtun, beließ ich es erst
einmal dabei. Am nächsten Tag hatten wir sowieso einen ambulanten Termin in der
Klinik zum Durchspülen des Katheters. Dann wollte ich die Ärzte nachschauen
lassen. Nach viel Geschrei - ich war schon wieder nass geschwitzt - ließ sie
sich am nächsten Tag das Broviak-Pflaster wechseln. Ich traute meinen Augen
kaum: obwohl der Schlauch über zwei Plastikflügelchen mit der Haut mit zwei
Stichen vernäht gewesen war, schaute nun die Muffe hervor (der Teil, der an der
Eintrittsstelle eigentlich unter der Haut liegen und dort mit dem umliegenden
Gewebe verwachsen sollte). „Oh nein!“ Sie hatte Recht gehabt. Das muss doch weh
getan haben, schoss es mir durch Kopf. Ich streichelte sie. Tapfere
kleine Maus. Wie hart im Nehmen sie doch war. Der Katheter funktionierte noch,
es konnte noch Blut entnommen und die Kochsalzlösung zum Spülen hineingegeben
werden. Unsere Onkologen schickten uns gleich zum Herz-Ultraschall, denn die
Katheterspitze soll in der oberen Hohlvene, nahe dem Herzen, liegen. Das Ultraschallbild
zeigte, dass sie nur ein klein wenig verschoben
war. Wieder auf Station angekommen, holten die Onkologen einen Chirurgen zur
Beurteilung hinzu. Er riet zu einem neuen Katheter. Die Muffe, die eigentlich
kurz vor der Austrittsstelle des Katheters in das Körpergewebe einwachsen soll,
verhindert, dass Bakterien von außen eindringen können. Die Infektionsgefahr
war bei Vianne jetzt einfach zu groß, da die Muffe nun außen lag. Schließlich
hatte sie noch rund neun Monate Therapie vor sich, wenn alles nach Plan verlief.
Wieder eine Operation, wieder eine Narkose. Mir war so elend zu Mute. Ich
wollte nicht mehr, dass sie ihr wehtun. Bereits am nächsten Tag sollte der
Eingriff erfolgen. Ich rief Micha an. Ich rief meine Eltern an, die im Wechsel
mit Andi immer zu uns kamen und Zuhause die Stellung hielten, während wir im Krankenhaus
waren. Ohne die Hilfe meiner Eltern oder meiner Schwester/meines Schwagers wären
wir schlichtweg durchgedreht. So wussten wir zumindest die übrigen Kinder gut
betreut.
Der
Chirurg (er war mir von Anfang an unsympathisch) blieb gleich da, um die
Aufklärung für den Eingriff (die immer Pflicht ist) vorzunehmen. Ich machte mir
Sorgen, deshalb fragte ich genau nach. Nach meiner zweiten Frage schaute er
mich genervt an und sagte ziemlich provokant: "Sie sind aber nervig!"
Ich bekam
urplötzlich Schnappatmung. Im ersten Moment guckte ich ihn nur völlig perplex
und sprachlos an. Ich konnte gar nicht glauben, was er gerade von sich gegeben
hatte. Dann kam die Wut. Aber ich war so getroffen, dass ich kaum die richtigen
Worte fand. Ich war einfach nur noch geschafft, hatte vor Wut und Verzweiflung
nur noch Tränen in den Augen, die ich mühsam zu unterdrücken versuchte. Diesem
Affen wollte ich auf gar keinen Fall meine Tränen zeigen. Unsere Onkologin
spürte, dass ich innerlich kurz davor war, auszurasten, und versuchte zu
beschwichtigen. Mühsam presste ich nur noch hervor, dass ich mich keinen Moment
länger mit ihm unterhalten werde. Ich fühlte mich so klein. Dann forderte er
mich auf, "für Emma" (SIE HEIßT VIANNE!!!) die Patientenaufklärung zu
unterschreiben. Am liebsten hätte ich ihm das Papier um die Ohren gepfeffert,
aber wenn ich nicht meine Zustimmung gab, konnte Vianne am nächsten Tag nicht
operiert werden. Und ohne neuen Broviak konnte die Therapie nicht weitergehen.
Ich zog Vianne an, hob sie auf meinen Arm und verließ die Klinik. Ich war außer
mir. Aber wer mich kennt, weiß, dass die Sache damit
nicht erledigt war. Todmüde setze ich mich abends an meinen Rechner und setzte
einen offiziellen Beschwerdebrief auf, den ich an die Klinik faxte. Ein
Exemplar an den Leiter der Kinderchirurgie, einen an den Klinikleiter und einen
zur Kenntnisnahme an die Onkologie.
Vianne
wurde am nächsten Tag vom Chef persönlich operiert, es folgte eine Entschuldigung
des besagten Arztes. Ich war so müde... Sie hatte die zweite "Operative
Einpflanzung eines zentralvenösen Katheters" gut überstanden.
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