Rückblick: Oktober 2012
Danke
Marco! Wir alle blühten sichtlich auf, die Kinder erlangten einen Teil ihrer
Unbeschwertheit zurück. Jeden Tag schrieben wir Vianne eine Postkarte, täglich
telefonierte ich mit Micha und der Maus. Ich vermisste beide schrecklich. Ich
packte meine Laufschuhe, drehte die Musik auf, lief vor mir davon und wieder zu
mir zurück. Dann ging es wieder besser. Nach langer Zeit genoss ich das erste
Mal wieder ein Glas Wein, in den letzten Monaten hatte ich mich nicht getraut,
aus Angst, im Notfall nicht richtig, nicht schnell genug reagieren zu können.
Aber jetzt sorgten gerade Micha, meine Eltern und etliche Ärzte für Vianne. Ich
konnte loslassen.
Zum
Ende der Woche wurde meine innere Unruhe immer größer. Ich spürte: “Ich muss
nach Hause, ich muss zu Vianne.“ Wieder hieß es Abschied nehmen, dieses Mal von
den übrigen Kindern, Andi und Ralf. Am schlimmsten fand ich, dass ich nicht an
Jesses Geburtstag dabei sein konnte. Ich ließ eine Karte für ihn zurück.
Dann fuhr ich nach Palma zum Flughafen. Ich war so durch den Wind, dass ich
fast meinen Koffer im Mietwagen vergessen hätte. Ich wollte gerade den
Autoschlüssel abgeben, als ich meinen Fehler bemerkte. Der Flug verging so
langsam, ich wollte nur noch zu meiner Tochter, die am Vormittag mit Micha aus
dem Krankenhaus gekommen war. Ich flog vom Dortmunder Flughafen förmlich nach
Hause. Da war sie, so blass, so unglaublich blass in krassem Gegensatz zu
meiner Urlaubsbräune. Ich schloss sie in die Arme und ließ sie nicht mehr los. Ich
sehe sie noch genau vor mir, wie sie ruhig am Küchentisch sitzt und Aufkleber
auf ein Blatt Papier klebt. Sie hatte tiefe Augenringe und ihr Gesichtchen hob
sich kaum von der weißen Wand ab, dafür um so mehr von ihrem knallgrünen
Oberteil. So zerbrechlich, so zart, so verletzlich. Micha, Vianne und ich schliefen
die Nacht zusammen in einem Bett. Ganz früh am nächsten Morgen holte das Taxi
Micha ab und brachte ihn zum Flughafen. Auch ihm fiel es unglaublich schwer,
uns zurückzulassen. Es war erst 6 Uhr, Vianne wirkte unruhig. Ich strich ihr
über das Köpfchen. Oh nein, sie war so heiß, zu heiß. Und sie war so ruhig, zu
ruhig. Panik krabbelte in mir hoch wie eine widerliche Spinne auf dem Weg zu ihrem
Opfer. Ich rief in der Klinik an. Da Vianne nur wenige Abwehrkräfte durch die
Chemotherapie hat, müssen wir uns bereits ab einer
Temperatur von 38 Grad Celsius im Krankenhaus melden, ab 38,5 Grad müssen wir
sofort kommen. Vianne hatte weit über 39 Grad, und das am frühen Morgen. Bisher
war Fieber für uns immer eine gesunde und natürliche Körperreaktion, nun hatten
wir Angst vor dem Fieber, Angst davor, welche Keime, Bakterien, Viren sich in
Viannes kleinem Körper ausbreiten könnten, ohne auf Gegenwehr zu stoßen. Die
Ärzte hatten uns eindringlich darauf hingewiesen, dass einige Kinder nicht an
ihrer Krankheit, sondern aufgrund der zerstörten
Immunabwehr gestorben seien. Ich rief ein Taxi, schmiss das nötigste in eine
Tasche und fuhr mit meiner Tochter auf dem Arm zurück in die Klinik.
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