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16. Juni 2016

Von einer Welt in die andere



Rückblick:  Oktober 2012


Danke Marco! Wir alle blühten sichtlich auf, die Kinder erlangten einen Teil ihrer Unbeschwertheit zurück. Jeden Tag schrieben wir Vianne eine Postkarte, täglich telefonierte ich mit Micha und der Maus. Ich vermisste beide schrecklich. Ich packte meine Laufschuhe, drehte die Musik auf, lief vor mir davon und wieder zu mir zurück. Dann ging es wieder besser. Nach langer Zeit genoss ich das erste Mal wieder ein Glas Wein, in den letzten Monaten hatte ich mich nicht getraut, aus Angst, im Notfall nicht richtig, nicht schnell genug reagieren zu können. Aber jetzt sorgten gerade Micha, meine Eltern und etliche Ärzte für Vianne. Ich konnte loslassen.

Zum Ende der Woche wurde meine innere Unruhe immer größer. Ich spürte: “Ich muss nach Hause, ich muss zu Vianne.“ Wieder hieß es Abschied nehmen, dieses Mal von den übrigen Kindern, Andi und Ralf. Am schlimmsten fand ich, dass ich nicht an Jesses Geburtstag dabei sein konnte. Ich ließ eine Karte für ihn zurück. Dann fuhr ich nach Palma zum Flughafen. Ich war so durch den Wind, dass ich fast meinen Koffer im Mietwagen vergessen hätte. Ich wollte gerade den Autoschlüssel abgeben, als ich meinen Fehler bemerkte. Der Flug verging so langsam, ich wollte nur noch zu meiner Tochter, die am Vormittag mit Micha aus dem Krankenhaus gekommen war. Ich flog vom Dortmunder Flughafen förmlich nach Hause. Da war sie, so blass, so unglaublich blass in krassem Gegensatz zu meiner Urlaubsbräune. Ich schloss sie in die Arme und ließ sie nicht mehr los. Ich sehe sie noch genau vor mir, wie sie ruhig am Küchentisch sitzt und Aufkleber auf ein Blatt Papier klebt. Sie hatte tiefe Augenringe und ihr Gesichtchen hob sich kaum von der weißen Wand ab, dafür um so mehr von ihrem knallgrünen Oberteil. So zerbrechlich, so zart, so verletzlich. Micha, Vianne und ich schliefen die Nacht zusammen in einem Bett. Ganz früh am nächsten Morgen holte das Taxi Micha ab und brachte ihn zum Flughafen. Auch ihm fiel es unglaublich schwer, uns zurückzulassen. Es war erst 6 Uhr, Vianne wirkte unruhig. Ich strich ihr über das Köpfchen. Oh nein, sie war so heiß, zu heiß. Und sie war so ruhig, zu ruhig. Panik krabbelte in mir hoch wie eine widerliche Spinne auf dem Weg zu ihrem Opfer. Ich rief in der Klinik an. Da Vianne nur wenige Abwehrkräfte durch die Chemotherapie hat, müssen wir uns bereits ab einer Temperatur von 38 Grad Celsius im Krankenhaus melden, ab 38,5 Grad müssen wir sofort kommen. Vianne hatte weit über 39 Grad, und das am frühen Morgen. Bisher war Fieber für uns immer eine gesunde und natürliche Körperreaktion, nun hatten wir Angst vor dem Fieber, Angst davor, welche Keime, Bakterien, Viren sich in Viannes kleinem Körper ausbreiten könnten, ohne auf Gegenwehr zu stoßen. Die Ärzte hatten uns eindringlich darauf hingewiesen, dass einige Kinder nicht an ihrer Krankheit, sondern aufgrund der zerstörten Immunabwehr gestorben seien. Ich rief ein Taxi, schmiss das nötigste in eine Tasche und fuhr mit meiner Tochter auf dem Arm zurück in die Klinik.






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