Echtzeit! 20. November
2014
Das
Leben besteht aus Wiederholungen, aus Déja-vus. Morgen gibt es solch eine
Wiederholung: das MRT für den unklaren Wirbelbereich steht an. Und all die
Ängste und Sorgen in den Stunden davor kommen mir so vertraut vor. Noch hält
sich diese Unruhe in Grenzen, spätestens morgen früh wird sie wie eine große
Welle über uns hinwegschwappen. Vianne weiß noch nichts von diesem Termin. Ich
fand heute nicht den richtigen Zeitpunkt. Ihr Verhalten glich heute einer
emotionalen Achterbahnfahrt. Mal ist sie überdreht, quasselt am laufenden
Band, gibt von allem ein bisschen "too much". Kurz darauf ist sie
emotional so wackelig wie eine Hängebrücke. Wenn ihr jemand nicht auf Anhieb
zuhört oder ein anderer dazwischenquatscht, fängt sie an zu schreien. Ihre
Hemmschwelle ist niedrig. Wenn Ada nicht genau das spielen will, was sich
Vianne ausgedacht hat, wird sie wütend und weint. Bei jedem Toilettengang
beschwert sie sich lautstark, dass Ada ohne sie weiterspielen würde. Ich bin
hin- und hergerissen, inwieweit ich sie maßregeln soll. Ich probiere ruhig zu bleiben
und zu berücksichtigen, dass sie scheinbar mental zu kämpfen hat. Sie wirkt in
einigen Situationen so verzweifelt. Andererseits ist sie eine starke
Persönlichkeit und braucht, ebenso wie ihre Schwester, klare Grenzen. Leider
klappt es mit meiner Ruhe nicht immer.
Auch
körperlich zerrt die Chemo (oder ein neuer Tumor???) an ihr. Sie wirkt hin und
wieder so kraftlos in ihren Bewegungen, als müsse sie sich auf jeden Schritt,
jeden Handgriff konzentrieren. Sobald sie abends das Temodal genommen hat, fällt
sie todmüde ins Bett. Heute Nachmittag war Adas und Viannes kleiner Freund zu
Besuch. Anfangs kam Vianne alle fünf Minuten zu mir gelaufen und beschwerte
sich, dass die Beiden sie nicht mitspielen lassen wollten. Ada schmiedet gerne
Bündnisse, wenn ein Dritter im Spiel ist, die kleine Taktikerin. Ich verstehe,
dass sie sich manchmal von Vianne abgrenzen will, das ist gesund und
vernünftig. Andererseits tut es mir für Vianne leid, die dann außen vor steht,
weil sie manchmal rein körperlich nicht mithalten kann - beim Klettern, beim
Rennen, beim Schuhe anziehen... Und genau darauf zielt Ada bewusst ab: „Komm Oki,
wir laufen weg und Vianne muss uns fangen." Manchmal ist sie eine kleine
gerissene "Hexe". Nachdem ich den Kindern gesagt habe, dass bei uns
keiner ausgegrenzt werde und dass sie ein Team wären, klappte das Zusammenspiel
erstaunlich gut.
Das
Mädels-Zimmer ist nach unserer Renovierungsaktion nun fast vollständig
eingerichtet, abgesehen von den Deko-Sachen. Gestern wurden
Hochbett und Matratzen geliefert. Wir bauten das neue Schlaflager nachmittags
auf. Die Mädels waren so heiß darauf, endlich in "großen" Betten
schlafen zu dürfen. Erstaunlicherweise
einigten sie sich schnell, wer zuerst oben und wer unten schlafen darf/muss. Zum
Glück lässt sich das Hochbett auch zu zwei Einzelbetten umbauen, so dass wir
eine Notlösung haben, falls sie sich einmal
nicht einigen können. Vianne schlief in der ersten Nacht oben. Heute Morgen
bekam ich die "Damen" kaum aus den Federn: es muss eine wirklich gute
erste Nacht gewesen sein..
Am
Mittwoch, 26. November, haben wir das Gespräch in der Düsseldorfer
Strahlenklinik. Mir wird jetzt schon übel, wenn ich daran denke. Die möglichen
Folgeschäden sind so schwer. Vianne wird einen hohen Preis zahlen müssen. Ich
weiß noch immer nicht, ob wir das Richtige tun, ob die Bestrahlung ein Segen
oder eher ein Fluch ist. Wir lassen es einfach wieder auf uns zukommen - darin
sind wir mittlerweile schon traurige Experten.
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