Montag,
16. Februar 2015
Vianne
erholt sich körperlich ganz gut von den Strapazen der Operation. Sie läuft
mittlerweile frei (wenn auch weiterhin schleppend), sie kann unter großer
Anstrengung den Arm etwas anheben, und wenn sie lächelt, zieht sich ihr rechter
Mundwinkel wieder mit nach oben. Leider lächelt sie momentan viel zu wenig.
Zornausbrüche,
Gereiztheit, Tränen, Verzweiflung bestimmten den Tag. Da meine Nerven auch
blank liegen, sind wir beide heute ganz oft aneinander geraten. Sie will
einfach nicht mehr - nichts mehr: kein Pflasterwechsel, keine
kitzeligen-verfilzten Haare entfernen, kein Händewaschen nach der Toilette,
keine Medizin, keine frische Luft. Und auf dem Höhepunkt ihrer Wut fängt sie
bitterlich an zu weinen und wirft sich in meine Arme, bis wir beide schluchzen.
Ich würde ihr so gerne Zuversicht spenden - kann ich momentan aber nicht, da
ich genauso verzweifelt bin wie sie. Wie gerne würde ich ihr versprechen, dass
nach diesem
Krankenhausaufenthalt alles gut ist. Kann ich aber nicht. Ich habe meinen
Optimismus verloren. Wie soll ich sie aufmuntern, wenn ich es noch nicht einmal
bei mir selbst schaffe. Ich hoffe einfach, dass der heutige Tag nur eine
Momentaufnahme ist. Vianne scheint ihren Kampfgeist verloren zu haben - wer
kann es ihr verübeln. In letzter Zeit sagt sie häufig, dass sie sich wünscht,
dass alles wieder wie früher wäre, in der Zeit vor der Erkrankung. "Als
ich noch ein Baby war..." (So sieht sie sich rückblickend als Zwei- bis
Dreijährige). Ada sagt die gleichen Worte unabhängig von ihrer Schwester. Auch sie
wünscht sich von Herzen die Zeit zurück, als Vianne noch gesund war. Ich bin
immer häufiger wütend, dass Vianne ein großer Teil ihrer Kindheit geraubt
wurde/wird, dass Operationen, Krankenhaushalte, schmerzhafte Eingriffe,
Blutabnahmen, Medikamente ihren Alltag bestimmen. Es bricht mir das Herz, wenn ich
sehe, wie sie mit ihrer linken Hand ihren rechten Arm hochhebt. Sie soll das
Recht haben, herumzuspringen, zu lachen, sich Karneval zu verkleiden, mit
beiden Händen Sachen zu greifen und frei spielen zu können. Ich weiß, dass es
viele andere Kinder gibt, denen dieses Recht - aus was für Gründen auch immer -
ebenfalls genommen wurde. Aber ich sehe momentan nur die vielen glücklichen
Kinder. Es macht mich fertig. Ich bin wütend - unbeschreiblich wütend - und
diese Wut überträgt sich auch auf meine Tochter. Nur dass ich hier die
Erwachsene bin und sie auffangen müsste... Gestern zumindest konnte ich sie
letztendlich doch noch zum Lachen bringen. Und Morgen muss das auch wieder
klappen. Aber heute lebe ich noch etwas meine Wut aus und starre grimmig aus
dem Krankenhausfenster...
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