Freitag,
30. Januar 2015
Die
Kraft ist zurück – zum Glück. Irgendwie scheine ich meine Reserven in der Nacht
nach dem ersten Bestrahlungstag wieder aufgefüllt zu haben. Ich habe tief und
fest geschlafen. Als ich am nächsten Morgen erwachte und in die weiße
Winterlandschaft hinausschaute, fühlte ich mich leichter, unbelasteter, vom Schrecken
des ersten Therapietages befreit. Vianne ging es zum Glück gut, Kopfschmerzen und
Übelkeit waren vergangen. Gegen viertel vor zehn machten wir uns auf den Weg
Richtung PSI – aber wir kamen nicht weit. In Waldshut staute sich der Verkehr,
teilweise standen wir mehrere Minuten, in denen sich gar nichts tat. Es war
mittlerweile zehn Uhr, und wir hatten noch nicht einmal die Grenze erreicht.
Eine Tagesbaustelle auf der Hauptstraße war verantwortlich für dieses
Verkehrschaos. So kamen wir "Experten" gleich am zweiten Behandlungstag
zu spät (aber nur 20 Minuten). Na ja, wer mich kennt, den wird es nicht
wundern. Kurz bevor wir das Forschungsgelände erreichten, rief mich die
Anästhesistin an und fragte, wo wir blieben. Arghhh! Es war aber nicht weiter
schlimm. Sie hatten blöderweise sowieso eine Leerlaufzeit gehabt, weil sie am
Tage zuvor vergessen hatten zu sagen, dass wir 15 Minuten eher kommen können.
Vianne
schlief gestern von dem Narkosemittel ruhig ein. Es war leichter, weil kein
neuer Zugang gelegt werden musste, der alte vom Vortag auf ihrem rechten
Handrücken funktionierte noch gut. Ada und ich vertrieben uns die Wartezeit mit
mehreren Runden Memory, dem Bau eines architektonischen "Meisterwerkes"
aus Legobausteinen, einem zweiten Frühstück, Vorlesegeschichten und einem Film
auf meinem Laptop. Vianne kam gut aus der Narkose. Die Behandlung hat nicht so
lange gedauert wie am ersten Tag, da sie zu Beginn immer noch ein Lagerungs-CT
machen. Das fiel am 2. Tag weg. Es regnete in Strömen, als wir das Gelände
schließlich verließen. Unsere Unterkunft liegt auf 600 Meter, und je
höher wir kamen, desto mehr verwandelte sich der Regen in Schnee, bis
schließlich große Flocken fielen. "Mama, sieh mal, ein Schneesturm",
riefen Ada und Vianne begeistert. Ganz Gaiß lag unter einer dicken weißen
Schneedecke. Wunderschön! Ich war so froh, nicht im verregneten Tal zu wohnen.
Gerade angekommen,
zogen mich die Mädels erst einmal zum Stall. Sie wollten den Pferden
"Hallo" sagen. Leider kamen wir nur von hinten an sie heran und konnten uns ihre dicken Pferdepopos ansehen.
Vorne war die Stalltür leider verschlossen. Aber wir wurden mit einem lauten
Wiehern begrüßt. In der Wohnung gönnte ich mir erst einmal einen heißen Kaffee,
und wir machten uns eine leckere Obstschüssel zurecht. Dann schlüpften wir in
unsere Schneeanzüge und bauten eine riesige Schneefrau ("Mama, wir wollen
ein Mädchen") im Garten: Rosalea. Leider hat der Schneesturm Rosalea in
der Nacht umgeworfen. Wir bauen sie heute einfach wieder auf! Abends – gerade
rechtzeitig zum warmen Essen – traf Andi ein, aus dem tiefsten Winterwald. Leider
steckte sie rund 25 Km vor Gaiß auf der tief verschneiten Landstraße in einem
Stau fest. Absoluter Stillstand, anscheinend kam ein LKW nicht weiter und stand
quer. Sie hängte sich schließlich an einen Ortskundigen und fuhr über
verschlungene einsame (Um-)Wege zu uns. Was für eine Wiedersehensfreude! Ada
und Vianne wussten gar nicht, was sie Andi zuerst zeigen und erzählen sollten.
Wir verbrachten einen kurzweiligen Abend bei einem guten Glas Rotwein.
Heute
Morgen ist Andi mit Ada in der Ferienwohnung geblieben, während ich mit Vianne
am PSI war (heute waren wir sogar pünktlich). Wieder schlief sie ruhig zur
Musik der Eiskönigin ein. Ihr Unterbewusstsein muss es gut abgespeichert haben,
denn als ich sie nach dem Aufwachen fragte, wovon sie geträumt habe, erzählte sie
von dem Eispalast und Elsa. Tag 3 von 30 ist geschafft! 20 Mal wird die
komplette Neuroachse bestrahlt (ganzer Kopf und Wirbelsäule), die letzten 10
Mal "nur" noch der Kopf. Jeden Tag rechne ich damit, die ersten Auswirkungen/
Nebenwirkungen zu sehen. Ich hoffe, wir bleiben noch etwas länger davon
verschont. Wann genau die Spätfolgen auftreten, kann keiner so genau
vorhersagen – nur dass sie sich im Laufe der Jahre verstärken. Heute Morgen
fragte mich Vianne, ob sie heute das letzte Mal zu "Radio-Robby" müsse.
"Nein, Schatz, wir müssen noch ganz oft zu ihm, mit heute noch 28
Mal", antwortete ich ehrlich und ernst. "Ok", sagte sie unbekümmert
und hüpfte davon… Was für eine Freude: heute waren die beiden
"Schwarzwälder", deren Hinterteil wir gestern im Stall besucht haben,
auf der Koppel. Ada und Vianne haben die robusten Zossen mit unseren Möhren
gefüttert (deswegen musste sich Rosalea auch nur mit einer Holznase zufrieden
geben). Die Pferde haben es sich jedenfalls schmecken lassen. "Wir haben
uns jetzt richtig angefreundet", meinte Vianne daraufhin enthusiastisch. Gegen
Abend sind Viannes Kopfschmerzen leider wieder gekommen, so dass ich ihr den
Schmerzsaft geben musste. Sie sieht müde und etwas mitgenommen aus. Appetit hat
sie auch keinen. Jetzt schlafen beide Mädels.
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