Mittwoch, 28. Januar 2015
Meine
tapfere Vianne, ich weiß nicht, ob ich das noch 29 weitere Tage schaffe. 30
Bestrahlungen stehen insgesamt an. Eine liegt jetzt hinter dir. Du siehst
mitgenommen aus - nach nur einem Tag. Du klagst über Kopfschmerzen. Dir ist
übel. Ich soll dir bei den ersten Anzeichen von Übelkeit Zofran geben. Das habe
ich gleich getan. Du sollst nicht zu viel Gewicht verlieren. Das erste Mal seit
deiner Erkrankung bin ich mir so unsicher, ob ich diesen (Bestrahlungs-)Weg
weiter gehen kann, ob noch Kraft da ist. Alle anderen Behandlungen konnte ich mittragen.
Diese bringt mich an meine persönliche Grenze. Als wir heute den
Vorbereitungsraum betraten, hatte ich das Gefühl, dich zur Schlachtbank zu
führen. Und du warst wieder so tapfer, nur ich konnte meine Tränen nicht länger
zurückhalten, nachdem du in meinen Armen eingeschlafen bist. "Wir passen
gut auf sie auf", versuchte mich das Anästhesieteam zu beruhigen. Das weiß
ich doch. Das ist nicht der Punkt. Du bist dort in ach so fähigen Händen. Es
geht um die verheerenden Schäden an deinem Hirn, deinem Rückenmark, die die Protonen
im Einsatz gegen die Krebszellen hinterlassen werden - obwohl es derzeit
weltweit die wahrscheinlich schonendste Behandlungsoption ist, obwohl es wohl
deine einzige Behandlungsoption ist. Wir wissen um die bittere Alternative, die
sich keiner vorstellen kann, wenn er dich so sieht. All das Wissen wir, aber
das macht es letztendlich nicht leichter. Diese kraniospinale Bestrahlung ist
Zerstörung und Chance in einem. Zuvor hatte sich noch der Leiter vom PSI
ausführlich mit mir unterhalten, während du mit deiner Schwester auf
dem Flur rumgesprungen bist und ihr jeden mit eurer positiven Energie
begeistert habt. In diesem Moment zählte mir der Arzt noch einmal alle Risiken,
alle möglichen Nebenwirkungen und Spätfolgen auf, die sehr wahrscheinlich auf
dich zukommen werden. Das Bild von dir - ein hüpfendes, fröhliches,unbekümmertes
Mädchen - verblasste schlagartig vor meinen Augen. Ich habe das Gefühl, ich
zerstöre dich - um dich vielleicht am Leben zu halten. Die Krebszellen
zerstören dich auch. Das wissen wir. Deshalb starten wir noch diesen Versuch.
Es
war ein langer Tag heute - für uns alle. Um 6 Uhr in der Früh habe ich dich
geweckt, damit du noch vor deinen Nüchternzeiten etwas in den Magen bekommst.
Im Halbschlaf hast du im Bett Kakao geschlürft und an deinem Butterbrot
geknabbert. Dann bist du wieder eingeschlafen. Ada durfte später etwas
frühstücken. Um 10.15 Uhr mussten wir am PSI sein. Im Kinder-Wartezimmer trafen
wir auf eine Schweizerin, deren vierjährige Tochter sich ebenfalls wegen eines
Hirntumors in Behandlung befindet und vor uns an der Reihe ist. Sie hat eine
andere Art von Tumor, aber ebenso aggressiv wie dein frecher Wicht. Sie
erzählte mir, dass wir uns auf eine ca. einstündige Verzögerung einstellen
sollten. Irgendeine Techniksache hatte schon am frühen Morgen zu Verspätungen
geführt. Egal. Wir unterhielten uns noch angeregt weiter. Du hast mit Ada gepuzzelt.
Später gab sie mir ihre Visitenkarte und bot uns an, mal mit euch auf einen
Kaffee/ zum Spielen vorbeizukommen. Sehr liebenswert. Wie es der Zufall so
will, wohnen sie (regulär) in der Nähe vom PSI.
Gegen
11.30/12 Uhr ging es dann los, um 14 Uhr durften Ada und ich zu dir in den
Aufwachraum. Du sahst aus wie immer, nur der Maskenabdruck zeichnete sich noch
leicht auf deinem Gesicht ab. Du hast dich noch eine gute Stunde lang
ausgeschlafen und bist dann ganz ruhig wach geworden. Noch im Liegen habe ich
dir (und Ada) eine Geschichte aus dem knallrosa Märchenbuch vorgelesen, das ihr
vor anderthalb Jahren schon so klasse fandet. Ada und ich haben in der
Wartezeit einen hohen Holzturm für dich gebaut. Du bist wieder wach und
betrachtest deine neue Mutperlenkette.
Viel
blieb danach nicht mehr vom Tag übrig. Wir mussten noch etwas einkaufen, noch
schnell was kochen, und dann war es auch schon wieder Abend mit dem üblichen
Zubettgeh-Programm. Ich versuche, die Stunden bis morgen früh zu nutzen, um
neue Kraft zu tanken.
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