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26. November 2016

Echtzeit! Protonentherapie Tag 1



Mittwoch, 28. Januar 2015

Meine tapfere Vianne, ich weiß nicht, ob ich das noch 29 weitere Tage schaffe. 30 Bestrahlungen stehen insgesamt an. Eine liegt jetzt hinter dir. Du siehst mitgenommen aus - nach nur einem Tag. Du klagst über Kopfschmerzen. Dir ist übel. Ich soll dir bei den ersten Anzeichen von Übelkeit Zofran geben. Das habe ich gleich getan. Du sollst nicht zu viel Gewicht verlieren. Das erste Mal seit deiner Erkrankung bin ich mir so unsicher, ob ich diesen (Bestrahlungs-)Weg weiter gehen kann, ob noch Kraft da ist. Alle anderen Behandlungen konnte ich mittragen. Diese bringt mich an meine persönliche Grenze. Als wir heute den Vorbereitungsraum betraten, hatte ich das Gefühl, dich zur Schlachtbank zu führen. Und du warst wieder so tapfer, nur ich konnte meine Tränen nicht länger zurückhalten, nachdem du in meinen Armen eingeschlafen bist. "Wir passen gut auf sie auf", versuchte mich das Anästhesieteam zu beruhigen. Das weiß ich doch. Das ist nicht der Punkt. Du bist dort in ach so fähigen Händen. Es geht um die verheerenden Schäden an deinem Hirn, deinem Rückenmark, die die Protonen im Einsatz gegen die Krebszellen hinterlassen werden - obwohl es derzeit weltweit die wahrscheinlich schonendste Behandlungsoption ist, obwohl es wohl deine einzige Behandlungsoption ist. Wir wissen um die bittere Alternative, die sich keiner vorstellen kann, wenn er dich so sieht. All das Wissen wir, aber das macht es letztendlich nicht leichter. Diese kraniospinale Bestrahlung ist Zerstörung und Chance in einem. Zuvor hatte sich noch der Leiter vom PSI ausführlich mit mir unterhalten, während du mit deiner Schwester auf dem Flur rumgesprungen bist und ihr jeden mit eurer positiven Energie begeistert habt. In diesem Moment zählte mir der Arzt noch einmal alle Risiken, alle möglichen Nebenwirkungen und Spätfolgen auf, die sehr wahrscheinlich auf dich zukommen werden. Das Bild von dir - ein hüpfendes, fröhliches,unbekümmertes Mädchen - verblasste schlagartig vor meinen Augen. Ich habe das Gefühl, ich zerstöre dich - um dich vielleicht am Leben zu halten. Die Krebszellen zerstören dich auch. Das wissen wir. Deshalb starten wir noch diesen Versuch.
Es war ein langer Tag heute - für uns alle. Um 6 Uhr in der Früh habe ich dich geweckt, damit du noch vor deinen Nüchternzeiten etwas in den Magen bekommst. Im Halbschlaf hast du im Bett Kakao geschlürft und an deinem Butterbrot geknabbert. Dann bist du wieder eingeschlafen. Ada durfte später etwas frühstücken. Um 10.15 Uhr mussten wir am PSI sein. Im Kinder-Wartezimmer trafen wir auf eine Schweizerin, deren vierjährige Tochter sich ebenfalls wegen eines Hirntumors in Behandlung befindet und vor uns an der Reihe ist. Sie hat eine andere Art von Tumor, aber ebenso aggressiv wie dein frecher Wicht. Sie erzählte mir, dass wir uns auf eine ca. einstündige Verzögerung einstellen sollten. Irgendeine Techniksache hatte schon am frühen Morgen zu Verspätungen geführt. Egal. Wir unterhielten uns noch angeregt weiter. Du hast mit Ada gepuzzelt. Später gab sie mir ihre Visitenkarte und bot uns an, mal mit euch auf einen Kaffee/ zum Spielen vorbeizukommen. Sehr liebenswert. Wie es der Zufall so will, wohnen sie (regulär) in der Nähe vom PSI.
Gegen 11.30/12 Uhr ging es dann los, um 14 Uhr durften Ada und ich zu dir in den Aufwachraum. Du sahst aus wie immer, nur der Maskenabdruck zeichnete sich noch leicht auf deinem Gesicht ab. Du hast dich noch eine gute Stunde lang ausgeschlafen und bist dann ganz ruhig wach geworden. Noch im Liegen habe ich dir (und Ada) eine Geschichte aus dem knallrosa Märchenbuch vorgelesen, das ihr vor anderthalb Jahren schon so klasse fandet. Ada und ich haben in der Wartezeit einen hohen Holzturm für dich gebaut. Du bist wieder wach und betrachtest deine neue Mutperlenkette.
Viel blieb danach nicht mehr vom Tag übrig. Wir mussten noch etwas einkaufen, noch schnell was kochen, und dann war es auch schon wieder Abend mit dem üblichen Zubettgeh-Programm. Ich versuche, die Stunden bis morgen früh zu nutzen, um neue Kraft zu tanken.

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