Sonntag, 18. Januar 2015
Er
ist zu stark, er ist zu schnell. Wir kommen nicht mehr hinterher. Was sollen
wir nur machen? Am Freitagmorgen fuhren wir zur Blutuntersuchung nach Dortmund.
Das Spielzimmer war voll mit bekannten Gesichtern: so viele Rückfälle, so viele
Kämpfer, so viele Schicksale. Tränen und Lachen wechselten sich ab. Anscheinend
war jeder froh, nicht allein hier zu sitzen, auch wenn man niemanden die
Erkrankung wünscht. Ada und Vianne spielten mit einer Schwesternschülerin
"Lotti Karotti", später konnten sie mich zu einerRunde
Monopoly Junior überreden. Wir hatten uns auf eine längere Wartezeit
eingestellt. Die Stationsschwestern hatten uns im Vorfeld informiert, dass es dauern
könnte, weil nur ein Arzt zur Verfügung steht. Mir war es egal. Wir hatten
keinen Zeitdruck und wir waren kein Notfall. Außerdem kamen auch wir eine
Stunde später als vereinbart - es hatte sich irgendwie so ergeben. Trotzdem
rief uns Dr. B. relativ schnell ins Behandlungszimmer. Ich war froh, gerade ihn
anzutreffen, weil ich noch einige Dinge wegen der Schweiz zu besprechen hatte.
Er brachte Ada und Vianne zum Kichern. Sie fühlten sich wohl. Dann kam er auf
den neuen Referenzbefund von den Januar MRT-Aufnahmen zu sprechen. "Fr.
W-M. geht eindeutig von einem Rezidiv aus," erklärte er. Er holte mir die
Beurteilung: "Größenzunahme zweier getrennter Areale im OP-Gebiet mit
niedrigem T2-Signal und einer zunehmenden KM (Kontrastmittel)-Aufnahme. Auch
der laterale (äußere) Herd ist auf dem Vor-MRT von 12/14 zu sehen. Am Rezidiv
und dessen Progression ist kein Zweifel."Zwei
Areale? Größenzunahme? Kein Zweifel? Die letzte Aussage der Dortmunder Radiologen
war doch: kein Wachstum, ein Bereich. Ich war so verwirrt, stand einerseits
komplett neben mir, konnte es andererseits nichtglauben
und wirkte seltsamerweise ziemlich gefasst. Ich klärte noch meine Fragen
bezüglich der weiteren Temodal-Gabe, auch unter der Bestrahlung, teilte noch
meine Bedenken mit, dass wir mit dieser Doppelstrategie vielleicht ihr
Immunsystem zerschießen, versorgte mich noch mit den entsprechendenRezepten,
machte noch neue MRT-Termine für Rücken und Wirbelsäule für die Zeit nach der
Schweiz klar - und fuhr mit den Mädels nach Hause. Dort erst fing ich an, die
neue Lage zu realisieren: Die Aussage des Neurochirugen war: wenn sich der
Bereich unverändert zeigt, geht er von keinem Rezidiv aus, ergo sollen wir in
die Schweiz fahren. Die Dortmunder befundeten keine Größenzunahme, laut
Referenzzentrum gibt es nun aber eine Größenzunahme. Sollen wir jetzt doch
nicht in die Schweiz fahren? Dr. B. hatte aber am Vormittag nichts
Gegenteiliges gesagt. Micha und ich diskutierten am Abend darüber. Im
Referenzbefund steht zusätzlich: "Zwei Knoten, einer medial (mittig) und
einer lateral - nicht sinnvoll messbar." Sie sind also noch immer kleiner
als ein Zentimeter, liegen im Millimeter-Bereich. Der Neurochirurg hat aber
auch gesagt, dass er die Läsion unter der Operation eventuell nur schwer
lokalisieren könne, wenn sie noch sehr klein sei und: "Bei einer erneuten
Größenzunahme der Läsion halte ich es für vertretbar, eine mikrochirurgische
Operation anzubieten".
Ändert
die Behandlungs-Reihenfolge irgendetwas? Einerseits haben wir einen Tumor, der
wahrscheinlich weiter wächst, während wir in der Schweiz sind. Die Strahlen
kommen dort nicht hin, dürfen dort nicht hin, weil in diesem Gebiet schon
einmal bestrahlt wurde. Lassen wir erst operieren, wächst zwischenzeitlichvielleicht
an anderer Stelle, irgendwo im Liquorraum, ein neuer Tumor. Ich werde noch
heute eine Mail an die Dortmunder schreiben und um Rat fragen.
Andi
war zum Glück Freitagnachmittag da und ich teilte ihr den neuen Befund mit.
Später fuhren wir mit Ada und Vianne zum Kinderturnen. Es machte Spaß, den
Turnmäusen zuzugucken. Ada hat eine tolle Körperspannung. Vianne hält gut mit.
Zum Ende der Turnstunde weinte sie jedoch bitterlich, weil sie es nichtallein
geschafft hatte, vom Sprungbrett aus auf dem Bock aufzuknien. Ada hatte es auf
Anhieb geschafft. Vianne sieht die Unterschiede. Sie ist so streng mit sich, so
ehrgeizig. Erst am Abend zuvor habe ich den Zwillingen erklärt, dass jeder
Mensch einzigartig ist, dass jeder Dinge besser oder schlechter kann und dasjeder
eine spezielle Gabe hat, die er nur im Laufe seines Lebens bei sich entdecken
muss. Ich versuche Vianne zu vermitteln, dass man nicht aufgeben darf, dass es
sich lohnt, immer und immer wieder Dinge zu probieren... Heute muss ich es mir
selbst vor Augen halten, damit ich nicht den Mut verliere - damit ich die Verzweiflung
in Schach halte...., damit ich mich nicht von der Angst lähmen lasse..."Er
ist zu stark, er ist zu schnell. Wir kommen nicht hinterher...." Aber
davon lassen wir uns nicht einschüchtern!!!
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