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26. November 2016

Echtzeit! Schimmer und Schatten



Dienstag, 17. Februar 2015


Obwohl es draußen grau und trüb war, leuchtete Vianne von innen wieder etwas -  zwar entdeckte ich anfangs nur einen zarten Schimmer ihrer Selbst, aber es war zumindest ein Schimmer. Sie wirkte etwas gelöster, weniger wütend. Sie hatte zwar viel Angst, als heute Vormittag der letzte verbliebene Zugang, der zentralvenöse Katheter am Hals gezogen wurde, aber danach (und nach dem Pflasterwechsel am Kopf) entspannte sie merklich. Ich durfte ihr sogar die letzten verbliebenen zauseligen Haare auskämmen und sie frisch machen. Die Ärztin hatte ihr versichert, dass sie sie heute "nicht mehr belästigen" werde. Vianne begann endlich wieder zu spielen. Gemeinsam stylten wir ihre neue Frisierpuppe. Die bekam unglaublich viel Rouge verpasst, so dass sie aussah, als sei sie zu lange in der Sonne gewesen. Als Kosmetikerin hat Vianne keine Zukunft. Danach flochten wir der Puppe mehrere Zöpfe und probierten immer wieder neue Frisuren. Anschließend wollte Vianne sich im Spiegel betrachten. "Ich finde mich hübsch, Mama", sagte sie selbstbewusst, während sie sich prüfend im Badspiegel anschaute. Wie Recht sie hat. Sie ist hübsch, denn ihre Augen haben diesen besonderen Schimmer. Viannes rechter Arm macht nur langsam Fortschritte, aber er macht Fortschritte. Am schönsten aber war heute, dass wir zwei wieder gemeinsam lachen konnten. Zusammen mit Micha, der mich am frühen Nachmittag im Krankenhaus ablöste, spielten wir mehrere Runden Uno, wobei Vianne dreimal in Folge gewann. Sie freute sich und fing an, Quatsch zu machen, nannte uns "Streithammel", weil wir uns gegenseitig neckten und uns über den jeweiligen Verlierer lustig machten. Da war es wieder, das wunderbare verschmitzte Vianne-Kichern. Erleichtert fuhr ich nach Hause. Doch die Erleichterung sollte nicht lange anhalten. Micha rief an. Ich hörte gleich an seiner Stimme, dass etwas nicht stimmte: Die Ärzte haben das postoperative MRT ausgewertet. Sie sehen einen kleinen Schatten in der Tiefe des Operationsgebietes, etwas, das Kontrastmittel angenommen hat - wahrscheinlich Resttumor. Und nun? Die Ärzte wollen in den nächsten Tagen noch ein MRT von der Wirbelsäule. Das letzte ist auch schon wieder über 12 Wochen her. Dann wollen sie sich besprechen. Ich will gar nicht wissen, was wir vielleicht noch sehen werden, noch hören werden... Es hört einfach nicht auf...Ich glaube, jetzt ist ein guter Zeitpunkt, sich Vianne zu schnappen und ganz weit weg von diesen Krankenhäusern zu laufen...Ich will das letzte zarte Schimmern in ihren Augen nicht verlieren... Spätestens am Freitag wollen wir nach Hause.




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