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1. November 2016

Fieberfrei, MRT und haarige Gedanken



Echtzeit:  13. November 2014


Seit Dienstag ist Vianne fieberfrei. Zum Glück! Sie erholt sich so unglaublich schnell. Als ob nichts gewesen wäre. Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen. Heute, am Donnerstag, hatten wir das MRT des Spinalkanals. Beim Frühstück habe ich Vianne erklärt, dass sie wieder in "die Röhre" müsse. Sie schaute mich gespielt theatralisch an und meinte: "Heiliges Schlappohr". Sie schafft es immer wieder, mir ein Lachen ins Gesicht zu zaubern. Obwohl das eigentlich mein Part sein sollte. Sie meisterte das MRT wieder komplett ohne Narkose, ohne Beruhigungssaft. Um 13 Uhr legte ihr die Ärztin in der onkologischen Ambulanz den Zugang für das Kontrastmittel, untersuchte sie, nahm Blutproben, maß und wog die Maus, machte diverse neurologische Tests mit ihr. Sie bekam ein Bonbon als Belohnung. Mir war es heute egal. Heute war Zuckertag! Vianne kaute genüsslich auf dem Kaubonbon. Beim Zuganglegen flossen allerdings wieder ein paar Tränen, aber sie war tapfer. Sie durfte sogar das Filly-Heft aus dem Wartezimmer mitnehmen - meine kleine Verhandlungskünstlerin. Dann gingen wir ins Hauptgebäude zur Radiologie. Ich meldete Vianne an: "Ach, Emma Vianne, na dich kennen wir doch schon, du Süße", sagte die nette Sekretärin. Als wir im Wartebereich vor dem MRT saßen, kam sie nochmals zu uns: "Darf Emma (sie heißt Vianne!) einen Schokoriegel?" Klar, heute war Ausnahmetag, heute war Zuckertag. Dann wurden wir herein gerufen. Wir zogen uns beide die kleidsamen OP-Kittel an. Mist, ich hatte niemanden, der meinen hinten zubinden konnte.... Schließlich konnte ich eine Schwester auftreiben. Vianne versank in ihrem. Irgendwie erinnerte sie mich mit ihrem dicken Schnuller und dem viel zu großen Hemd an "Maggie" von den Simpsons. "Mensch, siehst du süß aus in dem großen Kittel!", meinte der Radiologe lachend zu Vianne. Seine herzliche und ungezwungene Art tat gut. Ich überreichte ihm einen Stick mit zahlreichen "Drache-Kokosnuss-Folgen". Darum hatte er beim letzten Mal für andere kleine Patienten gebeten. Dann schloss er mein Handy für Viannes Kokosnuss-Folge an. Wir gingen in den MRT-Raum. Vianne zögerte leicht. Ich hob sie auf die Liege. Die Assistentin drückte ihr den Notfall-Drücker in ihre kleine Hand. Wir bekamen beide Kopfhörer. Die Liege wurde in die Röhre gefahren. Vianne wirkte ruhig, ich war nervös, versuchte aber, Routine auszustrahlen. Die Tür schloss sich. Dann begann das Klackern und Surren. Ich hatte noch nie ein MRT erlebt. Es war befremdlich. Meine tapfere Tochter lag in der engen Röhre. Sie wirkte entspannt. Ich atmete heftig. "Ganz ruhig bleiben", ermahnte ich mich. Es konnte nicht sein, dass eine Fünfjährige das MRT souverän meistert, während die Nerven ihrer Mama blank liegen. Also riss ich mich zusammen. Ich stand die ganze Zeit an ihrem Fußende, streichelte ihre Füße in den rosaroten Ringelsöckchen. Das Tackern der Röhre erinnerte mich an den nervigsten Disco-Rhythmus. Ich musste etwas schmunzeln. Ich schaute zu Vianne - und konnte es nicht glauben. Die Maus war eingeschlafen. Wir mussten sie zum Ende der Aufnahmen wecken. Alle lobten sie. Sie wäre "so tapfer", sie wäre "tapferer als mancher Erwachsener". Das kann ich nur bestätigen. Der Arzt verlieh ihr eine Tapferkeitsurkunde und den entsprechenden Button. Ich musste ihn ihr sogleich ans Oberteil heften. Ich drückte und küsste meine kleine Heldin. Der Zugang wurde gezogen, und wir durften nach Hause. Aber zuerst kauften wir noch diverse Hefte und einen Riesen-Cookie am Kiosk - und einen Doppelpack Hanuta, und zwei Kaubonbons - eins für Ada, eins für Vianne: Hey! Zuckertag!!!

Ich wollte keinen Telefonanruf bekommen. Der Tag verlief so gut. Ich habe ernsthaft in Betracht gezogen, nicht ans Telefon zu gehen, falls eine unterdrückte Rufnummer angezeigt wird. Das Telefon blieb still. Danke. Ich will auch morgen kein Ergebnis bekommen....

Es ist manchmal so seltsam. Obwohl wir wieder vor der Frage stehen, ob ein neuer Tumor wächst, mache ich mir Gedanken über Viannes Haare. Nicht weil es mir persönlich wichtig erscheint, sondern weil es mittlerweile für meine Tochter von Bedeutung ist. Sie ist größer, älter geworden. Als Vianne wegen der Chemo das erste Mal ihre Haare verlor, war sie erst drei Jahre alt. Sie fand es nicht wirklich schlimm. Als sie vier Jahre alt wurde, wünschte sie sich ab und zu solche "weißen" Haare wie Ada oder wie die Prinzessinnen in ihren Büchern. Sie fragte uns, warum sie keine Haare mehr habe. Früher hätte sie doch schon einmal welche gehabt. Wir erklärten ihr, dass die "Chemo-Ritter" in der Hitze des Gefechts ab und zu ein paar gute Zellen, nämlich die Haarzellen, treffen. Die können sich dann nicht mehr halten und fallen ab. Das erschien ihr einleuchtend und sie akzeptierte die Erklärung. Sie fand es nämlich ebenso spannend, dass ich ihr bunte Blumen und einen Schmetterling auf ihr kahles Köpfchen malte, ebenso wie in dem Buch: "Prinzessin Lucie und die Chemo-Ritter". Kurz nach Ende der Chemo, noch während der Bestrahlung, wuchsen ihre Haare wieder. Zuerst zeigte sich lediglich ein zarter dunkler Flaum, später verwandelten sich die kurzen glatten Haare in wunderbare kräftige Kringellöckchen. Nur das bestrahlte Gebiet blieb anfangs kahl. Die Schweizer Radiologen hatten uns bereits auf diesen "Folgeschaden" der Bestrahlung hingewiesen. Die Chance, dass dort wieder Haare wachsen, sei gering. Es war Vianne und uns egal. Schließlich gibt es schicke Langhaarfrisuren mit Seitenscheitel... 
Doch entgegen aller Erwartungen wuchsen, wenn auch spärlich, ein paar feine Haare nach. Sie wurden länger und dichter. 
Die Löckchen entwickelten sich zu richtigen Schillerlocken. Auf einmal durfte ich Vianne keine Haarspange mehr hinein machen, denn sie wollte, dass ihre Haare "fliegen". Ganz oft rief sie voller Begeisterung: "Mama, ich spüre den Wind in den Haaren!" Wir freuten uns, dass sie sich so freute.   

In der Zoom-Erlebniswelt entdeckte sie einen Lüftungsschacht: wir bekamen sie kaum dort weg...Ihre Haare flogen aber auch wirklich toll! Sie lachte und quietschte vor Vergnügen.
Irgendwann konnten wir den ersten Zopf machen - mit Hilfe von unzähligen Haarspangen. Endlich wieder ein echter Zopf, wenn auch ein kleiner.

Kurz nach der ersten Rezidiv-Diagnose machten wir ein Foto für die Schweizer Radiologen. 
Juli 2014

In gewissen Abständen füllen wir einen Dokumentationsbogen aus, der darüber Aufschluss gibt, wie sich Vianne nach der Protonenbestrahlung entwickelt: eigentlich sehr gut - abgesehen von diesen hinterhältigen Krebszellen. Sie hat nun wieder größere Ähnlichkeit mit Ada. Das ist ihr persönlich sehr wichtig. 


September 2014
Die vielen Locken verbergen, wie lang ihre Haare in Wirklichkeit geworden sind. Der Zopf lässt sich sogar schon flechten.
 

Durch die anstehende Bestrahlung wird sie ihre Haare wahrscheinlich wieder verlieren, vielleicht endgültig. Wir wissen noch nicht, wie wir sie darauf vorbereiten sollen. Es sind nur Haare....



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