18. Dezember 2014
Wir
drehen uns im Kreis. Es ist ungewiss, ob wir die Protonentherapie wie geplant
starten können. Es ist ungewiss, ob unsere Kraft für das Kommende ausreichen
wird. Es ist ungewiss, ob Vianne weiter so gut mitmachen, so kooperativ sein
wird. Heute Nachmittag rief Dr. B. an: ich hatte vorab um Rückruf gebeten, um
ihm eine kurze Zusammenfassung von den Vorbereitungsmaßnahmen am Montag und
Dienstag am PSI in der Schweiz zu geben und weitere Details abzuklären. Ich
hatte nicht damit gerechnet, dass er auch für uns eine Nachricht hat. Der
Referenzbefund aus Würzburg sei da: ein neuer Tumor! Ich hatte überhaupt nicht mehr
daran gedacht, hatte es weit von mir gewiesen, war mir so sicher gewesen, dass sich
der Anfangsverdacht nicht bestätigen wird. Ein neuer Tumor, noch klein, und
trotzdem schon aus Millionen von Zellen bestehend. Ein neuer Tumor, trotz
laufender Chemotherapie. Scheiß auf das Temodal. Es scheint nicht zu wirken.
Immer öfter schleicht sich ein bitterböser kleiner Gedanke in meinen Kopf: wir
werden sie verlieren. Ich sehe sie an, beobachte sie, wie sie durch das
Wohnzimmer tanzt, heimlich auf dem Sofa hüpft, mit Ada die Treppen rauf und
runter jagt, Purzelbäume auf dem Sitzkissen schlägt - und mir schießen die Tränen
in die Augen. Es ist so unsagbar surreal. Sie soll so krank sein? Dennoch
wächst wieder etwas in ihr, was
dort nicht hingehört. Dann sehe ich plötzlich vor meinem inneren Auge, wie Ada
ganz allein im Raum steht, ohne Vianne, ohne ihre innige Umarmung, ohne ihr
vorwurfsvolles: "Adaaaa, ssspiel nicht ohne mich weiter, ich muss
mal!" Diese Bilder peinigen mich, nagen an meiner Hoffnung, wollen eine
tiefe Dunkelheit hinterlassen.
Aber noch kann ich diese Bilder erfolgreich wegwischen. Nur der Dumme schaut
andauernd in die Zukunft und vergisst das Hier und Jetzt mit all seinen
Facetten. Dann muss ich wieder lachen, insbesondere wenn die Damen "Eni
Goldi" (oder so ähnlich spielen). Ich muss gestehen, dass ich bis heute nicht
begriffen habe, was sie da eigentlich genau spielen. Ich höre nur immer wieder:
"Hey, Ada, lass uns 'Eni goldi' spielen" - und dann wird gekichert.
Zwillinge eben...
Ich
habe Dr. B. gefragt, was wir nun machen sollen. Er will abklären, wie die
Schweizer die neue Situation beurteilen. Er riet, schon einmal den Neurochirurgen
zu kontaktieren. Ich habe heute vorsorglich mit Prof. S. einen Gesprächstermin
für den 5. Januar vereinbart. Die Frage ist: erst operieren (das ist zum Glück
möglich) und dann bestrahlen oder erst bestrahlen und dann operieren. Die
Aussaat erfolgt so schnell. Was ist, wenn wir erst operieren, wir dadurch aber
aus dem Schweizer Bestrahlungsplan raus fallen und sich bis zum nächsten
Termin etwas Neues ausgesät hat? Was ist, wenn wir erst bis Anfang März
bestrahlen lassen und anschließend operieren lassen, der Tumor dann aber
vielleicht schon so groß ist, dass er Schäden angerichtet hat? Wir werden bald
mehr wissen, sobald sich die Experten besprochen haben. Wie sollen wir Vianne
noch eine weitere Hirn-OP zumuten? Diese Frage quält mich zusehends. Der Tumor
liegt zwar sehr oberflächlich, aber es ist und bleibt ein schwerer Eingriff.
Sie ist immer so tapfer gewesen. Warum muss sie immer wieder tapfer sein. Es
reicht!!! Heute Abend beim Zubettbringen hat sie mich so innig gedrückt und mir
gesagt, dass sie mich soooooo doll lieb hat und dass sie soooo froh ist, dass
ich den Papa geheiratet habe, den sie auch soooo doll lieb hat. Ich musste
weinen. "Warum weinst du?" fragte sie mich.
Über
die beiden Tage in der Schweiz berichte ich später, heute bin ich schon zu
müde. Morgen früh haben wir noch einen Kontrolltermin in Dortmund zur
Blutuntersuchung und danach fahren wir erst einmal in den Skiurlaub. Wir
brauchen wieder mehr helle, leuchtende Bilder in unseren Köpfen...
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