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26. November 2016

Echtzeit! Wir funktionieren


Donnerstag, 26. Februar 2015


Eine Woche ist vergangen, seitdem wir das Krankenhaus verlassen haben. Erst eine Woche - und diese Woche erscheint nur noch so blass wie ein zweitklassiges Buch, das man eben erst gelesen hat, an dessen Handlung man sich aber kaum noch erinnern kann. Weil es einen nicht so richtig interessiert hat. Weil es einen nicht packen konnte. Uns kann das Leben gerade auch nicht so richtig packen. Wir funktionieren, mal besser, mal schlechter. Vianne funktioniert erstaunlich gut, trotz der Beeinträchtigungen -oder vielleicht den Beeinträchtigungen zum Trotz? Sie funktioniert, als ob sie noch nie ein anderes Leben gekannt hat. Mit unglaublicher Ausdauer versucht sie, der Barbie-Puppe mit nur einer funktionierenden Hand ein Kleid überzustreifen oder ein widerspenstiges Playmobil-Pferd aufzuzäumen. Sie kichert häufig. Sie ist an sich gut gelaunt.
Freitag war sie zu Besuch bei einer kleinen Freundin - eine gute Stunde hatte ich ihr zugesichert. Sie fand es so toll, dass sie gleich wieder hin möchte. Der Samstag war ein Desaster. Obwohl wir uns so anstrengten, einen schönen Tag zu verleben, passte alles nicht. Zudem hatte Luke nun doch ein grippaler Infekt eingeholt, der sich schon am Freitag angekündigt hatte. Wir waren einfach nur angespannt. Am Sonntag konnten wir uns schließlich aufraffen, raus zu gehen, zumal Luke wieder fieberfrei war. Wir besuchten den kleinen, überschaubaren Tierpark in Bochum. Die zahlreichen Besucher um mich herum stressten mich, unsere Kinder redeten alle voller Begeisterung gleichzeitig auf mich ein. Wie zäh alles plötzlich scheint, wenn man zutiefst unglücklich ist. Alles in allem hatte sich dieser Tag aber schon eine bessere Note verdient.
Am Montag warteten wir vergeblich auf einen Anruf aus der Essener Uniklinik. Eigentlich sollte das weitere Vorgehen mitgeteilt werden. Als wir schließlich anriefen, war kein Arzt mehr verfügbar. Am Montagabend fieberte und hustete Vianne plötzlich. Die Nacht verlief erstaunlich ruhig, so dass ich Hoffnung hatte, mit einem halbwegs infektfreien Kind den energetischen Heiler/ Heilpraktiker am nächsten Vormittag aufzusuchen, mit dem wir in der Vorwoche kurzfristig einen Termin vereinbaren konnten. Vianne fieberte jedoch weiter. Micha und ich fuhren trotzdem mit ihr. Nachmittags stieg die Temperatur schließlich auf über 40 Grad
Celsius und Vianne wirkte total fertig und schläfrig. Ich telefonierte mit den Ärzten, während ich abwechselnd fiebersenkende Mittel gab und Wadenwickel machte. Zum Glück waren meine Eltern da und konnten sich um die übrigen Kinder kümmern. Zur Sicherheit kam abends noch unser Kinderarzt vorbei und horchte Vianne (und Ada) ab, und auch unser Dortmunder Klinikteam konnte uns vorab telefonisch beruhigen, dass Vianne nicht höher gefährdet sei, auch nicht aufgrund der erst kürzlich gelaufenen Operation. Ich bin so froh, dass wir uns damals bewusst für die Dortmunder Kinderklinik entschieden haben. Unser Onkologe rief zügig zurück, nachdem ihn eine Schwester über meinen Anruf informiert hatte. Noch am selben Abend war der Fieberschub vorbei - während bei Ada das Fieber gerade aufflammte - bis heute. Es ist schon seltsam. Viannes Immunsystem hat den Infekt unglaublich schnell in den Griff bekommen, schneller als Lukes und Adas. Gegen ihren "Scheiß Wicht" scheint sie aber machtlos zu sein.
Am Dienstag meldete sich dann die Essener Neurochirurgie: "Weitere Operationen machen keinen Sinn." Heute hatten wir den Gesprächstermin mit der Expertin für Ependymom-Rezidive in Essen. Micha musste allein hinfahren, da Ada nach wie vor hoch fiebert. Aufgrund einer "Telefonkonferenz" konnte ich aber trotzdem an dem Gespräch mit der Onkologin teilnehmen. Eine neue Studie wird wahrscheinlich bald geöffnet, da könnte Vianne reinpassen. Dabei wird noch intensiver molekular-genetisch geforscht, um Vianne evtl. ein zielgerichtetes Medikament anbieten zu können. "Es tut sich gerade ganz viel in dieser  Richtung", informierte die Expertin. Bis dahin sollen wir die heikle Stelle im Rückenmark möglichst schnell bestrahlen lassen. Wir könnten Vianne auch noch ein Medikament (Vorinostat) geben, das einen Signalweg des Tumors blockiert. Diese Therapiemöglichkeit kennen wir bereits aus den Ergebnissen, die die molekular-biologische Untersuchung ergeben hat, die nach dem ersten Rezidiv veranlasst wurde. All die derzeit zur Verfügung stehenden Behandlungen sind in Viannes Fall rein palliativ.
Die Fäden sind seit heute raus - Vianne hat es wieder tapfer über sich ergehen lassen. Die Funktion ihres rechten Armes hat sich weiter verbessert. Sie scheint sich von den Strapazen der letzten zwei Wochen zu erholen.

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