Donnerstag, 26. Februar
2015
Eine
Woche ist vergangen, seitdem wir das Krankenhaus verlassen haben. Erst eine
Woche - und diese Woche erscheint nur noch so blass wie ein zweitklassiges
Buch, das man eben erst gelesen hat, an dessen Handlung man sich aber kaum noch
erinnern kann. Weil es einen nicht so richtig interessiert hat. Weil es einen
nicht packen konnte. Uns kann das Leben gerade auch nicht so richtig packen.
Wir funktionieren, mal besser, mal schlechter. Vianne funktioniert erstaunlich
gut, trotz der Beeinträchtigungen -oder vielleicht den Beeinträchtigungen zum
Trotz? Sie funktioniert, als ob sie noch nie ein anderes Leben gekannt hat. Mit
unglaublicher Ausdauer versucht sie, der Barbie-Puppe mit nur einer
funktionierenden Hand ein Kleid überzustreifen oder ein widerspenstiges
Playmobil-Pferd aufzuzäumen. Sie kichert häufig. Sie ist an sich gut gelaunt.
Freitag
war sie zu Besuch bei einer kleinen Freundin - eine gute Stunde hatte ich ihr
zugesichert. Sie fand es so toll, dass sie gleich wieder hin möchte. Der Samstag
war ein Desaster. Obwohl wir uns so anstrengten, einen schönen Tag zu verleben,
passte alles nicht. Zudem hatte Luke nun doch ein grippaler Infekt eingeholt, der
sich schon am Freitag angekündigt hatte. Wir waren einfach nur angespannt. Am
Sonntag konnten wir uns schließlich aufraffen, raus zu gehen, zumal Luke wieder
fieberfrei war. Wir besuchten den kleinen, überschaubaren Tierpark in Bochum. Die
zahlreichen Besucher um mich herum stressten mich, unsere Kinder redeten alle
voller Begeisterung gleichzeitig auf mich ein. Wie zäh alles plötzlich scheint,
wenn man zutiefst unglücklich ist. Alles in allem hatte sich dieser Tag aber
schon eine bessere Note verdient.
Am
Montag warteten wir vergeblich auf einen Anruf aus der Essener Uniklinik.
Eigentlich sollte das weitere Vorgehen mitgeteilt werden. Als wir schließlich
anriefen, war kein Arzt mehr verfügbar. Am Montagabend fieberte und hustete
Vianne plötzlich. Die Nacht verlief erstaunlich ruhig, so dass ich Hoffnung
hatte, mit einem halbwegs infektfreien Kind den energetischen Heiler/
Heilpraktiker am nächsten Vormittag aufzusuchen, mit dem wir in der Vorwoche
kurzfristig einen Termin vereinbaren konnten. Vianne fieberte jedoch weiter. Micha
und ich fuhren trotzdem mit ihr. Nachmittags stieg die Temperatur schließlich
auf über 40 Grad
Celsius
und Vianne wirkte total fertig und schläfrig. Ich telefonierte mit den Ärzten,
während ich abwechselnd fiebersenkende Mittel gab und Wadenwickel machte. Zum
Glück waren meine Eltern da und konnten sich um die übrigen Kinder kümmern. Zur
Sicherheit kam abends noch unser Kinderarzt vorbei und horchte Vianne (und Ada)
ab, und auch unser Dortmunder Klinikteam konnte uns vorab telefonisch
beruhigen, dass Vianne nicht höher gefährdet sei, auch nicht aufgrund der erst
kürzlich gelaufenen Operation. Ich bin so froh, dass wir uns damals bewusst für
die Dortmunder Kinderklinik entschieden haben. Unser Onkologe rief zügig
zurück, nachdem ihn eine Schwester über meinen Anruf informiert hatte. Noch am
selben Abend war der Fieberschub vorbei - während bei Ada das Fieber gerade
aufflammte - bis heute. Es ist schon seltsam. Viannes Immunsystem
hat den Infekt unglaublich schnell in den Griff bekommen, schneller als Lukes
und Adas. Gegen ihren "Scheiß Wicht" scheint sie aber machtlos zu
sein.
Am Dienstag meldete sich dann die Essener Neurochirurgie:
"Weitere Operationen machen keinen Sinn." Heute hatten wir den
Gesprächstermin mit der Expertin für Ependymom-Rezidive in Essen. Micha musste
allein hinfahren, da Ada nach wie vor hoch fiebert. Aufgrund einer
"Telefonkonferenz" konnte ich aber trotzdem an dem Gespräch mit der
Onkologin teilnehmen. Eine neue Studie wird wahrscheinlich bald geöffnet, da
könnte Vianne reinpassen. Dabei wird noch intensiver molekular-genetisch
geforscht, um Vianne evtl. ein zielgerichtetes Medikament
anbieten zu können. "Es tut sich gerade ganz viel in dieser Richtung", informierte die Expertin. Bis
dahin sollen wir die heikle Stelle im Rückenmark möglichst schnell bestrahlen
lassen. Wir könnten Vianne auch noch ein Medikament (Vorinostat) geben, das
einen Signalweg des Tumors blockiert. Diese Therapiemöglichkeit kennen wir
bereits aus den Ergebnissen, die die molekular-biologische Untersuchung ergeben
hat, die nach dem ersten Rezidiv veranlasst wurde. All die derzeit zur
Verfügung stehenden Behandlungen sind in Viannes Fall rein palliativ.
Die
Fäden sind seit heute raus - Vianne hat es wieder tapfer über sich ergehen
lassen. Die Funktion ihres rechten Armes hat sich weiter verbessert. Sie
scheint sich von den Strapazen der letzten zwei Wochen zu erholen.
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