Donnerstag, 11.
Dezember 2014
Das
Zittern geht weiter, während um uns herum das Chaos tobt. Manchmal komme ich
mir vor wie im Auge eines Hurricans - ein kurzer, trügerischer Moment des
Durchatmens, bevor der Sturm wieder mit voller Kraft über uns hereinbricht.
Alles wirbelt so schnell um uns herum. Und dann wird für einen kurzen Moment
alles angehalten. Voller Sorge, ob die Krankenkasse die Kosten für die
Protonenbestrahlung in der Schweiz übernehmen wird, habe ich mich in der Nacht
von Montag auf Dienstag unruhig im Bett hin und her geworfen. Montagmorgen
hatte mich die Krankenkasse angerufen, weil sie noch eineWillenserklärung
von uns brauchte. Sie konnten noch nichts zu einer Entscheidung sagen. Der Sachbearbeiter war zum
Glück sehr sympathisch. Ich bat noch einmal um eine schnelle Klärung, da uns
die Zeit davon rannte. Beim letzten Mal hatte es von der Anfrage bis zur Zusage
rund fünf Wochen gedauert, ich hatte extra noch mal in meinen Unterlagen
nachgeschaut. Warum sollte es jetzt schneller gehen? Montagabend hatte mir Dr.
B. noch eine E-mail geschrieben, dass die Schweizer eine definitive
Kostenübernahme-Bestätigung in Höhe von rund 100.000 Schweizer Franken bis
Mittwoch bräuchten. Bis dato war ich, in Anlehnung an die letzte Behandlung,
immer von einer Summe von maximal 50.000 ausgegangen. Mir wurde abwechselnd
heiß und kalt. Warum soll die Kasse eine craniospinale Re-Bestrahlung mit Protonen
zahlen, wenn es auch mit Photonen geht. Warum sollen sie eine Behandlung in der
Schweiz zahlen, wenn es ein Gerät in Essen gibt. Ich war so unsicher.
Montagabend
stand dann auch wieder die Chemo für Vianne an. Sie beschwert sich nie. Sie
zählt immer ganz tapfer bis drei, bevor sie das Honig-Gift-Gemisch schluckt.
Wir sind gerade in der gefährlichen Nebenwirkungsphase, in der es zu einem
tödlichen Leberversagen kommen kann. Sie wirkt so fröhlich. Mittags kam Luke
mit einer sechs im Musiktest an. Dienstag rief ich schließlich bei unserer
Krankenkasse an: "Wir übernehmen die Kosten", teilte der
Sachbearbeiter mit. "Die Zusage ist schon auf dem Postweg und müsste
morgen früh bei Ihnen sein." Ich hätte ihn umarmen können!
Am
Mittwoch hatte Vianne nachmittags ihren MRT-Termin. Ada war dabei, als Vianne
den Zugang im Krankenhaus gelegt bekam. Der Arzt machte Scherze mit den beiden
und sprach sie mit "kleine Prinzessinnen" an. Das wurde mit einem
Kichern kommentiert. Um 16 Uhr sollte das MRT starten. Um 17.30 Uhr ging es
letztendlich los. Die Wartezeit haben wir mit uns mit Croissants,
Schokobrötchen und Sandkuchen versüßt (MRT-Tag = Zuckertag). Zum Glück war
Micha dabei. Schließlich durften wir in die Umkleide. Micha warf sich den
schmucken grünen Arztdress über, Vianne zog ihr überdimensionales OP-Kleidchen
an. "Schau mal, ich kann fliegen", kicherte sie und ließ die langen
Hemdsärmel flattern. "Du siehst aus wie ein kleines Nachtgespenst",
meinte ich zu ihr, woraufhin beide Mädels auf die Idee kamen, gefährliche, krallenzeigende
"Geistergespenster" zu sein. Sie spukten durch die enge
Umkleidekabine. Es war laut und lustig. Wir kamen dann doch zügig dran. Vianne meisterte
das MRT wieder mit Bravour. Wir warten jetzt auf das Ergebnis. Es ist
zermürbend. Wir zittern. Es ist 15.30 Uhr, normalerweise müssten sich die Ärzte
schon besprochen haben. Die Mädels wollen Schneemann-Plätzchen backen - ich bin
halb handlungsunfähig. Heute Morgen rief die Sekretärin vom PSI/ Schweiz an. Es
tat gut, ihre Stimme zu hören. Sie ist so liebenswürdig und empathisch. Sie
wollte vor dem Tumorboard (Tumorkonferenz) klären, ob wir Montag und Dienstag,
15./16.12. in die Schweiz zur Planung kommen. Ich sagte ihr, dass wir gerne
kommen würden, aber noch auf das aktuelle MRT-Ergebnis warten. "Was machen
wir bloß, wenn sich ein neuer Tumor in Viannes Köpfchen zeigt?", meinte
ich. "Sie kommen erst einmal am Montag", sprach sie mir Mut zu. Wir
zittern weiter. Micha ruft gerade in Dortmund an...
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