Sonntag, 1.
März 2015
Ich
hätte den Mund nicht so voll nehmen sollen: Viannes Immunsystem hat den Infekt
doch nicht in den Griff bekommen. Am Freitagabend kam das Fieber wieder,
während nun Ada fieberfrei ist. Seitdem hält es sich konstant. Vianne sieht
fertig aus und schläft viel. Eigentlich wollten wir am Wochenende zum
Ponyreiten. Vianne meinte von sich aus, sie sei zu müde dafür und kuschelte
sich aufs Sofa. Also bin ich nur mit Ada gefahren, denn die musste nach der
Zwangspause Zuhause endlich raus, sich bewegen und etwas unternehmen. Es war
schön, einmal nur Zeit mit Ada zu verbringen und mich voll und ganz auf sie
konzentrieren zu können. Wir hatten ein zotteliges, flauschiges, gutmütiges
kleines Pony namens Milla bekommen, dass sich scheinbar ebenso über den Ausritt
zu freuen schien wie wir. Auch ich war zu lange nicht mehr draußen gewesen. Es
tat gut, durch den Wald zu streifen, frische Luft zu tanken und den Wind
im Gesicht zu spüren. Und es war befremdlich, mit nur einem Zwilling unterwegs
zu sein. Sofort musste ich daran denken, ob das unsere Zukunft sein wird.
Ich
will so viel in die nächste Zeit packen, dass ich gar nicht mehr weiß, wo ich
anfangen soll. Es gibt noch kein Konzept. Am liebsten würde ich sofort mit der ganzen
Familie für mehrere Monate in die Sonne, ans Meer, in die Berge fahren. Doch
wir wissen nicht, wie sich die Ausbreitung des Tumors und seiner Metastasen in
den nächsten Monaten verhält. Schweren Herzens habe ich heute unser Ferienhaus
auf Mallorca für die Herbstferien abgesagt. Wir wollen für alle kommenden Ferien
spontan entscheiden. Wir müssen spontan entscheiden. Morgen haben wir unseren
dritten Termin bei unserem Heilpraktiker/ energetischen Heiler. Noch immer bin
ich mir nicht sicher, was ich von ihm und seinem
Einsatz halten soll. Wie gern würde ich daran glauben, dass er etwas schafft,
was die aggressiven schulmedizinischen Maßnahmen nicht geschafft haben. Wie
gern würde ich daran glauben, dass er Viannes Selbstheilungskräfte aktiviert.
Kann ich aber nicht, zumindest nicht so, wie ich es mir wünschen würde. Ab morgen
liegen auch wieder viele anstehende Aufgaben in den Händen der Dortmunder
Ärzte: wir brauchen einen Termin zur Aufklärung, Einwilligung und Blutabnahme
für die Inform-Studie, für die sich Vianne aus Expertensicht qualifiziert und
die in Kürze starten soll. Inform steht für "INdividualized Therapy For Relapsed
Malignancies in Childhood". Es muss
schnell gehen. Wieder einmal sitzt uns die Zeit im Nacken. Zwei der unzähligen
Aufnahmekriterien lauten sinngemäß: Das Kind muss noch länger als drei Monate
leben und in einem stabilen gesundheitlichen Zustand sein. Es liest sich so
kalt, so nüchtern, aber so sieht die Realität aus - uns es macht Sinn. Studien
müssen vernünftig angelegt sein, damit man aus ihnen Erkenntnisse gewinnen
kann. Die Studie ist für zukünftige Generationen gedacht. Wenn wir etwas daraus
ziehen können, wenn
die genetische Analyse von Viannes Tumormaterial uns einen Hinweis gibt, wie es
noch gezielter individuell angreifbar ist und es schon ein entsprechendes
Mittel auf dem Markt gibt, haben wir einfach Glück gehabt - und Zeit gewonnen.
Ebenso zügig muss die Bestrahlung des befallenen Rückenmarkbereichs starten - wir
hoffen, dass es in Dortmund möglich sein wird. Warten wir zu lange, riskieren wir eine Lähmung bei Vianne.
Allerdings brauchen die heimischen Radiologen wieder den Bestrahlungsplan der
Schweizer, weil Vianne bereits viermal 1,8 Gy auf den Rücken bekommen hat.
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