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26. November 2016

Echtzeit! OP-Tag und danach…



Samstag, 14. Februar 2015


Ich komme erst jetzt dazu zu schreiben, es war zu viel die letzten zwei Tage. Die Operation verlief gut – ohne irgendwelche Komplikationen. Um viertel vor 12 wurden wir abgeholt. Da sie das Dormicum nicht als Zäpfchen hatten, wurde Vianne der blaue Saft angeboten, den sie natürlich verweigerte. Das hätte sie schließlich schon vorher gesagt. Micha trug sie auf seinem Arm sicher zum OP-Bereich. Sie schmiegte sich eng an ihn und wollte nicht im Bett gefahren werden.

Wir fragten sie, ob sie Angst hätte. "Nein." Der ältere, freundliche Anästhesist, der den Abend zuvor die Aufklärung übernommen hatte, erwartete uns. Er  begrüßte Vianne freundlich und versuchte, sie sogleich in ein Gespräch über den Hund (aus dem Kindergarten) zu verwickeln. Am Abend zuvor hatte er das Foto auf ihrem Nachttischchen gesehen. Ich hatte Vianne im Vorfeld gefragt, welchen Traum sie träumen wollte in der Narkose. "Peter Pan", antwortete sie prompt. Sie flüsterte mir im OP-Vorraum zu, ich solle das den Ärzten sagen. Ich gab es weiter. Ein anderer Arzt?/Assistent?/Pfleger? zog eine Spritze, gefüllt mit Flüssigkeit, hervor und meinte: "So, hier haben wir den Peter-Pan-Traum." Ich musste lächeln. Vianne nickte. Sie legten den Zugang am Fuß. Innerhalb einer halben Minute war sie in unseren Armen eingeschlafen. Wir mussten den Vorbereitungsraum verlassen. Ich hasse diese Abschiede. Micha und ich schlichen erschöpft aufs Zimmer zurück. Wir warteten, wir versuchten zu frühstücken, wir gingen wieder in den nahegelegenen Wald, entdeckten ein angrenzendes Wohngebiet mit ehemaligen Zechenhäuschen, die zum einen mit ihren geschwungenen verspielten Giebeln, den Holz-Sprossenfenstern und Rundbögen, den grün-weiß getünchten Türen malerisch und zugleich düster wirkten aufgrund der schmutzig-dunklen Fassade. Im Waldgebiet waren noch immer deutlich die Spuren des letzten Orkans zu sehen - ein Bild der Zerstörung, was in unsere Stimmung passte. Zurück auf dem Zimmer versuchten wir, uns mit einer Runde Kinder-Uno abzulenken (wir hatten nichts anderes dabei). Es klappte. Um Viertel nach vier kam der ersehnte Anruf von Prof. S. aus dem OP. Er sei mit der eigentlichen Opertation fertig, Vianne wäre allerdings noch im OP, da sie die Wunde noch verschließen müssen. Danach stünde noch ein CT an, um Nachblutungen, etc. auszuschließen. Anschließend käme sie auf die Kinderintensivstation. Der Tumor sei größer gewesen, als auf den Bildern von letzter Woche ersichtlich. Er meinte, alles entfernt und wenig gesundes Gewebe verletzt zu haben, da der Tumor zum Großteil an altem Narbengewebe gesessen habe. Letztendlich müsse man aber abwarten, bis Vianne wieder wach sei. Um halb sieben am Abend kam sie schließlich auf der Intensivstation an und wir durften zu ihr. Sie war noch intubiert.

Die Kinderintensivstation war sehr klein und voll belegt. Ein Kind lag neben dem anderen, nur getrennt durch Stellwände. Ein spezielles Beatmungsgerät surrte ständig im Hintergrund, kaltes Neonlicht erhellte den Raum. Das junge, engagierte Intensiv-Team brachte etwas Wärme in diese sterile, piepsende, hektische Welt. Vianne kam gut aus der Narkose und krächzte, nachdem sie von dem Tubus befreit war, nach Apfelsaft. "Das geht jetzt noch nicht", meinte der Mediziner freundlich. Daraufhin wurde Vianne unglaublich knurrig und wies entschieden das in Wasser getränkte Schwämmchen zurück, das ihr gegen den trockenen Mund angeboten wurde. Der Intensiv-Arzt schmunzelte: "Ich find´s gut, wenn die Kinder so sind, dann weiß ich, dass es ihnen ganz gut geht." Dieses Mal musste sich Vianne nicht nach dem Aufwachen übergeben - und bekam einige Stunden später auch ihren Apfelsaft. Ein Notfall jagte in dieser Nacht den nächsten, so dass wir schon um fünf Uhr am Morgen auf unser normales Zimmer zurück durften, weil sie dringend unseren Intensivplatz benötigten und Vianne die ganze Zeit über stabil gewesen war. Ich fand es gut. So bekamen wir unsere dringend benötigte Ruhe. Als ich auf der Intensivstation auf dem Stuhl vor Viannes Überwachungsplatz gesessen habe, bin ich zwischenzeitlich sogar mit dem Kopf auf dem Bett liegend eingeschlafen, so erschöpft war ich, obwohl Micha und ich uns im Drei-Stunden-Rhythmus abgewechselt haben. Vianne bekam noch in der Nacht Fieber, das wir jetzt aber wieder im Griff haben. Sie ist noch unglaublich müde. Sie weint viel und weiß nicht warum. Ihr rechter Arm schmerzt und sie benutzt ihn kaum. Das lässt sie verzweifeln. Ich schaffe es nicht, sie aufzumuntern. Es waren einfach zu viele Operationen, zu viele schmerzhafte, angstbehaftete Krankenhausaufenthalte, die sie schon ertragen musste. Ich habe sie noch nie mental so erschöpft gesehen.

Mit Hilfe der Krankenschwester und mir hat sie es heute das erste Mal geschafft, auf ihren noch kraftlosen Beinchen zur Toilette zu wanken. Das rechte Bein gehorcht ihr noch nicht so richtig. Die Narbe auf ihrem Kopf ist riesig und sieht erschreckend aus, obwohl sie aus ärztlicher Sicht ganz reizlos erscheint. KeineRötung, keine Schwellung. Der dicke Turban-Verband ist ab, jetzt bedecken nur noch Wundkompressen ihren Kopf, die mehr schlecht als recht von einer Art Netzstrumpf an Ort und Stelle gehalten werden.

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