Samstag,
14. Februar 2015
Ich
komme erst jetzt dazu zu schreiben, es war zu viel die letzten zwei Tage. Die
Operation verlief gut – ohne irgendwelche Komplikationen. Um viertel vor 12
wurden wir abgeholt. Da sie das Dormicum nicht als Zäpfchen hatten, wurde
Vianne der blaue Saft angeboten, den sie natürlich verweigerte. Das hätte sie schließlich
schon vorher gesagt. Micha trug sie auf seinem Arm sicher zum OP-Bereich. Sie
schmiegte sich eng an ihn und wollte nicht im Bett gefahren werden.
Wir
fragten sie, ob sie Angst hätte. "Nein." Der ältere, freundliche
Anästhesist, der den Abend zuvor die Aufklärung übernommen hatte, erwartete
uns. Er begrüßte Vianne freundlich und
versuchte, sie sogleich in ein Gespräch über den Hund (aus dem Kindergarten) zu
verwickeln. Am Abend zuvor hatte er das Foto auf ihrem Nachttischchen gesehen.
Ich hatte Vianne im Vorfeld gefragt, welchen Traum sie träumen wollte in der Narkose.
"Peter Pan", antwortete sie prompt. Sie flüsterte mir im OP-Vorraum
zu, ich solle das den Ärzten sagen. Ich gab es weiter. Ein anderer
Arzt?/Assistent?/Pfleger? zog eine Spritze, gefüllt mit Flüssigkeit, hervor und
meinte: "So, hier haben wir den Peter-Pan-Traum." Ich musste lächeln.
Vianne nickte. Sie legten den Zugang am Fuß. Innerhalb einer halben Minute war
sie in unseren Armen eingeschlafen. Wir mussten den Vorbereitungsraum
verlassen. Ich hasse diese Abschiede. Micha und ich schlichen erschöpft aufs
Zimmer zurück. Wir warteten, wir versuchten zu frühstücken, wir gingen wieder
in den nahegelegenen Wald, entdeckten ein angrenzendes Wohngebiet mit
ehemaligen Zechenhäuschen, die zum einen mit ihren geschwungenen verspielten
Giebeln, den Holz-Sprossenfenstern und Rundbögen, den grün-weiß getünchten Türen
malerisch und zugleich düster wirkten aufgrund der schmutzig-dunklen Fassade.
Im Waldgebiet waren noch immer deutlich die Spuren des letzten Orkans zu sehen
- ein Bild der Zerstörung, was in unsere Stimmung passte. Zurück auf dem Zimmer
versuchten wir, uns mit einer Runde Kinder-Uno abzulenken (wir hatten nichts
anderes dabei). Es klappte. Um Viertel nach vier kam der ersehnte Anruf von
Prof. S. aus dem OP. Er sei mit der eigentlichen Opertation fertig, Vianne wäre
allerdings noch im OP, da sie die Wunde noch verschließen müssen. Danach stünde
noch ein CT an, um Nachblutungen, etc. auszuschließen. Anschließend käme sie
auf die Kinderintensivstation. Der Tumor sei größer gewesen, als auf den
Bildern von letzter Woche ersichtlich. Er meinte, alles entfernt und wenig
gesundes Gewebe verletzt zu haben, da der Tumor zum Großteil an altem
Narbengewebe gesessen habe. Letztendlich müsse man aber abwarten, bis Vianne
wieder wach sei. Um halb sieben am Abend kam sie schließlich auf der
Intensivstation an und wir durften zu ihr. Sie war noch intubiert.
Die
Kinderintensivstation war sehr klein und voll belegt. Ein Kind lag neben dem
anderen, nur getrennt durch Stellwände. Ein spezielles Beatmungsgerät surrte
ständig im Hintergrund, kaltes Neonlicht erhellte den Raum. Das junge,
engagierte Intensiv-Team brachte etwas Wärme in diese sterile, piepsende,
hektische Welt. Vianne kam gut aus der Narkose und krächzte, nachdem sie von
dem Tubus befreit war, nach Apfelsaft. "Das geht jetzt noch nicht",
meinte der Mediziner freundlich. Daraufhin wurde Vianne unglaublich knurrig und
wies entschieden
das in Wasser getränkte Schwämmchen zurück, das ihr gegen den trockenen Mund
angeboten wurde. Der Intensiv-Arzt schmunzelte: "Ich find´s gut, wenn die
Kinder so sind, dann weiß ich, dass es ihnen ganz gut geht." Dieses Mal
musste sich Vianne nicht nach dem Aufwachen übergeben - und bekam einige Stunden
später auch ihren Apfelsaft. Ein Notfall jagte in dieser Nacht den nächsten, so
dass wir schon um fünf Uhr am Morgen auf unser normales Zimmer zurück durften,
weil sie dringend unseren Intensivplatz benötigten und Vianne die ganze Zeit
über stabil gewesen war. Ich fand es gut. So bekamen wir unsere dringend
benötigte Ruhe. Als ich auf der Intensivstation auf dem Stuhl vor Viannes
Überwachungsplatz gesessen habe, bin ich zwischenzeitlich sogar mit dem Kopf
auf dem Bett liegend eingeschlafen, so erschöpft war ich, obwohl Micha und ich
uns im Drei-Stunden-Rhythmus abgewechselt haben. Vianne bekam noch in der Nacht
Fieber, das wir jetzt aber wieder im Griff haben. Sie ist noch unglaublich
müde. Sie weint viel und weiß nicht warum. Ihr rechter Arm schmerzt und sie
benutzt ihn kaum. Das lässt sie verzweifeln. Ich schaffe es nicht, sie aufzumuntern.
Es waren einfach zu viele Operationen, zu viele schmerzhafte, angstbehaftete Krankenhausaufenthalte,
die sie schon ertragen musste. Ich habe sie noch nie mental so erschöpft
gesehen.
Mit
Hilfe der Krankenschwester und mir hat sie es heute das erste Mal geschafft,
auf ihren noch kraftlosen Beinchen zur Toilette zu wanken. Das rechte Bein
gehorcht ihr noch nicht so richtig. Die Narbe auf ihrem Kopf ist riesig und
sieht erschreckend aus, obwohl sie aus ärztlicher Sicht ganz reizlos erscheint.
KeineRötung, keine Schwellung. Der dicke Turban-Verband
ist ab, jetzt bedecken nur noch Wundkompressen ihren Kopf, die mehr schlecht
als recht von einer Art Netzstrumpf an Ort und Stelle gehalten werden.
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