Samstag,
7. Februar 2015
Seit
gestern Abend sind wir wieder zuhause. Hätten wir nicht so einen Druck gemacht,
würden wir noch immer in der Uniklinik tatenlos herumliegen und uns die
wertvollen gemeinsamen begrenzten Tage als Familie stehlen lassen. Leider
hatten wir dieses Mal das Pech, dass der Klinikleiter außer Haus war und ein
Oberar(sch)zt das Sagen hatte. Weiter werde ich meine Energien aber nicht auf
dieses emotional degenerierte Exemplar verschwenden. Vielleicht fiel uns der
Unterschied noch extremer nach unserem hochwertigen Klinikaufenthalt in Zürich
auf. Jedenfalls durften wir - ausgestattet mit den wichtigsten (Notfall-)Medikamenten
- die Essener Uniklinik verlassen. Das ist auch gut so, ansonsten hätte ich
voller Wut schon vor die Wand getreten. Zum Glück ist am Montag Prof. S. wieder
im Haus, und dann soll das neu gefahrene MRT-Ergebnis fachübergreifend zwischen
den Onkologen, Radiologen und Neurochirurgen besprochen
werden. Anfang nächster Woche steht dann die Entscheidung an, wie es
weitergehen soll. Wir müssen etwas gegen die beiden Tumore im Primärgebiet
unternehmen, vor allen Dingen gegen dieses wolkige Areal. Das ist anscheinend
dafür verantwortlich, dass Vianne zwischenzeitlich diese Ausfälle und den Krampfanfall
hatte. Es stehen wieder mehrere Optionen zur Auswahl: OP, Bestrahlung, Chemo.
Alle drei bergen hohe Risiken, können nicht heilen, aber uns Zeit verschaffen.
Wir müssen uns für die Maßnahme entscheiden, die Vianne eine größtmögliche
Lebensqualität erhält. Das Temodal, das bisherige Chemotherapeutikum,
können wir absetzen. Es hat nicht gewirkt. Das haben wir schon vorher im Gefühl
gehabt, von daher erstaunt es uns nicht.
Es
ist schön, wieder gemeinsam zuhause zu sein. Es ist schwer, wieder gemeinsam zuhause zu sein. Jesse fragte uns am Abend skeptisch, warum wir denn schon
entlassen worden seien. Wir haben ihm die Wahrheit gesagt. Er hat es sowieso
gespürt. Er war so beherrscht - zu beherrscht. Ich mache mir Sorgen um ihn. Er leidet
so sehr, auch wenn er es hinter einer Fassade versteckt. Vianne blüht Zuhause
auf. Sie blühte schon auf, als Ada gestern zu ihr ins Krankenhaus kam. Es ist
schön, die beiden zusammen zu sehen. Es tut weh, die beiden
zusammen zu sehen. Die Anspannung hier Zuhause ist riesengroß. Zum einen ist da
die Angst, dass Vianne einen erneuten Krampfanfall bekommt (die Gefahr ist da).
Wir lassen sie kaum aus den Augen. Zum anderen ist da die Angst vor dem
Kommenden. Eine liebe Freundin hat Luke heute mit ins Schwimmbad genommen - er
war glücklich und schon mal außerhalb der Schusslinie. Das ist auch gut so,
denn zwischenzeitlich lagen/ liegen unsere Nerven blank. Wir sind so heillos
überfordert und müssen uns erst einmal sortieren. Wir müssen aufpassen, dass
wir uns vor lauter Anspannung nicht wegen irgendwelcher Nichtigkeiten streiten.
Hinzu kommt, dass Ada sich vernachlässigt fühlt und es lauthals hinausschreit:
"Ihr kümmert euch nur noch um Vianne!" Vianne hingegen ist leicht
reizbar - wir schreiben es den Strapazen der letzten Woche und dem Kortison und
dem Antiepileptikum zu.
Heute
Nachmittag waren wir kurz mit den Mädels vor der Haustür und haben fast die gesamte
Straße mit Kreide verschönert. Thema: Unterwasserwelt. Wir haben ein tiefblaues
Meer gemalt. Micha hat einen wirklich stattlichen "Triton" (Arielles
Vater) hinbekommen, wo hingegen seine Arielle eher wie die Meerhexe Ursula
aussieht. Wir mussten lachen. Vianne hat eifrig Gras gezupft und es in Adas
Meer gelegt. "Das ist Meergras, Mama", kicherte sie. Ich sauge diese
Momente in mir auf. Glitzerfische, Tintenfische, Muscheln und Seeschlangen vervollständigen
unser Familienkunstwerk. Der Regen hat unsere bunten Bilder, diesen kleinen
freudigen Moment, wieder fortgewaschen - die Angst ist wieder unser ständiger
Begleiter. Wir müssen einen Weg finden, uns nicht von ihr beherrschen zu
lassen. Aber es wird immer schwerer, im Jetzt zu bleiben und nicht verängstigt
in die Zukunft zu schauen. Die Kälte ist mittlerweile ein Teil von mir.
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