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26. November 2016

Echtzeit! Anstehende Entscheidung



Samstag, 7. Februar 2015

Seit gestern Abend sind wir wieder zuhause. Hätten wir nicht so einen Druck gemacht, würden wir noch immer in der Uniklinik tatenlos herumliegen und uns die wertvollen gemeinsamen begrenzten Tage als Familie stehlen lassen. Leider hatten wir dieses Mal das Pech, dass der Klinikleiter außer Haus war und ein Oberar(sch)zt das Sagen hatte. Weiter werde ich meine Energien aber nicht auf dieses emotional degenerierte Exemplar verschwenden. Vielleicht fiel uns der Unterschied noch extremer nach unserem hochwertigen Klinikaufenthalt in Zürich auf. Jedenfalls durften wir - ausgestattet mit den wichtigsten (Notfall-)Medikamenten - die Essener Uniklinik verlassen. Das ist auch gut so, ansonsten hätte ich voller Wut schon vor die Wand getreten. Zum Glück ist am Montag Prof. S. wieder im Haus, und dann soll das neu gefahrene MRT-Ergebnis fachübergreifend zwischen den Onkologen, Radiologen und Neurochirurgen besprochen werden. Anfang nächster Woche steht dann die Entscheidung an, wie es weitergehen soll. Wir müssen etwas gegen die beiden Tumore im Primärgebiet unternehmen, vor allen Dingen gegen dieses wolkige Areal. Das ist anscheinend dafür verantwortlich, dass Vianne zwischenzeitlich diese Ausfälle und den Krampfanfall hatte. Es stehen wieder mehrere Optionen zur Auswahl: OP, Bestrahlung, Chemo. Alle drei bergen hohe Risiken, können nicht heilen, aber uns Zeit verschaffen. Wir müssen uns für die Maßnahme entscheiden, die Vianne eine größtmögliche Lebensqualität erhält. Das Temodal, das bisherige Chemotherapeutikum, können wir absetzen. Es hat nicht gewirkt. Das haben wir schon vorher im Gefühl gehabt, von daher erstaunt es uns nicht.
Es ist schön, wieder gemeinsam zuhause zu sein. Es ist schwer, wieder gemeinsam zuhause zu sein. Jesse fragte uns am Abend skeptisch, warum wir denn schon entlassen worden seien. Wir haben ihm die Wahrheit gesagt. Er hat es sowieso gespürt. Er war so beherrscht - zu beherrscht. Ich mache mir Sorgen um ihn. Er leidet so sehr, auch wenn er es hinter einer Fassade versteckt. Vianne blüht Zuhause auf. Sie blühte schon auf, als Ada gestern zu ihr ins Krankenhaus kam. Es ist schön, die beiden zusammen zu sehen. Es tut weh, die beiden zusammen zu sehen. Die Anspannung hier Zuhause ist riesengroß. Zum einen ist da die Angst, dass Vianne einen erneuten Krampfanfall bekommt (die Gefahr ist da). Wir lassen sie kaum aus den Augen. Zum anderen ist da die Angst vor dem Kommenden. Eine liebe Freundin hat Luke heute mit ins Schwimmbad genommen - er war glücklich und schon mal außerhalb der Schusslinie. Das ist auch gut so, denn zwischenzeitlich lagen/ liegen unsere Nerven blank. Wir sind so heillos überfordert und müssen uns erst einmal sortieren. Wir müssen aufpassen, dass wir uns vor lauter Anspannung nicht wegen irgendwelcher Nichtigkeiten streiten. Hinzu kommt, dass Ada sich vernachlässigt fühlt und es lauthals hinausschreit: "Ihr kümmert euch nur noch um Vianne!" Vianne hingegen ist leicht reizbar - wir schreiben es den Strapazen der letzten Woche und dem Kortison und dem Antiepileptikum zu.
Heute Nachmittag waren wir kurz mit den Mädels vor der Haustür und haben fast die gesamte Straße mit Kreide verschönert. Thema: Unterwasserwelt. Wir haben ein tiefblaues Meer gemalt. Micha hat einen wirklich stattlichen "Triton" (Arielles Vater) hinbekommen, wo hingegen seine Arielle eher wie die Meerhexe Ursula aussieht. Wir mussten lachen. Vianne hat eifrig Gras gezupft und es in Adas Meer gelegt. "Das ist Meergras, Mama", kicherte sie. Ich sauge diese Momente in mir auf. Glitzerfische, Tintenfische, Muscheln und Seeschlangen vervollständigen unser Familienkunstwerk. Der Regen hat unsere bunten Bilder, diesen kleinen freudigen Moment, wieder fortgewaschen - die Angst ist wieder unser ständiger Begleiter. Wir müssen einen Weg finden, uns nicht von ihr beherrschen zu lassen. Aber es wird immer schwerer, im Jetzt zu bleiben und nicht verängstigt in die Zukunft zu schauen. Die Kälte ist mittlerweile ein Teil von mir.

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