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26. November 2016

Echtzeit! Zimtsterne und Zahnlücke



14. Januar 2015

"Mama, lass uns noch mal Zimtsterne backen! Biiiiiite!" Okay, warum nicht. Unser Weihnachtsplätzchenvorrat ist schon lange aufgebraucht. Warum sollen wir keine Zimtsterne im Januar backen, wenn Vianne es sich so sehr wünscht? Irgendwie ist mir auch nach Plätzchen. Also ran an den Teig - aber ohne Zucker, dafür mit ganz viel Akazienhonig. Das Plätzchenbacken haben wir zwischen der morgendlichen Schuluntersuchung beim Gesundheitsamt und dem Turnen am Nachmittag eingeschoben. Die Untersuchung ist gut gelaufen. Ich bin immer wieder erstaunt, wie viel die Mäuse doch schon können: logische Folgen fortsetzen, Oberbegriffe erkennen, Präpositionen des Ortes bestimmen - Ada und Vianne waren mit Feuereifer dabei. Die Amtsärztin, eine sehr sympathische und routinierte Frau, konnte den Kindern die erste Scheu und Aufregung schnell nehmen. Sie zeigte sich begeistert, wie fit Vianne trotz der schweren Eingriffe und Therapien, die sie bereits hinter sich hat, ist. Lustig war, dass sie bei Viannes Namen immer das E mitsprach, wie die Österreicher beim Skirennen: "Und hier, mit der Startnummer drei, die Vianne." Ich verbesserte sie nicht, es hörte sich irgendwie niedlich an. Vianne selbst gab sich betont lässig: "is ja babyeinfach" lautete ihr Standardsatz nach jeder bewältigten Aufgabe. Sie ist so unglaublich cool, lässt sich Zeit, teilt ihre Denkschritte und Überlegungen gerne mit - und wirkt dabei verdammt niedlich und altklug in einem. Ich beobachte sie so gerne. Und bin gleichzeitig traurig, denn ich weiß, es ist nur eine Momentaufnahme. Wie wird sie am Ende der Bestrahlung sein? In welcher körperlichen und geistigen Verfassung wird sie sein, wenn sie im August in die Schule kommt? Die Ärztin spürte meine Traurigkeit und unterhielt sich anschließend einfühlsam und ausführlich mit mir über die bevorstehende Bestrahlung, nachdem Vianne das Zimmer verlassen hatte. Irgendwie schaffte sie es, den Schrecken der Therapie etwas zu mildern. Sie stellte nur eine kleine Frage: "Was wäre, wenn sie nicht am PSI bestrahlen lassen?" Das wisse ich nicht, antwortete ich ihr. "Sehen Sie. Und Sie wissen ebenso wenig, was nach der Bestrahlung sein wird." Manchmal reichen kleine Denkanstöße...
Ada fielen die Aufgaben sehr leicht, trotzdem ist ihr vieles peinlich und sie überspielt ihre Aufregung oftmals, indem sie herumalbert. Beim Nachsprechen der Quatschwörter verdrehte sie fortwährend die Augen. Während der restlichen Aufgabenbearbeitung hielt sie anfangs ihre Arme wie kleine Hasenpfötchen angewinkelt vor ihrer Brust und zog dazu ein Hasenschnütchen - zum piepen. Aber auch damit konnte die Ärztin gut umgehen.
Gutgelaunt machten wir uns schließlich auf den Heimweg. Nachmittags, mit kugelrunden Bäuchen vom Plätzchennaschen, düsten wir zum Turnen. Kurz zuvor, noch mit den restlichen Kekskrümeln im Mund, sagte Vianne plötzlich ernst und verzückt zugleich: Mama, es ist was Außergewöhnliches passiert", und hielt mir stolz ihren oberen Schneidezahn unter die Nase. Sie hat oben jetzt eine riesige Zahnlücke, weil der andere Schneidezahn auch schon fehlt. Ada wurde beinahe grün vor Neid und prüfte kritisch ihren Wackelzahn. Anschließend schmissen sich die Mädels in ihre glänzenden Turnanzüge (worin die Bullerbäuche noch mehr zur Geltung kamen) und balancierten, hüpften und hangelten sich in der Turnhalle durch den Geräteparcours. Wieder zuhause angekommen stibitzten die kleinen Finger dann die restlichen Zimtsterne. Wie es der Zufall so will, kramte Vianne heute Nachmittag, während wir gerade gemütlich mit warmen Tee und Milchschaum auf dem Sofa lümmelten, das Buch von "Radio-Robby" von der Deutschen Kinderkrebsstiftung hervor und blätterte es interessiert durch. Wir hatten das Buch letztes Jahr vor der Bestrahlung besorgt. Ich sollte ihr die Bilder beschreiben und nochmal genau erklären, was auf jeder Seite geschieht: welches die guten Zellen und welches die blöden Krebszellen sind, wen Radio-Robby an seiner Seite hat (Radio-Rosi, Radio-Rudi,...) und warum das Mädchen auf dem Bild die Haare verliert. Als sie die
gute Blutzelle sah, die der Krebszelle mit dem Hammer auf den Kopf haut, kicherte Vianne herzlich. Auch Ada folgte meinen Erklärungen aufmerksam. Es ist gut, dass sich beide Mädels mit dem Thema befassen.

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