14.
Januar 2015
"Mama,
lass uns noch mal Zimtsterne backen! Biiiiiite!" Okay, warum nicht. Unser Weihnachtsplätzchenvorrat
ist schon lange aufgebraucht. Warum sollen wir keine Zimtsterne im Januar backen,
wenn Vianne es sich so sehr wünscht? Irgendwie ist mir auch nach Plätzchen.
Also ran an den Teig - aber ohne Zucker, dafür mit ganz viel Akazienhonig. Das
Plätzchenbacken haben wir zwischen der morgendlichen
Schuluntersuchung beim Gesundheitsamt und dem Turnen am Nachmittag
eingeschoben. Die Untersuchung ist gut gelaufen. Ich bin immer wieder erstaunt,
wie viel die Mäuse doch schon können: logische Folgen fortsetzen, Oberbegriffe
erkennen, Präpositionen des Ortes bestimmen - Ada und Vianne waren mit
Feuereifer dabei. Die Amtsärztin, eine sehr sympathische und routinierte Frau,
konnte den Kindern die erste Scheu und Aufregung schnell nehmen. Sie zeigte
sich begeistert, wie fit Vianne trotz der schweren Eingriffe und Therapien, die
sie bereits hinter sich hat, ist. Lustig war, dass sie bei Viannes Namen immer
das E mitsprach, wie die Österreicher beim Skirennen: "Und hier, mit der
Startnummer drei, die Vianne."
Ich verbesserte sie nicht, es hörte sich irgendwie niedlich an. Vianne selbst
gab sich betont lässig: "is ja babyeinfach"
lautete ihr Standardsatz nach jeder bewältigten Aufgabe. Sie ist so unglaublich
cool, lässt sich Zeit, teilt ihre Denkschritte und Überlegungen gerne mit - und
wirkt dabei verdammt niedlich und altklug in einem. Ich beobachte sie so gerne.
Und bin gleichzeitig traurig, denn ich weiß, es ist nur eine Momentaufnahme.
Wie wird sie am Ende der Bestrahlung sein? In welcher körperlichen und
geistigen Verfassung wird sie sein, wenn sie im August in die Schule kommt? Die
Ärztin spürte meine Traurigkeit und unterhielt sich anschließend einfühlsam und
ausführlich mit mir über die bevorstehende Bestrahlung, nachdem Vianne das
Zimmer verlassen hatte. Irgendwie schaffte sie es, den Schrecken der Therapie
etwas zu mildern. Sie stellte nur eine kleine Frage: "Was wäre, wenn sie
nicht am PSI bestrahlen lassen?" Das wisse ich nicht,
antwortete ich ihr. "Sehen Sie. Und Sie wissen ebenso wenig, was nach der
Bestrahlung sein wird." Manchmal reichen kleine Denkanstöße...
Ada
fielen die Aufgaben sehr leicht, trotzdem ist ihr vieles peinlich und sie
überspielt ihre Aufregung oftmals, indem sie herumalbert. Beim Nachsprechen der
Quatschwörter verdrehte sie fortwährend die Augen. Während der restlichen
Aufgabenbearbeitung hielt sie anfangs ihre Arme wie kleine Hasenpfötchen
angewinkelt vor ihrer Brust und zog dazu ein Hasenschnütchen - zum piepen. Aber
auch damit konnte die Ärztin gut umgehen.
Gutgelaunt
machten wir uns schließlich auf den Heimweg. Nachmittags, mit kugelrunden
Bäuchen vom Plätzchennaschen, düsten wir zum Turnen. Kurz zuvor, noch mit den
restlichen Kekskrümeln im Mund, sagte Vianne plötzlich ernst und verzückt
zugleich: Mama, es ist was Außergewöhnliches passiert", und hielt mir
stolz ihren oberen Schneidezahn unter die Nase. Sie hat oben jetzt eine
riesige Zahnlücke, weil der andere Schneidezahn auch schon fehlt. Ada wurde
beinahe grün vor Neid und prüfte kritisch ihren Wackelzahn. Anschließend
schmissen sich die Mädels in ihre glänzenden Turnanzüge (worin die Bullerbäuche
noch mehr zur Geltung kamen) und balancierten, hüpften und hangelten sich in
der Turnhalle durch den Geräteparcours. Wieder zuhause angekommen
stibitzten die kleinen Finger dann die restlichen Zimtsterne. Wie es der Zufall
so will, kramte Vianne heute Nachmittag, während wir gerade gemütlich mit
warmen Tee und Milchschaum auf dem Sofa lümmelten, das Buch von
"Radio-Robby" von der Deutschen Kinderkrebsstiftung hervor und
blätterte es interessiert durch. Wir hatten das Buch letztes Jahr vor der Bestrahlung
besorgt. Ich sollte ihr die Bilder beschreiben und nochmal genau erklären, was
auf jeder Seite geschieht: welches die guten Zellen und welches die blöden
Krebszellen sind, wen Radio-Robby an seiner Seite hat (Radio-Rosi,
Radio-Rudi,...) und warum das Mädchen auf dem Bild die Haare verliert. Als sie
die
gute
Blutzelle sah, die der Krebszelle mit dem Hammer auf den Kopf haut, kicherte
Vianne herzlich. Auch Ada folgte meinen Erklärungen aufmerksam. Es ist gut,
dass sich beide Mädels mit dem Thema befassen.
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