Gesamtzahl der Seitenaufrufe

22. Dezember 2016

Echtzeit! Tiefer Fall



Sonntag, 26. April 2015

Auf das Hoch vom vergangenen Mittwoch ("Leichtigkeit") folgte ein tiefer Fall - nur wenige Stunden nach dem letzten Eintrag. Es fällt schwer, all die  Geschehnisse der letzten Tage in Worte zu fassen. Es ist so viel so schnell passiert. Unser und Viannes Leben gleicht immer mehr einer Achterbahnfahrt - und nach zu vielen Runden wird es einem verdammt übel...es tut mir so leid, dieses Mal keine gute Nachricht geben zu können. "Es" beginnt, obwohl sie so sehr gekämpft hat, obwohl wir so sehr gekämpft haben, obwohl uns so viele
positive Gedanken begleitet haben...
Donnerstag, 23. April - morgens: Vianne wird wach. Sie ist blass, sie ist müde, sie hat Kopfweh - wie so oft in den vergangenen Tagen. Nur das ihr Kopf an diesem Morgen stärker schmerzt als sonst. "Mama, ich möchte mich wieder hinkuscheln, mit dir", bittet sie mich. Meine Warnlichter gehen an. Micha und die Jungs sind schon weg, Ada ist noch nicht im Kindergarten. "Mir ist irgendwie übel", sagt sie leise. Kurze Zeit später würgt sie - auf nüchternen Magen. Ich versuche meine Angst in den Griff zu kriegen, Bilder aus den Bestrahlungstagen in der Schweiz tauchen auf. Sie hatte sich vor den schlimmen Ausfällen ebenfalls in Kombination mit Kopfweh früh morgens übergeben müssen. Ich rufe in der Klinik an und schildere alles. Wir sollen vorbeikommen. Ich gebe Ada knappe Anweisung, sich zügig anzuziehen, damit ich sie schnell in den Kindergarten bringen kann. Sie murrt natürlich. Ich gebe Micha Bescheid. Er ist besorgt, er hatte schon morgens ein komisches Gefühl, nachdem Vianne aufgestanden war. Dann suche ich noch schnell Anziehsachen für Vianne raus, und kurze Zeit später setzen wir Ada schnell im Kindergarten ab. Ich erkläre den Erzieherinnen eilig die Situation. Auf dem Weg zur Klinik scheint es Vianne wieder besser zu gehen. Doch auf halber Strecke schläft sie im Auto ein - völlig untypisch. Ich bin froh, als wir endlich in der Klinik ankommen. Die Schwestern begrüßen uns so freundlich. Wenig später untersucht eine Ärztin Vianne, nimmt Blut ab. Vianne wirkt überreizt und weint schon beim Fingerpiks mehr als sonst. Aufgrund der Symptome wird eine Notfall-MRT veranlasst, da Verdacht auf Hirndruck besteht. Während der Wartezeit lese ich Vianne vor, unterhalte mich kurz mit der Erzieherin (aus der Kinderklinik) und der Stations-Psychologin. Vianne hat Appetit auf ein Croissant. Mist - damit fällt die Hoffnung auf eine schnöde "Magen-Darm-Grippe" wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Eine Stationsmutter vom Elterntreff übernimmt das Vorlesen und kümmert sich um Vianne, während ich zum Bäcker eile und das Essen hole. Micha kommt kurz vorbei, weil ich mein Portemonnaie in seinem Auto vergessen habe. Wieder auf Station angekommen kriegen wir die Info, dass wir schon zum MRT-Raum ins Hauptgebäude rüber gehen können. Vianne protestiert. Sie muss auch noch einen Zugang für das Kontrastmittel gelegt bekommen. Ich kann sie dabei kaum auf dem Schoß halten, sie wehrt sich mit Händen und Füßen und weint bitterlich. Zum Glück gelingt der Zugang auf Anhieb.
Im MRT-Wartebereich ist alles voller Handwerker. Überall wird gesägt, gehämmert, geklopft. Der neue Kinder-Magnet-Resonanz-Tomograph wird derzeit aufgebaut. Ursprünglich sollten an diesem Tag alle Aufnahmen ins Klinikum Nord verlagert werden, aber man hatte sich aufgrund einiger Notfälle umentschieden. Zu unserm Glück. "Vianne, schaffen wir das wieder gemeinsam", frage ich sie. "Wenn ich dabei wach bleiben darf... dann ja", antwortet sie. Sie liegt schmal und blass und müde in der "Röhre", ich stehe die ganze Zeit daneben, streichele ihren Fuß. Ich habe Angst davor, was wir später zu sehen kriegen werden. Bereits während den ersten Sequenzen läuft mir eine Träne über die Wange. Ich wische sie weg. Vianne ist in der "Röhre" wieder eingeschlafen.
Donnerstag, 23. April - nachmittags: Wir gehen anschließend zurück auf die Kinderstation. Irgendwann kommt Dr. B.: "Wir können kein Anzeichen für Hirndruck sehen." "Das ist gut", murmele ich dazwischen, bevor er weitersprechen kann. "Aber ich habe keine schöne Nachricht", setzt er wieder an. Nicht nur der Resttumor im Parietallappen ist gewachsen. Es zeigen sich drei weitere Tumore im Kopf: im Stirnbereich, im Seitenventrikel, am Hirnstamm. "Es" hat begonnen...
(Alles Weitere folgt später - für heute bin ich zu müde. Es geht Vianne soweit gut. Wir sind Zuhause, sie schläft gerade und ist schmerzfrei. Hoffen wir auf eine ruhige Nacht)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen