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5. Dezember 2016

Echtzeit! Neue Wege



Mittwoch, 1. April 2015


Wir werden wahrscheinlich einen neuen Weg beschreiten. Eigentlich ist es eher ein Trampelpfad, halb im Verborgenen liegend, nicht weit einsehbar, uneben, verwachsen, verschlungen. Man weiß häufig nicht, wo man raus kommt oder was einen am anderen Ende erwartet - eine Sackgasse? Eine Lichtung? Dienstagmorgen hatten wir ein ausführliches Gespräch mit Prof. S., um die Ergebnisse aus der genetischen Analyse zu besprechen. Er hatte ja bereits in seiner Mail angedeutet, dass ein Medikament in Frage kommen würde. Vianne hat eine für Ependymome ungewöhnliche Mutation, die zu einem Proteinverlust und daraus folgend zu einer Aktivierung des Sonic Hedgehog (shh) Signalwegs in ihrem Tumor führt. Dieser Signalweg ist (glaube ich verstanden zu haben) vorrangig in der Embryonalphase aktiv, später nur noch bei Bedarf. Bei Vianne ist dieser Signalweg jedoch ständig aktiv - was zu einer verstärkten Produktion von Tumorzellen führt. Es ist schwer zu begreifen, dass ein kleines, fehlendes Protein solch verheerende Auswirkung hat. Viannes Zellen meinen es anscheinend "zu gut". Es gibt ein Medikament, das diesen Signalweg hemmt und zu einer Inaktivierung führen soll. Dieses Medikament wird bei Menschen mit Basalzellkarzinom (Form von Hautkrebs) eingesetzt, die eine vergleichbare molekulare Veränderung aufweisen. Dieses Medikament ist vorläufig zugelassen, weil es noch nicht ausreichend getestet ist. Dieses Medikament hat Nebenwirkungen (Grad 3 u höher - 5 ist der höchste Grad mit den schwerwiegendsten Nebenwirkungen). Bei Kindern ist das Medikament nicht zugelassen. Die Leitung der Hirntumor-Rezidivstudie empfiehlt dennoch dringend den Einsatz bei Vianne. Wir machen uns nichts vor - wir bewegen uns auf einem Trampelpfad, nicht auf einer mehrspurig ausgebauten Schnellstraße. Aber: wir bewegen uns, denn: "...Erivedge (ist) einer Chemotherapie überlegen und kann zu einer deutlichen Verlangsamung bis hin zu einer Regression der Tumoren führen", so die übereinstimmende Einschätzung der Experten. Wir tappen nicht mehr so arg im Dunklen wie zuvor. Wir haben nun einen Hinweis, wo wir ganz gezielt angreifen/eingreifen können. Und noch ein Satz lässt uns mutig diesen unbekannten Pfad gehen: "Im besten Fall ergibt sich vielleicht sogar eine kleine kurative Chance." Eine Chance!

Das Medikament wird als Tablette verabreicht, einmal täglich, das heißt, wir müssen dafür mit Vianne nicht stationär ins Krankenhaus. Das ist gut. Es stehen jedoch engmaschige Kontrollen an. Wie gesagt: niemand weiß letztendlich, wie sie als Kind darauf reagieren wird. Die Dosis wird runtergerechnet. Nach drei Therapiezyklen erfolgt eine MRT-Verlaufskontrolle. Schreitet die Erkrankung fort, wird abgebrochen. Stagniert das Tumorwachstum, wird über eine Nachoperation nachgedacht. Bildet sich die Tumormasse zurück, folgen drei weitere Therapiezyklen. Derzeit wird wieder die Kostenübernahme bei unserer Krankenkasse beantragt - die Dortmunder reagieren so zügig und engagiert. Eine Kopie des Schreibens liegt uns bereits vor. Die Kosten für ein Vierteljahr belaufen sich auf rund 30.000 Euro. Zudem haben unsere Ärzte sicherheitshalber einen (anteiligen) Kostenvorschuss bei der Organisation "Ein Herz für Kinder" gestellt, um die ersten drei Monate überbrücken zu können, falls es zu Verzögerungen kommen sollte oder die Kasse ablehnt. Sie sind wirklich wahnsinnig engagiert - Hut ab. Die Mail erreichte mich erst gerade eben und wir sollen den Antrag schnellstmöglich unterschrieben zurückgeben, damit alles noch vor den Feiertagen auf den Weg gebracht und zügig begonnen werden kann. Nach Ende der Bestrahlung - in circa zwei Wochen – wollen sie mit der Therapie starten. Ich mag Trampelpfade... wir werden uns vorwärts wagen - vorsichtig, behutsam, aufmerksam. Und wir werden Angst haben. Angst davor, was uns, was Vianne hinter der nächsten Wegbiegung und letztendlich am Wegende erwartet...

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