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22. Dezember 2016

Echtzeit! Legoland und Kopfschmerzen

Dienstag, 28. April 2015


Von Freitag bis heute ist schon wieder so viel geschehen, dass ich kaum mit Schreiben nachkomme.  Freitagmorgen machten wir uns ohne Hektik auf Richtung Ulm. Oma, Opa, Andi und Ralf wollten erst mittags losfahren. Nach der Hälfte der Strecke legten wir eine lange, lustige, sonnige und ausdauernde Pause bei lieben Freunden in Oftersheim ein. Ada und Vianne spielten ausgiebig und durften gemeinsam mit ihren Brüdern kleine Überraschungen auspacken, die M. und P. bereithielten. Wir hätten noch Ewigkeiten in der Sonne auf der Terrasse sitzen bleiben können, es war so schön, es war so normal. Aber wir wollten schließlich nicht zu spät in unserer Ferienunterkunft ankommen. 170 Kilometer vor Ulm holte uns unsere Realität mit aller Brutalität ein. Vianne saß blass in ihrem Autokindersitz. Plötzlich fing sie an zu weinen. "Mein Kopf tut weh." Besorgt drehte ich mich immer wieder zu ihr um. Wir hatten vorher vereinbart, sie solle uns anhand der Finger zeigen, wie doll der Kopf schmerzt. Fünf heißt viel, eins wenig. Sie hielt fünf Finger hoch. Micha und ich wurden hektisch. Auf zum nächsten Parkplatz, raus aus dem warmen Auto. Plötzlich fing Vianne an zu schreien: "Mein Kopf tut weeeeeeeh!" Sie streckte uns beide  Hände entgegen. Panik keimte auf. Was tun? Unzählige Gedanken schossen in sekundenschnelle durch meinen Kopf, während mich die Angst im Würgegriff hatte: Parkplatz? (Da, ein Schild, in vier Kilometern - endlich!) Schmerzmittel? (Parat!) Kühlen? (Ja). Notarzt? (Noch nicht). Vianne schrie weiter. Ada hielt sich die Ohren zu. Luke versteckte sich unter seinem Pulli. Endlich, der Parkplatz. Ich kramte das Schmerzmittel hervor. Micha nahm Vianne auf den Arm und stellte sich in den Schatten. Ich wies Jesse an, ein T-Shirt zu befeuchten. Er kippte die Wasserflasche darüber. Den kühlen Wickel legte ich Vianne auf die Stirn, in den Nacken. Wir gaben ihr den Schmerzsaft, den sie trotz der Schmerzen erst nicht nehmen wollte. Nach unzähligen Minuten hörte Vianne auf zu schreien. Ich nahm sie Micha ab, er holte das Auto näher heran und ich setzte mich mit ihr bei geöffneter Tür auf den Sitz. Sie wurde ruhiger und signalisierte, dass die Kopfschmerzen nachlassen. Wir entschieden, weiter zu fahren. Hier konnten wir nicht mehr viel ausrichten. In Ulm gab es eine gute Klinik. (hatte Dr. B. vorher erzählt). Ich nahm Vianne auf den Schoß. Nach wenigen Minuten schlief sie ruhig in meinen Armen ein. Verkrampft harrte ich mit ihr die restliche Fahrt aus. Luke schaute mich verstört an. Bitte keinen Stau, bitte keinen Stau hämmerte es durch meinen Kopf. Wir hatten Glück. Je näher wir unserem Ziel kamen, desto

ruhiger wurde ich. Erst als die Angst langsam verebbte, merkte ich, wie müde ich war. Wie sollten wir Geburtstag feiern, wenn das Sterben so nah rückt?

Wir hatten zwei nebeneinander liegende Ferienwohnung direkt am See in der Nähe des Legolandes gebucht. Die Unterkünfte gehörten zu einem kinderfreundlichen Bauernhof mit riesiger Spielscheune, Streichelzoo, "Caruso" (Hahn) und seinen Damen, Pferden und Ponys, auf denen die Kinder reiten durften. Als wir ankamen, wurde Vianne wach. Die Kopfschmerzen waren wie weggewischt. Fast zeitgleich kam der Rest der Familie an. Wir erzählten nichts. Dafür eroberten wir gemeinsam die Spielscheune, fielen von der Slagline, hüpften Trampolin, tranken ein gemeinsames Willkommensgetränk, holten Grillfleisch, teilten die Zimmer auf. Opa und ich lieferten uns ein heißes Kickerturnier gegen Ralf und Jesse - und verloren. Die Angst war fürs Erste vertrieben: Adas und Viannes Geburtstag konnte kommen.

Schon um Viertel nach sechs holte uns Vianne aus dem Bett und grinste uns an. Der Tag erwachte gerade. Wir bauten eine große Frühstückstafel auf, mampften Geburtstagskuchen, während die Damen etliche Geschenke auspackten. 
Sie wussten noch nichts vom Legoland-Besuch. Gegen halb 11 waren schließlich alle startbereit. Die Geburtstagsmäuse hatten noch immer keine Ahnung, wohin es ging. Erst als sie die riesigen Lego-Bausteine auf dem Hügel ausmachten, kam die Erkenntnis. Wir verbrachten einen tollen Tag zwischen Wasserbahn, riesigen Lego-Elefanten, im Land der Pharaonen und der Piraten. 

Zudem lief auf der Freilichtbühne noch ein Bibi-Blocksberg-Musical, zu dem die Mädels begeistert im Takt klatschten. Unsere nun Sechsjährigen trugen stolz einen großen Legoland-Geburtstags-Button auf ihren Jacken. An jeder Attraktion gratulierte ihnen freundlich ein Mitarbeiter. Sie waren so stolz. Ada und Vianne wollten mit uns in die Wasserbahn. Vom Picknickplatz hatten wir im Vorfeld beobachtet, wie die Boote unter lautem Gekreische der Mitfahrenden den Wasserfall hinunterplatschten und eine riesige Fontäne verursachten. Kurz vorm Einstieg wurden sie dann doch ein wenig nervös: "Ich habe ein kleines bisschen Angst", flüsterte mir Vianne zu. "Ich bin auch etwas aufgeregt, Süße. Sollen wir wieder umkehren?", fragte ich sie. "nee, nee“, meinte sie nur und schüttelte ihr Köpfchen. Die Fahrt war toll. Als wir am Ausstieg ankamen, rief Vianne voller Inbrunst: "Noch einmal!!! Der Parkmitarbeiter lachte, sah ihren Geburtstags-Button und meinte: "Ein Geburtstagskind! Ja dann bleib sitzen, dann darfst du gleich noch eine Runde." Vianne strahlte - und wir mit ihr. Müde, aber glücklich fielen unsere Geburtstagsmäuse am Abend in einen tiefen Schlaf.

Am nächsten Morgen wachte Vianne mit Kopfschmerzen auf, die wir aber in den Griff bekamen. Uns graute vor der Fahrt - aber alles ging dieses Mal gut. Wieder verbrachten wir eine entspannte Pause bei M. und P. - dieses Mal mit der gesamten Familie: DANKE, ihr Lieben!

Am Montagmorgen wollte Vianne unbedingt mit in den Kindergarten und dort Geburtstag feiern. Ich gönnte ihr schweren Herzens diese drei Stunden. In der  Nacht erbrach sie sich in ihr Bett, hatte Kopfschmerzen. Wir holten sie zu uns. Am Morgen wurde sie mit Kopfschmerzen wach. Sie spuckte erneut. Um halb 10 Uhr sollten wir zur Lumbalpunktion in der Klinik sein. "Vianne geht es nicht gut", informierte ich gleich die Schwestern bei der Ankunft. Ein Arzt untersuchte sie. Sie war unglaublich schläfrig. Wir beschlossen, die Lumbalpunktion (von der Studie gefordert) sein zu lassen. Was sollte sie bringen? Sobald sichtbare Tumormanifestationen als Metastasen vorhanden sind, muss man nicht mehr nach Mikropartikeln im Hirnwasser schauen. Somit kamen wir um eine Sedierung herum. Bis zur MRT am späten Nachmittag hatten sie schon ein Zimmer für uns bereitgehalten. Ich legte Vianne ins Bett. Sie schlief stundenlang. 

Irgendwann kamen unsere Ärzte ins Zimmer. Wir besprachen das weitere Vorgehen und sie empfahlen erst einmal eine kontinuierliche Schmerzmittelgabe - um Vianne diese schlimmen Kopfschmerzattacken zu ersparen, sie gar nicht erst aufkommen zu lassen. Der Brechreiz wird wahrscheinlich von dem Tumor im Hirnstamm ausgelöst. Vianne wird müder werden. K., die Kunsttherapeutin saß lange Zeit bei mir, während wir die schlafende Vianne betrachteten. Die Tränen kamen. Mittags kam Micha zu uns. Vianne wachte auf - es ging ihr gut. Wir gingen hinaus ins Freie, kauften etwas beim Bäcker. Gemeinsam mit anderen Kindern spielte Vianne das Hämmerspiel auf Station, später kam die Musiktherapeutin mit ihrer Gitarre und sorgte für lustige Momente. 

Um 16.30 Uhr startete die MRT-Untersuchung. Vianne war sehr zappelig, so dass einige Sequenzen erneut gefahren werden mussten. Wir brachen vorzeitig ab, weil Vianne "überhaupt keine Lust mehr" hatte. Dann fuhren wir nach Hause. Vianne kicherte viel, machte Quatsch und zog sich andauernd die Mütze über ihr Gesicht. "Du siehst ja aus wie ein rosa Punktemonster", scherzte ich. "Mama, ich bin eine rosa Punkteelfe", sagte sie kichernd. MRT-Ergebnisse gibt es erst morgen.














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