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5. Dezember 2016

Echtzeit! Hin und her



Mittwoch, 25. März 2015


Die Tage ziehen so schnell dahin und sind randvoll ausgefüllt mit Bestrahlungsterminen, Heilpraktikerbesuchen, Kindergartenbesuchen (Vianne: "Ich will uuunbedingt Yoga mitmachen"), Schwimmkurs, Hallenbad- und Eiscafébesuchen, Verabredungen mit kleinen Freundinnen,... Während ich mir Sorgen mache, ob es nicht zu viel ist, fragt Vianne bereits am frühen Morgen: "Und? Was machen wir heute?"

Sie hat nun neun Bestrahlungen hinter sich gebracht - bisher ohne ersichtliche Nebenwirkungen. Die Haut ist noch nicht gerötet, das Schlucken tut (noch) nicht weh. Das ist gut. Aber sie hat noch 15 weitere Bestrahlungen vor sich. Insgesamt sind es doch "nur" 24 Mal. Im Vorgespräch hatte ich verstanden, dass 26 Mal geplant sind (herausgerechnet die vier Einheiten aus der Schweiz), so dass wir alles in allem auf 30 Bestrahlungen mit insgesamt 54 Gy kämen. Jetzt sind es gesamt etwas über 50 Gy. Uns soll es Recht sein. Rund Vier Gy mehr oder weniger werden keinen Einfluss auf den weiteren Krankheitsverlauf nehmen.

Wir betrachten Vianne jeden Tag ganz genau - und das hat nicht nur mit der Bestrahlung und dem Resttumor zu tun. Wir haben angefangen, das Antiepileptikum zu reduzieren, entgegen dem ärztlichen Rat. Aber wir wollen sie nicht weiter prophylaktisch mit schweren Medikamenten behandeln. Niemand kann eindeutig sagen, ob sie nach Absetzen des Medikaments wieder einen Krampfanfall bekommen wird. Ich glaube es nicht. Zumindest derzeit. Wenn sich der Tumor im Kopf schnell ausbreitet, wird sie alle Wahrscheinlichkeit sowieso künftig Krampfanfälle erleiden. Dann haben wir keine Wahl, dann müssen wir entsprechende Mittel einsetzen. Aber bis dahin... Trotzdem macht mir unsere Entscheidung, unsere eigene Courage, manchmal Angst. Doch seit Reduzierung scheint mir Vianne wieder ausgeglichener, zufriedener, weniger wütend und wieder mehr sie selbst zu sein.

Das ständige Beobachten und Nachfragen, ob es ihr gut geht, nervt unsere pfiffige Tochter gewaltig. Originalton Vianne: "Warum fragst du immer?" Aber wir können es nicht abschalten. Läuft sie wieder schlechter? Hat ihr rechtes Bein weniger Kraft als gestern? Warum hat sie sich gerade am ganzen Körper geschüttelt? Langsam müssten doch die Haare wiederkommen - oder wachsen sie nie wieder nach? (und auch wenn, was soll's eigentlich?). Zieht sie den Mundwinkel heute weniger weit nach oben, wenn sie grinst? Wirkt sie insgesamt müder? Es ist schwer, diesen quälenden Fragen Einhalt zu gebieten. Andererseits haben wir momentan - abgesehen von den kurzen Bestrahlungen - wieder mehr "Alltag" und weniger Behandlungen und Kontrolltermine als noch vor einem halben Jahr: keine Operationen im Abstand von zwei bis drei Monaten, keine ständigen Blutabnahmen, keine regelmäßigen neurologischen Testungen, weniger eng getaktete MRT-Termine. Es ist irgendwie kurios: die Krankheit schreitet voran, die medizinischen Maßnahmen gehen zurück. Andererseits ist das das richtige Vorgehen eines jeden  verantwortungsbewussten Arztes: gerade in der Palliativbehandlung soll so lange wie möglich der Fokus auf der Lebensqualität liegen, nicht auf quälenden, zeitraubenden und zum Teil gefährlichen Therapien. Es ist immer wieder schwer, sich einzugestehen, dass die Ärzte nicht mehr mit Blick auf Heilung behandeln. Ich hingegen habe die Hoffnung auf Heilung noch nicht aufgegeben. Naiv? Wunschdenken? Schutzreflex? Ist das alles nur die Ruhe vor dem Sturm? Keine Ahnung. Hoffnung lässt sich nicht erklären. Ich weigere mich nach wie vor, in Vianne etwas anderes zu sehen als dieses kleine, fröhliche, selbstbewusste, wahnsinnig mutige Mädchen voll überschäumender Lebensenergie. Ich weigere mich!


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