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30. Oktober 2016

Schock und Unglaube



Rückblick: 1. Juli 2014

Unser Prof. fragte mich im Nachhinein, ob ich es geahnt hätte. Ich wäre am MRT-Tag ganz anders als sonst gewesen. Ja, hatte ich. Ich weiß nicht wieso und warum, aber ich hatte in den letzten Tagen vor diesem MRT ein "Scheiß-Gefühl". Die Rahmenbedingungen waren gar nicht schlecht am 1. Juli. Lilli war mit ihrer Mama zeitgleich in der Klinik und machte den MRT-Tag um einiges bunter. Vianne hatte sich dieses Mal gegen den Schlafsaft ("der smeckt so eeekliiig!") und für das Zäpfchen entschieden, was entsprechend besser klappte. Wir kamen frühzeitig dran. Micha und ich vertrieben uns die Wartezeit mit einem Latte Macchiato. Anschließend düste Micha zum Wakeboarden, um den Kopf wieder etwas frei zu bekommen. Vianne erwachte sehr unruhig aus der Narkose und weinte bereits auf dem Weg zurück zur Kinderstation - aber das ging vorüber.
Zuhause warteten Oma und Opa auf uns und versorgten uns mit leckerem Mittagessen. Dann kam der Anruf. Dr. B. war am Telefon. Was machte Dr. B. am Telefon? Er konnte doch unmöglich schon das Ergebnis haben. So früh war er - glaube ich - noch nie gewesen. Sicher wollte er eine andere Sache absprechen. Aber eigentlich brauchte ich mir nichts weiter vormachen. Ich hörte es gleich an seiner Stimme. "Sie müssen noch einmal kommen. Geht es jetzt gleich?" Diese Worte haben sich in mein Hirn gebrannt. Meine Stimme überschlug sich. "Was ist los?", fragte ich atemlos und verzog mich mit dem Telefon ins Schlafzimmer. "Wir haben etwas gefunden. Nicht an derselben Stelle, tiefer." "Nein, nein, nein", schrie es unaufhörlich in meinem Kopf. Jetzt war also der Moment da, vor dem ich mich die ganze Zeit über gefürchtet hatte. Vianne hatte ein Rezidiv. "Wir müssen gleich ein Narkose-Aufklärungsgespräch machen, ich möchte mir morgen die Wirbelsäule im MRT ansehen", sagte er. Ich teilte meinen Eltern kurz und knapp mit, dass ich noch einmal nach Dortmund in die Klinik müsse, dass die Ärzte "etwas" gesehen hätten. Meine Eltern waren verwirrt, sprachlos. Ich bat sie, auf die anderen Kinder Acht zu geben. Dann rief ich Micha an. Er ließ sein Wakeboard fallen und kam aus Hamm zurück zur Klinik, wo wir uns treffen wollten. Ich funktionierte - irgendwie. Dann schnappte ich mir Vianne und erklärte ihr, dass wir noch einmal zu Dr. B. müssten. Seltsamerweise hatte sie gar keine Einwände und kam ohne zu Bocken mit. Ich fuhr wie ein Zombi über die Autobahn. Keine Tränen, nur Eis. Dr. B. und ich machten Vianne in der Klinik in einem freien Zimmer den Fernseher an. Ich wollte nicht, dass sie bei unserem ersten Gespräch dabei ist. Dr. B. zeigte mir auf dem Monitor diesen grauen Knubbel tief in ihrem Köpfchen, im linken Seitenventrikel. Es war kein Lokalrezidiv, die ursprüngliche Tumorregion war weiterhin unauffällig. Die Krebszellen waren gewandert. "So ein Mist", hörte ich mich hölzern und emotionslos sagen. "Hallo! Was sagte ich da überhaupt?", schoss es mir in dem Moment durch den Kopf, als die Worte meinen Mund verließen. "Ich glaube 'Mist' ist dafür zu schwach", meinte Dr. B. Aber ich fühlte nichts. Doch: Leere. Ich hörte mich an wie ein verdammter Roboter. Ich folgte konzentriert den medizinischen Ausführungen unseres Arztes, so, als ob es nicht um meine Tochter gehen würde. Dann kam Micha. Seine Augen schauten schrecklich. Das brachte einen ersten Riss in meine dicke Eisdecke. Wir vereinbarten für den nächsten Tag den MRT-Termin und fuhren mit Vianne nach Hause. Es gab auch nicht viel mehr zu sagen. Meine Eltern waren verstört, besorgt und machten sich Vorwürfe, dass einer von ihnen nicht mit mir nach Dortmund gefahren war. Aber das war überhaupt nicht nötig gewesen. Die beiden fuhren irgendwann nach Hause - ebenso geschockt wie wir. Ich sagte Andi und Ralf Bescheid. Sie kamen am Abend zu uns, drückten uns, trösteten. Mittlerweile flossen meine Tränen. Ich war komplett verquollen. Meine Eisschicht bröckelte. Nachdem Andi und Ralf uns schweren Herzens allein gelassen hatten, kam schließlich der Zusammenbruch. Micha und ich saßen im Schlafzimmer auf dem Bett. Alle Kinder schliefen bereits. Dann fing ich an zu schreien...

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