Rückblick: 1.
Juli 2014
Unser
Prof. fragte mich im Nachhinein, ob ich es geahnt hätte. Ich wäre am MRT-Tag
ganz anders als sonst gewesen. Ja, hatte ich. Ich weiß nicht wieso und warum,
aber ich hatte in den letzten Tagen vor diesem MRT ein
"Scheiß-Gefühl". Die Rahmenbedingungen waren gar nicht schlecht am 1.
Juli. Lilli war mit ihrer Mama zeitgleich in der Klinik und machte den MRT-Tag
um einiges bunter. Vianne hatte sich dieses Mal gegen den Schlafsaft ("der
smeckt so eeekliiig!") und für das Zäpfchen entschieden, was entsprechend
besser klappte. Wir kamen frühzeitig dran. Micha und ich vertrieben uns die Wartezeit
mit einem Latte Macchiato. Anschließend düste Micha zum Wakeboarden, um den
Kopf wieder etwas frei zu bekommen. Vianne erwachte sehr unruhig aus der
Narkose und weinte bereits auf dem Weg zurück zur Kinderstation - aber das ging
vorüber.
Zuhause
warteten Oma und Opa auf uns und versorgten uns mit leckerem Mittagessen. Dann
kam der Anruf. Dr. B. war am Telefon. Was machte Dr. B. am Telefon? Er konnte
doch unmöglich schon das Ergebnis haben. So früh war er - glaube ich - noch nie
gewesen. Sicher wollte er eine andere Sache absprechen. Aber eigentlich
brauchte ich mir nichts weiter vormachen. Ich hörte es gleich an seiner Stimme.
"Sie müssen noch einmal kommen. Geht es jetzt gleich?" Diese Worte
haben sich in mein Hirn gebrannt. Meine Stimme überschlug sich. "Was ist
los?", fragte ich atemlos und verzog mich mit dem Telefon ins Schlafzimmer.
"Wir haben etwas gefunden. Nicht an derselben Stelle, tiefer."
"Nein, nein, nein", schrie es unaufhörlich in meinem Kopf. Jetzt war
also der Moment da, vor dem ich mich die ganze Zeit über gefürchtet hatte.
Vianne hatte ein Rezidiv. "Wir müssen gleich ein
Narkose-Aufklärungsgespräch machen, ich möchte mir morgen
die Wirbelsäule im MRT ansehen", sagte er. Ich teilte meinen Eltern kurz
und knapp mit, dass ich noch einmal nach Dortmund in die Klinik müsse, dass die
Ärzte "etwas" gesehen hätten. Meine Eltern waren verwirrt, sprachlos.
Ich bat sie, auf die anderen Kinder Acht zu geben. Dann rief ich Micha an. Er
ließ sein Wakeboard
fallen und kam aus Hamm zurück zur Klinik, wo wir uns treffen wollten. Ich
funktionierte - irgendwie. Dann schnappte ich mir Vianne und erklärte ihr, dass
wir noch einmal zu Dr. B. müssten. Seltsamerweise hatte sie gar keine Einwände
und kam ohne zu Bocken mit. Ich fuhr wie ein Zombi über die Autobahn. Keine
Tränen, nur Eis. Dr. B. und ich machten Vianne in der Klinik in einem freien
Zimmer den Fernseher an. Ich wollte nicht, dass sie bei unserem ersten Gespräch
dabei ist. Dr. B. zeigte mir auf dem Monitor diesen grauen Knubbel tief in
ihrem Köpfchen, im linken Seitenventrikel. Es war kein Lokalrezidiv, die
ursprüngliche Tumorregion war weiterhin unauffällig. Die Krebszellen waren
gewandert. "So ein Mist", hörte ich mich hölzern und emotionslos
sagen. "Hallo! Was sagte ich da überhaupt?", schoss es mir in dem Moment
durch den Kopf, als die Worte meinen Mund verließen. "Ich glaube 'Mist'
ist dafür zu schwach", meinte Dr. B. Aber ich fühlte nichts. Doch: Leere.
Ich hörte mich an wie ein verdammter Roboter. Ich folgte konzentriert den
medizinischen Ausführungen unseres Arztes, so, als ob es nicht um meine Tochter
gehen würde.
Dann kam Micha. Seine Augen schauten schrecklich. Das brachte einen ersten Riss
in meine dicke Eisdecke. Wir vereinbarten für den nächsten Tag den MRT-Termin
und fuhren mit Vianne nach Hause. Es gab auch nicht viel mehr zu sagen. Meine
Eltern waren verstört, besorgt und machten sich Vorwürfe, dass einer
von ihnen nicht mit mir nach Dortmund gefahren war. Aber das war überhaupt
nicht nötig gewesen. Die beiden fuhren irgendwann nach Hause - ebenso geschockt
wie wir. Ich sagte Andi und Ralf Bescheid. Sie kamen am Abend zu uns, drückten
uns, trösteten. Mittlerweile flossen meine Tränen. Ich war komplett verquollen.
Meine Eisschicht bröckelte. Nachdem Andi und Ralf uns schweren Herzens allein
gelassen hatten, kam schließlich der Zusammenbruch. Micha und ich saßen im
Schlafzimmer auf dem Bett. Alle Kinder schliefen bereits. Dann fing ich an zu
schreien...
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