Rückblick: 15. bis 22. Juli 2014
Auch
von dieser zweiten mehrstündigen Hirn-Operation erholte sich Vianne erstaunlich
schnell. Am ersten Tag schlief sie noch sehr viel. Von den hohen Cortison-Gaben
und dem Narkosemittel war sie so verschwitzt, dass wir sie mehrmals täglich
umziehen mussten.
Sie hatte erstaunlicherweise keine Kopfschmerzen - sagte sie zumindest. Deshalb setzten die Ärzte das Schmerzmittel zügig ab. Das postoperative MRT, das sie übrigens wieder ohne Narkose schaffte, bestätigte Prof. S. erste Einschätzung: wieder einmal konnte der Tumor komplett entfernt werden. Wir schnauften abermals durch.
Sie hatte erstaunlicherweise keine Kopfschmerzen - sagte sie zumindest. Deshalb setzten die Ärzte das Schmerzmittel zügig ab. Das postoperative MRT, das sie übrigens wieder ohne Narkose schaffte, bestätigte Prof. S. erste Einschätzung: wieder einmal konnte der Tumor komplett entfernt werden. Wir schnauften abermals durch.
Bereits
zwei Tage nach dem Eingriff war Vianne schon wieder auf den Beinen: "Ich
will ins Spielzimmer!". Auf wackligen Beinchen machte sie sich an meiner
Hand auf den Weg über den Flur. Die Schwestern schauten uns mit großen Augen
hinterher. Ich hielt sie ganz fest, weil ich Angst hatte, dass sie hinfällt.
Wir spielten wieder intensiv mit den beiden Handpuppen - dem Kasper und der
Prinzessin. Später am Nachmittag kam Andi mit den übrigen Kindern vorbei.
Minutenlang lagen sich Ada und Vianne in den Armen, schmusten und genossen sich
gegenseitig. Auch wenn sie sich manchmal fast die Augen auskratzen, vermissen
sie sich in Trennungsphasen schrecklich. Vianne blühte sichtlich auf. Ada
kuschelte sich neben sie ins Bett. Luke war fürsorglich wie immer und Jesse
musste man hoch anrechnen, dass er mitgekommen war - er hasste Krankenhäuser.
Ich konnte sehen, wie sehr er sich zusammenriss. Ich war stolz auf ihn. Wir
hielten den Besuch kurz, um Vianne zu schonen, denn nach diesem langen
aktionsreichen Tag wirkte sie wieder müde.
Micha und ich wechselten uns bei der Betreuung ab. Es tat gut, zwischendurch nach Hause zu kommen. Oma und Opa besuchten uns am Donnerstag. Vianne wollte raus - in die Sonne. Wir nahmen einen "Fahrstuhl" mit - Vianne meinte damit den Rollstuhl. Sie fand es klasse, geschoben zu werden. Ich musste immer mit ihr Slalom um die Poller fahren. Sie kicherte ausgelassen. Auf dem Klinik-Spielplatz angekommen, sollte ich sie auf die Schaukel heben. Ich schaute sie völlig perplex an. Schaukeln? Vier Tage nach der Operation? Ich sagte ihr, das sei wegen der Wunde am Kopf zu gefährlich, sie dürfe nicht darauf fallen. Vianne schmollte, bettelte. Ich gab nach und hob sie vorsichtig auf den Sitz. Ganz sanft gab ich ihr Anschwung, wobei ich gefühlte 10.000 Mal sagte, sie solle sich gut festhalten. "Höher", rief sie ungeduldig. "Mach endlich höher!" Nachdem sie noch eine Rutsche erklommen und sich von Opa im Dreh-Kreisel um die eigene Achse hatte wirbeln lassen, erlöste sie uns gnädigerweise und verließ wohl gelaunt den Spielplatz. Wir waren nass geschwitzt. Sie war glücklich und verspeiste genüsslich ein Eis.
Tagtäglich ging es ihr besser. Wir unternahmen ausgedehnte Ausflüge mit dem "Fahrstuhl" und entfernten uns vom Klinikgelände. Ein paar Stunden verbrachten wir im Grugapark im Bällebad, im Tropen- und im Waldhaus. Auf der Station hatte ich meine Handy-Nummer hinterlegt. Die Visite fand sowieso meistens am Nachmittag statt. Besonders gerührt war ich von dem Besuch von Viannes Kindergärtnerinnen. Essen liegt nicht mal "eben um die Ecke". Trotzdem kamen sie vorbei, im Gepäck ein selbstgestaltetes Grußbuch mit einem Foto von den Kindergartenkindern und weiteren niedlichen Geschenken. Vianne hat sich riesig darüber gefreut. Sie brachte ein Stück Normalität in die Klinikwelt. DANKE!
Micha und ich wechselten uns bei der Betreuung ab. Es tat gut, zwischendurch nach Hause zu kommen. Oma und Opa besuchten uns am Donnerstag. Vianne wollte raus - in die Sonne. Wir nahmen einen "Fahrstuhl" mit - Vianne meinte damit den Rollstuhl. Sie fand es klasse, geschoben zu werden. Ich musste immer mit ihr Slalom um die Poller fahren. Sie kicherte ausgelassen. Auf dem Klinik-Spielplatz angekommen, sollte ich sie auf die Schaukel heben. Ich schaute sie völlig perplex an. Schaukeln? Vier Tage nach der Operation? Ich sagte ihr, das sei wegen der Wunde am Kopf zu gefährlich, sie dürfe nicht darauf fallen. Vianne schmollte, bettelte. Ich gab nach und hob sie vorsichtig auf den Sitz. Ganz sanft gab ich ihr Anschwung, wobei ich gefühlte 10.000 Mal sagte, sie solle sich gut festhalten. "Höher", rief sie ungeduldig. "Mach endlich höher!" Nachdem sie noch eine Rutsche erklommen und sich von Opa im Dreh-Kreisel um die eigene Achse hatte wirbeln lassen, erlöste sie uns gnädigerweise und verließ wohl gelaunt den Spielplatz. Wir waren nass geschwitzt. Sie war glücklich und verspeiste genüsslich ein Eis.
Tagtäglich ging es ihr besser. Wir unternahmen ausgedehnte Ausflüge mit dem "Fahrstuhl" und entfernten uns vom Klinikgelände. Ein paar Stunden verbrachten wir im Grugapark im Bällebad, im Tropen- und im Waldhaus. Auf der Station hatte ich meine Handy-Nummer hinterlegt. Die Visite fand sowieso meistens am Nachmittag statt. Besonders gerührt war ich von dem Besuch von Viannes Kindergärtnerinnen. Essen liegt nicht mal "eben um die Ecke". Trotzdem kamen sie vorbei, im Gepäck ein selbstgestaltetes Grußbuch mit einem Foto von den Kindergartenkindern und weiteren niedlichen Geschenken. Vianne hat sich riesig darüber gefreut. Sie brachte ein Stück Normalität in die Klinikwelt. DANKE!
Auf
uns wirkte Vianne nach der Operation wie befreit. Sie bewegte sich
"runder", benutzte von sich aus vermehrt die rechte Hand und erlernte
auf einmal neue Bewegungsmuster. So konnte sie sich plötzlich selber Anschwung
geben beim Schaukeln. Irgendwie schien es, als hätte sie dieser Tumor
behindert, als hätte ihr Körper die ganze Zeit gemerkt: da ist noch etwas...
Auszug
aus dem Arztbrief: "Emma Vianne hat die Operation gut überstanden und
konnte zügig unter krankengymnastischer Anleitung mobilisiert werden. Sie war
im weiteren Verlauf ohne neues neurologisches Defizit mobil, verspielt und
vergnügt."
Am
Morgen des 22. Juli durften wir die Uniklinik verlassen. Am Abend zuvor kam die
Expertin für Rezidive zu mir, um das weitere Vorgehen zu skizzieren. Ruhig und
zugleich sehr professionell teilte sie mir auf etwas verschlungenen Pfaden mit,
dass es verdammt übel um Vianne steht - sie wählte natürlich andere Worte. Nach
einem Lokalrezidiv (der Tumor kommt an derselben Stelle wieder) sinken die
Chancen schon beträchtlich, beim Auftreten einer oder mehrerer Metastase(n)
fallen sie noch tiefer. Viannes Rückfall wurde als metastasiertes Rezidiv
eingeordnet, da es zu weit vom Primärtumor entfernt lag. Die Tumorzellen hatten
sich über das Hirnwasser ausgesät: 10 Prozent Überlebenschancen geisterten
durch den Raum, wabberten haltlos in der Luft, verflüchtigten sich, um Platz zu
machen für eine schwarze Wand von Therapieangeboten mit verheerenden Folgen.
Ich war wie betäubt. Viannchen ging es doch gerade so gut, sie erholte sich
doch so rasch, wie konnte sie andererseits todkrank sein. Das passte nicht
übereinander. Der Nebel wurde immer undurchdringlicher und nahm mir die Luft. Prof.
F. zeichnete mehrere mögliche Wege auf: nicht behandeln und abwarten, eine
orale Chemotherapie, eine cranio-spinale Bestrahlung oder eine Kombination aus
beiden Therapien. Vianne malte konzentriert. Ich glaube, sie wollte sich
unsichtbar machen, sich raushalten. Sie plapperte nicht ein einziges Mal
dazwischen. Sie wusste genau, dass es ernst war. Später, als sie schlief, rief
ich Micha an, Tränen liefen meine Wangen hinab, ohne dass ein Laut aus meinem
Mund drang. Es waren große, stille Tränen. Mir war so übel. Mir war so übel wie
damals in Kiel, als wir die Diagnose Hirntumor erhielten. Welch große Chance
Vianne da noch hatte - im Vergleich zu unserer jetzigen Situation. Die Chance
auf Heilung, die Chance auf ein relativ normales Leben. Ich trank wieder
einen Kamillentee. Die Nacht war schrecklich. Ich telefonierte mit Andi. Sie
kam am nächsten Morgen in die Klinik und passte auf Vianne auf, während Micha
und ich noch ein weiteres Gespräch mit der Expertin führten. Sie sagte einen
Satz, der mir wieder etwas hoch half: Es gebe diese Prozentzahlen, andererseits
habe sie keine fünf Kinder wie Vianne gehabt (Lage des Primärtumors plus
singuläre Metastase ohne Nachweis von Tumorzellen im Liquor, zweimalige
komplette Resektion,...). "Bei bestimmten Erkrankungen versuche ich, die
Eltern von einer bestimmten Therapie zu überzeugen, von der ich weiß, dass sie
mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Heilung führen wird. Das kann ich hier aber
nicht", ergänzte sie. Micha und ich zeigten zum Glück eine ähnliche
Reaktion auf das Angebot der cranio-spinalen Bestrahlung: "Auf gar keinen
Fall!"
Dienstag
wurden wir entlassen, Donnerstag wurden Viannes Fäden gezogen, Freitag fuhren
wir nach Cuxhaven. Ursprünglich (vor Viannes Rückfall) hatten wir bereits am
Wochenende zuvor in den Urlaub fahren wollen. Der "Elterntreff für tumor-
und leukämiekranke Kinder Dortmund", wo wir seit Viannes Erkrankung
Mitglied sind, hatte uns eine schön gelegene Ferienwohnung unmittelbar hinter
dem Deich angeboten. Jetzt hatten wir zumindest noch eine gute Woche am Meer
vor uns. Da nach der Rezidivdiagnose unsere Urlaubsplanung auf wackligen Füßen
stand, hatte Jesse von lieben Freunden das Angebot bekommen, mit ihnen eine
Woche am Gardasee mit Surfen und Mountainbike-Tour zu verbringen. Er nahm
hocherfreut an, erkundigte sich zuvor jedoch etliche Male bei uns, ob es okay
für uns sei. In Cuxhaven hätte sich unser Großer sicherlich sowieso
gelangweilt... Ich freute mich für ihn. Er hatte sich diesen tollen
Italien-Urlaub mehr als verdient. Eigentlich hatten Micha und ich mit ihm -
ohne seine jüngeren Geschwister - zum Ferienbeginn ein Wochenende in Berlin
verbringen wollen. Aber dann kam Viannes OP dazwischen. Jesse verzichtete ohne
zu Murren, ohne sich selbst zu bemitleiden. Ich ziehe meinen Hut
vor ihm...
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