Echtzeit! 4.
November 2014
Wir
haben noch immer keine Rückmeldung aus Dortmund. Wir wissen nicht, wie es
weitergeht. Warten unsere Onkologen selber auf eine Antwort oder haben sie so
viele andere Dinge zu tun, dass sie Vianne aus dem Blick verloren haben? Wenn
wir anscheinend so viel Zeit haben, warum dann vorher so eine Hektik? Oder
passiert gerade ganz viel im Hintergrund, was wir nur nicht mitbekommen? Diese
Gedanken beschäftigen mich derzeit. Wir mussten allerdings in letzter Zeit so
viel von uns aus in die Wege leiten, beispielsweise den nächsten MRT-Termin,
dass ich schon etwas skeptisch bin. Hätten die Dortmunder selber daran
gedacht, dass bald acht Wochen seit Viannes Rücken-OP vergangen sind und die
nächste Bildgebung ansteht? Ich weiß es nicht. Ihnen sollte doch am ehesten
bewusst sein, dass es schwer ist, kurzfristig ein MRT anzumelden. Als ich
unseren Arzt auf das anstehende MRT ansprach, meinte er, ich solle es über die Sekretärin
anmelden lassen. Und die hatte in der Tat ein Problem, noch einen Termin für
uns zu bekommen. Auch nach der ersten Blutuntersuchung nach Temodal-Gabe hat
niemand angerufen, um die Ergebnisse mitzuteilen. Letztendlich habe ich
nachgefragt und mir die Werte durchgeben lassen. Mittlerweile weiß ich schon,
welche Leukos, Thrombos ganz gut sind. Ich weiß letztendlich aber nicht, was
sie braucht, um in die nächste Runde zu gehen. Ich habe keine Ahnung, ob
überhaupt irgendjemand darauf geschaut hat. Es gab auch
keine körperliche Untersuchung, kein Abhorchen, kein
"In-den-Rachen-schauen". Ich weiß nicht, ob so etwas vonnöten ist,
aber wir verabreichen ihr schließlich keine schnöden Nasentropfen, sondern ein Chemotherapeutikum.
Was ist mit den sechswöchigen neurologischen Untersuchungen, die vor den
Rezidiven regelmäßig anstanden? Gilt das für uns nun nicht mehr, weil wir nicht
mehr nach der ursprünglichen Studie behandelt werden? Je mehr ich hier meine
Gedanken aufschreibe und ordne, desto wütender werde ich und und desto mehr
reift der Entschluss, all diese Fragen morgen mal anzusprechen.
Nun
aber zur Hauptperson: Vianne geht es zum Glück nach wie vor anscheinend gut.
Ada hatte sich zum Ende der Woche einen fiebrigen Infekt mit Heiserkeit und
Halsschmerzen eingefangen. Gestern Abend bekam Vianne Fieber und hatte die
gleichen Symptome. Richtig besorgt bin ich nicht, das Fieber ist auch schon wieder
weg, aber natürlich mache ich mir bei ihr mehr Gedanken als bei den anderen
Kindern. Gestern kam sie ganz stolz zu mir: "Mama, ich weiß, was Pferd auf
Englisch heißt." "Na was denn?", wollte ich neugierig wissen.
"Horst!", kam es triumphierend. Ich musste so laut lachen. Gestern
war überhaupt ein spannender Tag: Ada und Vianne hatten ihr Schulspiel. Immer
zwei Kinder gingen gemeinsam mit einer Lehrerin mit, um kleine Aufgaben zu
meistern. Hand in Hand wagten sich meine Mädels zusammen vor. Sie waren so herrlich aufgeregt
und voller Vorfreude. Es war schön (und traurig) zugleich. Wird Vianne
überhaupt nächstes Jahr die erste Klasse besuchen können? An sich ist die
Einschulung so eine wunderbare Sache - bei uns wird sie überschattet von der
Angst vor Viannes Zukunft. Diese widersprüchlichen Gefühle sind so schmerzhaft.
Dabei ist sie so ehrgeizig. Das ist auch der Lehrerin sofort aufgefallen. Ich
bin so stolz auf meine Mädels – sie haben die Aufgaben (jede im Rahmen ihrer
Möglichkeiten) gut gemeistert. Vianne hat etwas Nachholbedarf im
Bereich der visumotorischen Koordination und der Raum-Lage-Erfassung, ansonsten
ist sie aber fit. Diese Defizite kommen wahrscheinlich daher, dass die
Feinmotorik ihrer rechten Hand etwas eingeschränkt ist und sie nun die linke
Hand zum schreiben, schneiden und für weitere feinere Tätigkeiten benutzt, obwohl
sie von Natur aus Rechtshänderin ist. Ich finde es erstaunlich, dass sie trotz
drei schwerer Operationen, einer "Hammer"-Chemotherapie und einer
Bestrahlung insgesamt so fit ist. Es ist einfach bemerkenswert, dass sie so gut
mitgemacht hat, obwohl sie bereits den Infekt in sich hatte und daneben derzeit
unter einer - wenn auch sanfteren - Chemo steht. Wenn jemand meinen
uneingeschränkten Respekt hat, dann Vianne, diese wunderbare kleine Kämpferin.
Aber ich bin auch unglaublich stolz auf Ada, Jesse und Luke, die trotz der mentalen
Belastung immer wieder gute Ergebnisse erzielen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen