Rückblick: August
2014
Die
Essener Professorin war mit ihrer Empfehlung zur weiteren Behandlung sehr
zurückhaltend gewesen. Die Dortmunder sprachen sich hingegen ziemlich klar aus:
sofortige orale Chemotherapie mit Temodal und dazu die cranio-spinale
Bestrahlung. Wir fragten und hinterfragten, argumentierten, diskutierten. Micha
und ich konnten der Empfehlung dieses Mal nicht folgen - für Vianne standen zu
hohe Nebenwirkungen und Folgeschäden auf dem Plan, insbesondere durch die
Bestrahlung. Beim ersten Mal hatten wir doppelt Glück gehabt, weil Vianne mit
Protonen bestrahlt worden ist (für das umliegende Gewebe schonender als
Photonen) und weil keine sensiblen Bereiche in der Strahlenbahn lagen. Bei der
cranio-spinalen Bestrahlung hingegen bot sich laut herkömmlicher Meinung keine
Protonentherapie an, weil das komplette Hirnwasser-System behandelt werden
muss. Nach der Einnahme von Temodal war es bei einigen Patienten zu akutem
Leberversagen gekommen. Andererseits konnte uns niemand versprechen, dass die
angebotenen Therapien Viannes Krebszellen aufhalten. Temodal wirkt bei circa 25
Prozent der Patienten. Die Daten über die Bestrahlung gehen auseinander:
Franzosen und Amerikaner versprechen sich Erfolge, die Deutschen weniger.
Es
musste doch eine Alternative geben. Wir stürzten uns in die Homöopathie und
lasen uns in anthroposophische Schriften ein, wir besorgten uns etliche
Fachliteratur zur Ernährung und zur Visualisierung/Meditation. Wir wollten
unseren eigenen Weg finden. Meine Schwester entdeckte im Netz die "Gesellschaft
für biologische Krebsabwehr". Wir ließen uns diverse Schriften schicken,
machten mit den dort tätigen Ärzten einen telefonischen Beratungstermin aus.
Wir arbeiteten uns Tag und Nacht in die alternativen Möglichkeiten
zur Krebsbekämpfung - abseits der Schulmedizin - ein. Wir setzten all unsere
Hoffnung in das Beratungsgespräch mit dem Herdecker Anthroposoph und Onkologe.
Er sagte uns, wir kämen um eine chemotherapeutische Behandlung nicht herum -
und würde er auf sein Bauchgefühl hören, wäre das noch zu wenig. Sogar er riet
zu den beiden aggressiven Therapien: Chemo und craniospinale Bestrahlung. Wir
saßen nach diesem Gespräch im Auto und heulten.
Alles in uns sperrte sich gegen diese Behandlungen. Nein, wir wollten sie
Vianne nicht zumuten. Es ging ihr doch gerade so gut: die Narbe war bereits
blasser geworden, die Haare wuchsen. Vianne war voller Energie, besuchte wieder
den Kindergarten. Wir gingen schwimmen, fuhren zum Wakeboarden an den See,
trafen uns mit Freunden.
Ich
wollte einen anderen Weg gehen. Zuerst änderten wir im Laufe der kommenden
Woche unsere Ernährung, denn gewisse Stoffe - wie Industriezucker – stehen im
Verdacht, die Entstehung/Vermehrung von Tumorzellen
zu begünstigen, andere wiederum schützen unseren Organismus davor. Gemeinsam
mit den Kindern beschlossen wir, gewisse Lebensmittel zu verbannen,
untersuchten gemeinsam, wo und in welchen Mengen Zucker und andere schädliche
Zusatzstoffe vorhanden sind - und waren erschrocken. Wir begannen, Brot selber
zu backen. Die nächste Zeit war ich hauptsächlich mit Einkauf und
Essenszubereitung beschäftigt. Ich meldete Ada und Vianne vom Kindergartenessen
ab, erläuterte den Erzieherinnen unsere neue Ernährungsweise
und bat sie, darauf Rücksicht zu nehmen. Auch hier unterstützten sie uns wieder
vorbehaltlos. Nach anfänglichen Startschwierigkeiten (und Murren) gewöhnten
sich alle Familienmitglieder an
die neue Situation. Es klappte erstaunlich gut. Aber wir machten auch
Ausnahmen, zum Beispiel, wenn die Kinder auf einem Kindergeburtstag eingeladen
waren. Fast jeden Abend führte ich mit Vianne im Bett eine Visualisierung
durch. Wir stellten uns vor, wie das Sternenlicht ihr Köpfchen durchdringt und
seine wohltuende Wirkung entfaltet, alle Hirnzellen gesund hält,
sie
stark und kräftig macht. Die Sternenlichter planschen im
"Hirnwassersee", spielen in den entlegensten Hirnschlingen und
-furchen verstecken oder lassen sich im "Hirnwasserfluss" außen an
der Schädeldecke entlang treiben. Überall trafen sie auf gesunde Zellen, die in
ihrem heilenden Licht schimmerten. Leider vergaßen
wir die Wirbelsäule...
Ich
glaubte so sehr an "unseren" Heilungsweg, Micha allerdings war nicht
so sehr davon überzeugt, trug es aber erst einmal mit. Wir einigten uns,
zumindest das nächste MRT abzuwarten, um dann den weiteren Weg erneut zu
überdenken. Es gab so viele Spontanheilungen, die sich die Schulmediziner nicht
erklären konnten. Warum sollte Vianne nicht auch ihre Selbstheilungskräfte
entfalten können? Ich bin nicht im herkömmlichen Sinne gläubig. Aber ich glaube
an gewisse Kräfte im Universum, in den uns umgebenden Elementen, an ein gewisses
Zusammenspiel, das sich nicht erklären lässt.
Der
zweite Rückfall kam rund acht Wochen später, am 9. September 2014. An der
Wirbelsäule. Am Rückenmark. Nicht nur der Rückfall an sich nahm mich mit,
sondern auch das Gefühl, versagt zu haben.
Hier
schließt sich nun der Kreis, ihr treuen Leser. Dieses war der letzte fehlende
"Rückblick": Vergangenheit und Echtzeit haben zueinander gefunden -
auch wenn die meisten "Echtzeit-Einträge" nun auch schon wieder der
Vergangenheit angehören . Welch faszinierende Sache diese Zeit doch ist... Ich
gönne mir nun
eine
Auszeit - bis zur nächsten Echtzeit!
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