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17. Juli 2016

Grüezi miteinand



Rückblick: 23./24. Juni 2013

Andi (was würde ich bloß ohne sie machen) und ich fuhren mit Vianne am Sonntag nach Villigen in die Schweiz. Micha hielt Zuhause die Stellung. Wir hatten ein schönes Hotel direkt im Ort gebucht, das wir bereits am Vormittag erreichten. Wir ruhten uns kurz aus und erkundeten anschließend zu Fuß die
nähere Umgebung. Sehr idyllisch. Bäche, Hügel, Wiesen. Wir warfen mit Vianne Holzschiffchen in den Bach und beobachteten, wie das Wasser sie davon trieb. Am Ende eines verborgenen Trampelpfades lag ein kleines Gehöft mit einem Hühnerstall. Kinder kamen uns lachend entgegen und riefen uns ein fröhliches "Grüezi" entgegen. Vianne war begeistert. Die Hausherrin kam gerade heraus, um die Hühner zu füttern. Sie grüßte uns ebenso herzlich wie zuvor die Kinder. Dann schenkte sie Vianne ein frisch gelegtes Hühnerei. Wir fühlten uns wohl in Villigen. Das Paul-Scherrer-Institut (PSI), wo die Bestrahlung durchgeführt werden sollte, lag nur wenige Minuten entfernt von unserem Hotel. Am nächsten Morgen, am Montag, 24. Juni, hatten wir bereits um 10 Uhr einen Gesprächstermin mit Dr. G. am PSI. Anschließend sollten die Behandlungsliege, ein speziell auf Viannes Maße angepasstes Vakuumbett, sowie der Helm zur Fixierung ihres Kopfes angepasst werden. Um die exakte Lage festzuhalten, anhand derer die Bestrahlung berechnet wird, musste noch ein Planungs-CT gemacht werden. Vianne musste für die Vorbereitungsmaßnahmen sediert werden. Wieder eine leichte Narkose! Aber anders wäre die Vorbereitung nicht möglich gewesen. Die Anfertigung des Helms muss man sich wie einen Gipsabdruck des gesamten Schädels vorstellen. Bei Vianne entschied sich die Ärztin letztendlich für einen sogenannten Beißblock, über den sie während der Bestrahlung fixiert werden sollte. Die gesamte Prozedur sollte rund zwei Stunden dauern. Zwar kannte ich Luftaufnahmen vom Paul-Scherrer-Institut, das Gelände in natura zu sehen war aber etwas ganz anderes: es glich eher einem Industriegebiet als einem Krankenhauskomplex. Das Publikum war international, jung, gelehrt, überall wurde geforscht, experimentiert. Wir schnappten Fachgespräche in sämtlichen Sprachen auf. Es war spannend und ich fühlte mich sogleich gut aufgehoben. Der Eindruck verstärkte sich noch, als wir den Empfangsbereich des Protonentherapiezentrums betraten. Im Wartebereich saßen Patienten aus halb Europa, die Sekretärin sprach fließend mindestens drei Sprachen. Während sie eben noch Erklärungen auf Englisch abgab, wechselte sie wenig später ins Französische, bevor sie sich dem nächsten Patienten auf Deutsch bzw. "Switzertüütsch" zuwandte. Dann waren wir an der Reihe. "Ja grüezi miteinand, du musst die Emma Vianne sein", ging sie warmherzig auf uns zu. Im Vorfeld hatte ich mit Frau E. bereits einige Male telefoniert, der sympathische Eindruck bestätigte sich. Nach wenigen Formalitäten durften wir mit Vianne im Kinderwartezimmer Platz nehmen. Sie spielte.
Kurze Zeit später kam Dr. G, eine etwas ältere Ärztin zu uns, um Vianne kennenzulernen, sie körperlich und neurologisch zu untersuchen und sich von ihr und ihrem Allgemeinbefinden ein erstes Bild zu machen. Sie war für Viannes Protonentherapie zuständig und unser Ansprechpartner. Sie vermittelte Ruhe gepaart mit Professionalität. Mein erster Eindruck war, dass hier auf ganz hohem Niveau behandelt wird, gleichzeitig aber eine angenehme Gelassenheit im Raum schwebt, ohne die bekannte Hektik und zum Teil geladene Atmosphäre, die wir Deutschen uns so gerne zu eigen machen. Die Stimmung hier war Balsam für meine geschundene Seele - ebenso für Viannes. Außerdem mag ich die Sprache: auch wenn es um etwas Schlimmes geht, hören sich die Lautverbindungen so an, als ob man sich liebevoll über Oma Ernas Geranien unterhält. Auf meine Frage, ob ich bei der Narkoseeinleitung dabei sein dürfte, schaute mich das Schweizer Team irritiert an. "Natürlich", bekam ich zur Antwort. Für sie war es anscheinend völlig normal, dass die Eltern ihre Kinder begleiteten. Endlich mal keine Diskussionen. Danke! Wir gingen in den Vorbereitungsraum. Das Anästhesieteam holte erst einmal ein paar Handpuppen hervor. Ja, so stellte ich mir eine vernünftige Narkoseeinleitung vor. Viannes Kuscheltiere wurden allesamt begrüßt. Sie stellte fest, dass sie eines im Wartezimmer vergessen hatte. "Dann müssen wir es wohl dazu holen", lautete die Antwort. "So viel Zeit muss sein." Ich starrte das Anästhesieteam mit großen Augen an. Ich war im "Kinder-Narkose-Paradies". Also gesagt, getan. Während Vianne auf meinem Schoß saß, wurde das Narkosemittel über den Broviak gegeben.
Ganz sanft schlief sie auf meinem Arm ein. In diesem Moment hatte ich nur einen Gedanken: "Mir isch vögeliwool!" (Ich fühle mich äußerst wohl.). Ja, ich fühlte mich äußerst wohl bei der Protonenbestrahlung. Ja, die Behandlung in der Schweiz war Viannes große Chance auf Heilung ohne wahnsinnige Spätfolgen.







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