Rückblick: 23./24.
Juni 2013
Andi
(was würde ich bloß ohne sie machen) und ich fuhren mit Vianne am Sonntag nach
Villigen in die Schweiz. Micha hielt Zuhause die Stellung. Wir hatten ein
schönes Hotel direkt im Ort gebucht, das wir bereits am Vormittag erreichten.
Wir ruhten uns kurz aus und erkundeten anschließend zu Fuß die
nähere
Umgebung. Sehr idyllisch. Bäche, Hügel, Wiesen. Wir warfen mit Vianne Holzschiffchen
in den Bach und beobachteten, wie das Wasser sie davon trieb. Am Ende eines
verborgenen Trampelpfades lag ein kleines Gehöft mit einem Hühnerstall. Kinder
kamen uns lachend entgegen und riefen uns ein fröhliches "Grüezi" entgegen.
Vianne war begeistert. Die Hausherrin kam gerade heraus, um die Hühner zu
füttern. Sie grüßte uns ebenso herzlich wie zuvor die Kinder. Dann schenkte sie
Vianne ein frisch gelegtes Hühnerei. Wir fühlten uns wohl in Villigen. Das
Paul-Scherrer-Institut (PSI), wo die Bestrahlung durchgeführt werden sollte,
lag nur wenige Minuten entfernt von unserem Hotel. Am nächsten Morgen, am
Montag, 24. Juni, hatten wir bereits um 10 Uhr einen Gesprächstermin mit Dr. G.
am PSI. Anschließend sollten die Behandlungsliege, ein speziell auf Viannes
Maße angepasstes Vakuumbett, sowie der Helm zur Fixierung ihres Kopfes
angepasst werden. Um die exakte Lage festzuhalten, anhand derer die Bestrahlung
berechnet wird, musste noch ein Planungs-CT gemacht
werden. Vianne musste für die Vorbereitungsmaßnahmen sediert werden. Wieder
eine leichte Narkose! Aber anders wäre die Vorbereitung nicht möglich gewesen.
Die Anfertigung des Helms muss man sich wie einen Gipsabdruck des gesamten
Schädels vorstellen. Bei Vianne entschied sich die Ärztin letztendlich für
einen sogenannten Beißblock, über den sie während der Bestrahlung fixiert
werden sollte. Die gesamte Prozedur sollte rund zwei Stunden dauern. Zwar
kannte ich Luftaufnahmen vom Paul-Scherrer-Institut, das Gelände in natura zu
sehen war aber etwas ganz anderes: es glich eher einem Industriegebiet als
einem Krankenhauskomplex. Das Publikum war international, jung, gelehrt,
überall wurde geforscht, experimentiert. Wir schnappten Fachgespräche
in sämtlichen Sprachen auf. Es war spannend und ich fühlte mich sogleich gut
aufgehoben. Der Eindruck verstärkte sich noch, als wir den Empfangsbereich des
Protonentherapiezentrums betraten. Im Wartebereich saßen Patienten aus halb
Europa, die Sekretärin sprach fließend mindestens drei Sprachen. Während sie
eben noch Erklärungen auf Englisch abgab, wechselte sie wenig später ins
Französische, bevor sie sich dem nächsten Patienten auf Deutsch bzw.
"Switzertüütsch" zuwandte. Dann waren wir an der Reihe. "Ja
grüezi miteinand, du musst die Emma Vianne sein", ging sie warmherzig auf
uns zu. Im Vorfeld hatte ich mit Frau E. bereits einige Male telefoniert, der
sympathische Eindruck bestätigte sich. Nach wenigen Formalitäten
durften wir mit Vianne im Kinderwartezimmer Platz nehmen. Sie spielte.
Kurze
Zeit später kam Dr. G, eine etwas ältere Ärztin zu uns, um Vianne kennenzulernen,
sie körperlich und neurologisch zu untersuchen und sich von ihr und ihrem
Allgemeinbefinden ein erstes Bild zu machen. Sie war für Viannes
Protonentherapie zuständig und unser Ansprechpartner. Sie vermittelte Ruhe
gepaart mit Professionalität. Mein erster Eindruck war, dass hier auf ganz
hohem Niveau behandelt wird, gleichzeitig aber eine angenehme Gelassenheit im
Raum schwebt, ohne die bekannte Hektik und zum Teil geladene Atmosphäre, die
wir Deutschen uns so gerne zu eigen machen. Die Stimmung hier war Balsam für
meine geschundene Seele - ebenso für Viannes. Außerdem mag ich die Sprache:
auch wenn es um etwas Schlimmes geht, hören sich die Lautverbindungen so an,
als ob man sich liebevoll über Oma Ernas Geranien unterhält. Auf meine Frage,
ob ich bei der Narkoseeinleitung dabei sein dürfte, schaute mich das Schweizer
Team irritiert an. "Natürlich", bekam ich zur Antwort. Für sie war es
anscheinend völlig normal, dass die Eltern ihre Kinder begleiteten. Endlich mal
keine Diskussionen. Danke! Wir gingen in den Vorbereitungsraum. Das Anästhesieteam
holte erst einmal ein paar Handpuppen hervor. Ja, so stellte ich mir eine
vernünftige Narkoseeinleitung vor. Viannes Kuscheltiere wurden allesamt
begrüßt. Sie stellte fest, dass sie eines im Wartezimmer vergessen hatte.
"Dann müssen wir es wohl dazu holen", lautete die Antwort. "So
viel Zeit muss sein." Ich starrte das Anästhesieteam mit großen Augen an.
Ich war im "Kinder-Narkose-Paradies". Also gesagt, getan. Während
Vianne auf meinem Schoß saß, wurde das Narkosemittel über den Broviak gegeben.
Ganz
sanft schlief sie auf meinem Arm ein. In diesem Moment hatte ich nur einen
Gedanken: "Mir isch vögeliwool!" (Ich fühle mich äußerst wohl.). Ja,
ich fühlte mich äußerst wohl bei der Protonenbestrahlung. Ja, die Behandlung in
der Schweiz war Viannes große Chance auf Heilung ohne wahnsinnige Spätfolgen.
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