Echtzeit! 16. September
2014
Wir
sind unendlich erleichtert: Vianne hat die OP gut überstanden. Ohne
offensichtliche Schädigung! Ohne bisherige Komplikationen. Der Tumor ist draußen
- komplett, wie das postoperative MRT bestätigt hat. Ich ziehe meinen Hut vor
den Neurochirurgen. Nach knapp vierstündiger Operation kam am Dienstagmittag schließlich
der erlösende Anruf von Prof. S.. Micha und ich liefen gerade durch einen nahe
gelegenen Park. Ich hatte nicht mehr still sitzen können.
Bereits
um sieben Uhr bekam sie am OP-Tag ihren blauen "Schlumpfsaft". Er
muss wirklich übel schmecken, denn beim zweiten Teelöffel musste sie bereits
würgen. Aber tapfer hat sie das Beruhigungsmittel schließlich herunter
gebracht. Dann ging alles ganz schnell. Kurz bevor wir uns auf den Weg zum
OP-Bereich machten, kam Micha. Er hatte noch so lange nach einem Parkplatz
gesucht. Ich war heilfroh, dass er nun an unserer Seite war. Er trug Vianne in
ihrem "OP-Kleidchen" auf dem Arm, ganz behütend, ganz innig. Sie war
noch viel zu wach, als wir mit dem Aufzug nach unten fuhren. "Hast du
Angst?", fragte ich sie. „Nein", kam die prompte Antwort. Der Moment
des Abgebens ist und bleibt schrecklich. Vianne weinte und klammerte sich an
Micha und mich. Aber der Anästhesist nahm sie ganz fürsorglich auf den Arm,
sprach ruhig auf "Emma" (sie
heißt Vianne!!) ein und ging mit ihr davon. Micha und ich verließen ebenso
schnell den Vorbereitungsbereich, weil wir ihr Weinen nicht mehr ertragen
konnten. Wir hätten sowieso nicht zu ihr gedurft. Die Räumlichkeiten geben es
in Essen nicht her, dass die Eltern bei der eigentlichen Narkoseeinleitung
dabei sind, denn der Vorraum liege zu weit vom OP-Saal entfernt, hatte uns eben
jener Anästhesist
im Vorgespräch erklärt. Natürlich hatten wir wieder nachgefragt, ob wir dabei
sein können. Ein Satz überzeugte mich allerdings: "Es ist immer gut, die
Leute die Dinge so machen zu lassen, wie sie sie kennen."
Wir
flüchteten in den Wald. Vianne tat uns so unendlich leid. Tränen kamen. Wir
wanderten weiter. Irgendwann entdeckten wir einen kleinen Tümpel mit Enten und
Fischreihern - ein beschaulicher Ort, der uns etwas innere Ruhe schenkte.
Nachdem Micha durchgefroren genug war, holten wir uns einen Kaffee im Studentencafé
und kehrten auf unser Zimmer zurück. Mittlerweile war eine ältere Dame
dazugekommen. Also ab in den Aufenthaltsraum, wo es uns aber auch nicht lange
auf den Stühlen hielt. Wir machten uns wieder auf den Weg nach draußen - in die
Sonne! Und dann kam der Anruf.
Wir
durften dieses Mal sofort zu ihr auf die Intensivstation. Sie war noch
intubiert.
Ich
fand den Anblick nicht verstörend, Vianne wirkte so friedlich. Die Ärzte und
Schwestern auf der Intensivstation sind alle unglaublich freundlich und extrem
tiefenentspannt. Das überträgt sich. Sie erklärten uns Dinge ausführlich, zum
Beispiel, dass Kinder anders aus der Narkose aufwachen als Erwachsene, dass sie
nicht langsam, sondern plötzlich wieder zu sich kommen und dann sehr
desorientiert sind. Sie rieten uns davon ab, bei der Extubation im Raum zu
bleiben. Ich konnte aber nicht anders. Ich wollte, dass Vianne mich als erstes
sieht, wenn sie aufwacht. Ich war aber auch neugierig, wie so eine Extubation
von statten geht, obwohl sich das jetzt komisch anhört. Ich gehe den Dingen
gerne auf den Grund - das war schon immer so. Für mich ist es besser, gewisse
Szenen mit eigenen Augen zu sehen. Denn die eigene Phantasie und Vorstellungskraft
schafft manchmal weitaus schrecklichere Bilder... Als Vianne wach wurde, ging
ich zum Fußende des Bettes und schaute ihr direkt in die Augen. Sie wollte sich
den Tubus aus dem Hals ziehen, war aber zum Glück an den Händchen fixiert. Ich
sagte ihr noch, sie solle dem Arzt vertrauen, gleich würde er das Ding aus
ihrem Mund wegmachen. Sie schaute zwar noch immer sehr verängstigt, wurde aber
ruhiger. Die Extubation ging relativ schnell. Ich empfand es wirklich nicht
befremdlich. Ich war froh, Vianne wieder eigenständig atmen zu hören.
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