Ich
weiß das erste Mal nicht so richtig, wo ich anfangen soll, um von den
aufwühlenden letzten zweieinhalb Wochen zu erzählen. Die Krankheit überrennt
uns, unsere Gefühle überrennen uns. Dabei hilft das Schreiben ansonsten immer,
meine Gedanken zu sortieren. Momentan fällt das Sortieren schwer - weil Vianne Schmerzen
hat - wahnsinnige, unvorstellbare Schmerzen, die sie laut aufschreien lassen,
die sie ihre kleinen Fingerchen in unsere Haut bohren lassen - trotz starker
Schmerzmittel. Wir sind bei Morphin angekommen. In den letzten Urlaubstagen
haben wir es ihr erstmalig gegeben. Novalgin scheint nicht mehr zu helfen. Aber
auch die Morphin-Anfangsdosis ist nicht ausreichend. Die Ärzte haben uns
gesagt, Schmerzen lassen sich gut in den Griff kriegen heutzutage. Ach ja? So
einfach ist es wohl doch nicht, denn wir kriegen die Schmerzen momentan
definitiv nicht in den Griff. Wir müssen uns erst herantasten an die richtige
Dosierung. Nach einer Zwischengabe, die das Palliativteam heute bis zur
Dosiserhöhung empfohlen hat (seit 20 Uhr 13 Tropfen alle fünf Stunden), blühte
Vianne förmlich auf, lachte und tanzte, ging duschen und futterte all das auf
einmal, was sie in den letzen Tagen nicht gegessen hatte. Und plötzlich war der
Schmerz wieder da, mit voller Wucht, obwohl noch eine Stunde Zeit bis zur nächsten (höheren) Gabe war. Wir können ihre
Schmerzschreie kaum ertragen,
und doch ertragen wir sie und versuchen irgendwie, ihren Schmerz zu lindern, so
gut es eben geht. Wir können nicht viel tun, nur halten, streicheln, beruhigen,
ablenken, sanfte, mutmachende Worte (und die verdammte richige Dosierung)
finden. Vianne hat zwar auch schmerzfreie Phasen, aber diese werden wie gesagt
momentan immer kürzer.
Seit
drei Tagen ist es ganz übel, so dass wir unseren Urlaub vorzeitig beendet haben
- ein ständiger Kreislauf zwischen Übelkeit, Hirndruck, Erbrechen, Kopfschmerz,
Juckreiz. Seit heute Vormittag sind wir wieder Zuhause. Die übrigen Kinder
haben Viannes Schmerz und Kraftlosigkeit im engen Wohnmobil oftmals hautnah
mitbekommen. War es zu viel? Ja, einerseits sicherlich. Aber sie haben auch die
andere Vianne hautnah erlebt: die verschmuste, schelmische, liebenswerte,
zickige, die immer dann durchbrach, wenn es ihr gut ging. Nähe ist Glück und
Schmerz in einem. Ja, es war richtig, diesen Urlaub zu machen, der uns so sehr
an unsere Grenzen gebracht hat. Es war richtig, weil Vianne diesen Urlaub
wollte. Noch nachdem sie heute Morgen heftig gewürgt hatte und von Kopfschmerzen
gepeinigt war, wollte sie trotzdem noch etwas Zeit in Heidelberg bei unseren
Freunden verbringen, kuschelnd zwischen den farbenfrohen Kissen im Bett ihres
kleinen Freundes. "Sieh mal, Mama, der Luca kann aber toll basteln",
sagte sie anerkennend, während sie mit ihren zarten Fingerchen auf die aufgereihten
Kunstwerke an der Wand oberhalb des Bettes zeigte. Minuten später schrie sie
wieder vor Schmerz auf. Ich habe solch einen Respekt vor meiner kleinen
tapferen Tochter. Ada, Micha und ich hatten die letzte Nacht neben ihr auf
Isomatten verbracht, Jesse und Luke wollten lieber im Wohnmobil nächtigen. Ohne
die Unterstützung unserer Freunde am gestrigen Abend, in der Nacht und am
heutigen Vormittag wären wir verzweifelt.
Ich
bin mir sicher, dass es unser letzter gemeinsamer Urlaub mit Vianne war. Es
fällt schwer, es auszusprechen, es wirklich schwarz auf weiß geschrieben zu
sehen. Rückwirkend betrachtet verschlechtert sich Viannes Befinden stetig seit
April - zwar unterbrochen von mehrtägigen Hochphasen, die aber auch immer
kürzer und weniger werden. Ich will Vianne zurück!!!! Wir alle wollen Vianne
zurück!!!! Auch Vianne will sich zurück: "Ich werde lange Leben ",
sagte sie erst vor wenigen Wochen bestimmt und trotzig zugleich zu mir. Vergleiche
ich Videos oder Fotos von heute mit der Zeit zwischen Dezember 2014 bis April 2015
kann ich kaum glauben, wie sehr sie in den wenigen verstrichenen Monaten
abgebaut hat - und es geht immer schneller. Diese Erkenntnis ist zermürbend,
zerstörend und so unsagbar schmerzhaft. Für heute reicht es! Vianne hat gerade
wieder aufgeschrieen. Gleich dürfen wir ihr die nächste Kortison-/Morphingabe
geben.
Über
unsere Urlaubseindrücke/ Urlaubserlebnisse schreibe ich bald! Es sind viele
schwere Momente dabei gewesen, aber auch viele innige und fröhliche!
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