Montag, 13. Juli
2015
Wir
haben die Schmerzen weiterhin unter Kontrolle. Allerdings mussten wir das
Morphin wechseln, weil sie vom ersten Präparat einen quälenden Juckreiz
bekommen hat. Sie kratzte sich zwischenzeitlich so sehr, dass rote Striemen auf
Bauch, Gesicht und Rücken sichtbar waren. Manchmal findet Vianne nicht mehr die
richtigen Worte - das macht sie unglaublich wütend. Manchmal taucht die alte
Vianne ganz kurz wieder auf - wenn sie Ada ein genervtes, kräftiges
"Nein" entgegenschleudert,
weil diese etwas tut, was Vianne nicht mag. Oder wenn sich ganz plötzlich ein verschmitztes
Lächeln auf ihre Lippen schleicht. Sie schläft viel. Wenn sie wach ist, ist sie
erstaunlich klar, trotz der hohen Morphin-Dosen. Aber Krankheit und Medikament
zehren an ihr - oftmals schläft sie noch im Sitzen
wieder ein. Manchmal tätschelt sie meinen Arm, während meine Tränen auf sie
fallen. Vianne scheint keine Angst zu haben, sie wirkt auch nicht unzufrieden,
nur manchmal gepeinigt von Schmerz oder den Veränderungen, die die Tumore
hervorrufen. Als sie gestern früh erwachte, erzählte sie mir mit einem Lächeln,
dass sie einen wunderbaren Traum gehabt habe: von einer Wasserelfe. Ich meinte
zu ihr, dass sie mit den Elfen mitgehen dürfe, wenn sie wolle... Gestern hat
sie sich vehement geweigert, Socken anzuziehen, sie schrie mich an und meinte,
die Söckchen würden nicht richtig sitzen - kein Paar, was wir ausprobierten.
Wohl irgendein Missempfinden. Das Schlucken fällt ihr zunehmend schwerer. Sie
kann nur noch kleine Schlückchen zu sich nehmen und lässt Getränke länger im
Mund. Beim Essen scheint es leichter zu sein. Seit gestern hat sie die ersten
kleinen Portionen wieder zu sich genommen: Kartoffelpürree und Erdbeeren.
Gestern Morgen hat sie erstmals etwas Seltsames zu mir gesagt: Auf meine Frage,
was sie essen wolle, meinte sie: "Hafer". Ich wusste nicht, ob ich Lachen
oder Weinen sollte. Heute hat sie das erste Mal geschielt - wahrscheinlich vom
steigenden Hirndruck. "Mama, ich sehe doppelt", meinte sie ganz
erstaunt.
Die
übrigen Kinder werfen sich in den Alltag, übernachten bei Freunden, gehen ins
Kino oder ins Freibad. Und dann kommen sie nach Hause und bedecken Vianne mit
Küssen. Andi und Ralf sind fest an unserer Seite (wie ganz viele weitere
liebenswerte Menschen). Meine Eltern sind gerade nicht greifbar, meine Mama
kuriert einen komplizierten Beinbruch im Krankenhaus aus. Für sie ist es
schrecklich, nicht bei Vianne sein zu können. Aber die beiden telefonieren.
Dabei muss sich Vianne mittlerweile sehr konzentrieren. Sie kann immer nur eine
Sache machen, es darf nicht zu viel um sie rum sein, sonst ist sie überfordert
und wird fuchsteufelswild.
Mancher
mag sich fragen, warum ich diese z.T. schrecklichen Details niederschreibe. Ich
will sie bewahren, weil sie zu Viannes Leben dazugehören, jeder kleine Moment,
ob schön, traurig, ergreifend, humorig, widerborstig. Ich will mich später
erinnern können - bis zur letzten Minute. Denn noch lebt sie.... Und eines kann
uns keiner nehmen: unsere unendliche Liebe zu ihr!
Wir drücken die Daumen für alle Kinder mit Ependymom...
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