Dienstag, 21.
Juli 2015
Wir
erreichen Vianne kaum noch - ab und zu nickt sie fast unmerklich oder schüttelt
ganz sacht das Köpfchen. Ihre Worte sind verloren - sie findet sie nicht mehr,
setzt an, versucht sich mit ihrer letzten verbliebenen Kraft zu konzentrieren
und sackt völlig fertig in sich zusammen. Nach ein, zwei dieser kraftraubenden
und zermürbenden Versuche hat sie jetzt das Sprechen eingestellt. Ich vermisse
ihre Stimme so sehr, ihr Kichern. Wie gerne würde ich sie wieder munter
drauflos plappern hören. Gestern ist sie noch einmal kurz aufgetaucht und hat
mit Ada plötzlich gemeinsam "Hänsel und Gretel" und "Der Kuckuck
und der Esel" gesungen. Wir waren
total erstaunt. Aber scheinbar wird das Singen über eine andere Hirnregion als das
Sprechen gesteuert. Anschließend versank sie wieder.
Wir
wissen noch nicht einmal mehr, ob es ihr soweit ganz gut geht, ob sie
Schmerzen, Hunger, Durst hat. Wir wissen nicht mehr wohin mit unserem Schmerz.
Hin und wieder gehe ich laufen - und laufe vor mir davon. Die körperliche
Anstrengung tut gut. In der Nacht von Samstag auf Sonntag hatte Vianne eine
weitere Schmerzattacke - wir haben drei Zusatzdosen Morphin innerhalb von einer
Stunde geben müssen, bevor wir den Schmerz im Griff hatten. Seitdem geht es
wieder.
Die
Kinder brechen langsam ein, wir brechen langsam ein. Gestern spielte Ada sehr
ausgiebig im Kinderzimmer - und sie hatte sich auch etliche Spielsachen von
Vianne genommen, sie aber später in irgendeiner Ecke scheinbar achtlos
liegengelassen. Ich wurde wütend, schnauzte sie an, ob sie überhaupt gefragt
hätte, war außer mir vor Schmerz und Wut und Hilflosigkeit. Später
entschuldigte ich mich und wir räumten gemeinsam auf. "Ich vermisse
Vianne", sagte Ada. Sie hatte auf Viannes Bett die Bilder ausgebreitet, die
Vianne und sie am letzten Kindergartentag vor den Ferien mitbekommen hatten. Es
waren gemalte Bilder der
letzten Wochen, die sie noch in ihrem Kindergartenfach liegen hatten. Als wir
die Tüten mit den Malbildern mit nach Hause bekommen haben, hatte ich sie erst
mal oben in den Abstellraum gelegt. Ada muss sie sich von dort geholt haben -
ich hatte es zwischenzeitlich schon wieder vergessen. Ich saß auf Viannes Bett
und schaute mir die Bilder an. Es sind ihre letzten Bilder... sie wird uns nie
wieder Bilder malen...
Abends
wollte Luke dann mit uns sprechen. Er wollte wissen, wann. Er wollte wissen,
warum. Er wollte wissen, was danach ist. Er wollte wissen, ob es nicht doch
noch ein Medikament für Vianne gibt. Bis auf die letzte Frage hatte ich keine
Antworten. Er weinte und meinte: "Jetzt kann nie wieder mit Vianne spielen." Nie wieder...
Andi
und Ralf sind ganz oft bei uns. Sie sind der Fels. Sie sind für mich die Helden
im Hintergrund, ähnlich wie Sam für Frodo in "Herr der Ringe". Ohne
ihn hätte er nicht bis zum Ende durchgehalten. Auch Uli ist für uns so ein
Hoffnungsträger. Sie kommt heute Abend und bleibt für eine Nacht und einen
halben Tag mit Loulou. Vianne hat uns noch mitteilen können, dass sie sich
darauf freut.
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