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17. April 2017

Echtzeit! So weit weg



Dienstag, 21. Juli 2015


Wir erreichen Vianne kaum noch - ab und zu nickt sie fast unmerklich oder schüttelt ganz sacht das Köpfchen. Ihre Worte sind verloren - sie findet sie nicht mehr, setzt an, versucht sich mit ihrer letzten verbliebenen Kraft zu konzentrieren und sackt völlig fertig in sich zusammen. Nach ein, zwei dieser kraftraubenden und zermürbenden Versuche hat sie jetzt das Sprechen eingestellt. Ich vermisse ihre Stimme so sehr, ihr Kichern. Wie gerne würde ich sie wieder munter drauflos plappern hören. Gestern ist sie noch einmal kurz aufgetaucht und hat mit Ada plötzlich gemeinsam "Hänsel und Gretel" und "Der Kuckuck und der Esel"  gesungen. Wir waren total erstaunt. Aber scheinbar wird das Singen über eine andere Hirnregion als das Sprechen gesteuert. Anschließend versank sie wieder.

Wir wissen noch nicht einmal mehr, ob es ihr soweit ganz gut geht, ob sie Schmerzen, Hunger, Durst hat. Wir wissen nicht mehr wohin mit unserem Schmerz. Hin und wieder gehe ich laufen - und laufe vor mir davon. Die körperliche Anstrengung tut gut. In der Nacht von Samstag auf Sonntag hatte Vianne eine weitere Schmerzattacke - wir haben drei Zusatzdosen Morphin innerhalb von einer Stunde geben müssen, bevor wir den Schmerz im Griff hatten. Seitdem geht es wieder.

Die Kinder brechen langsam ein, wir brechen langsam ein. Gestern spielte Ada sehr ausgiebig im Kinderzimmer - und sie hatte sich auch etliche Spielsachen von Vianne genommen, sie aber später in irgendeiner Ecke scheinbar achtlos liegengelassen. Ich wurde wütend, schnauzte sie an, ob sie überhaupt gefragt hätte, war außer mir vor Schmerz und Wut und Hilflosigkeit. Später entschuldigte ich mich und wir räumten gemeinsam auf. "Ich vermisse Vianne", sagte Ada. Sie hatte auf Viannes Bett die Bilder ausgebreitet, die Vianne und sie am letzten Kindergartentag vor den Ferien mitbekommen hatten. Es waren gemalte Bilder der letzten Wochen, die sie noch in ihrem Kindergartenfach liegen hatten. Als wir die Tüten mit den Malbildern mit nach Hause bekommen haben, hatte ich sie erst mal oben in den Abstellraum gelegt. Ada muss sie sich von dort geholt haben - ich hatte es zwischenzeitlich schon wieder vergessen. Ich saß auf Viannes Bett und schaute mir die Bilder an. Es sind ihre letzten Bilder... sie wird uns nie wieder Bilder malen...

Abends wollte Luke dann mit uns sprechen. Er wollte wissen, wann. Er wollte wissen, warum. Er wollte wissen, was danach ist. Er wollte wissen, ob es nicht doch noch ein Medikament für Vianne gibt. Bis auf die letzte Frage hatte ich keine Antworten. Er weinte und meinte: "Jetzt kann nie wieder mit Vianne  spielen." Nie wieder...

Andi und Ralf sind ganz oft bei uns. Sie sind der Fels. Sie sind für mich die Helden im Hintergrund, ähnlich wie Sam für Frodo in "Herr der Ringe". Ohne ihn hätte er nicht bis zum Ende durchgehalten. Auch Uli ist für uns so ein Hoffnungsträger. Sie kommt heute Abend und bleibt für eine Nacht und einen halben Tag mit Loulou. Vianne hat uns noch mitteilen können, dass sie sich darauf freut.



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