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2. September 2016

Willkommen in der Realität



Echtzeit!  20. Oktober 2014

Ich trinke Kamillentee. Er wärmt und kommt doch nicht gegen die Kälte an, die hoch kriecht. Wir sind wieder in unserer "Tumorwelt" angekommen. Ich selbst benutze nicht die Beschreibung "frecher Wicht", die ist nur für die beiden Mädels. Ich schreibe dem Tumor auch keine Charaktereigenschaften zu, es sind lediglich Zellen, die sich unkontrolliert vermehren. Es sind Viannes Zellen! Ich hege keinen persönlichen Groll gegen diese Zellen - aber ich hadere mit dem Schicksal. Gibt es so etwas wie Schicksal? Kann ich es verändern? Ich bin nicht der passive Typ. Ich werde alles Menschenmögliche tun, für Vianne, für mich, für unsere Familie. Ich lasse mir nicht einfach den Boden unter den Füßen wegziehen. Egal von wem oder was.
Heute wurde Viannes Blut untersucht. Ergebnisse haben wir noch nicht. Wir müssen schauen, inwieweit das Temodal ihre Blutwerte "in den Keller fallen" lässt. Wir brauchen die Ergebnisse, um nächste Woche mit dem 2. Chemotherapie-Zyklus beginnen zu dürfen. Vianne ist leicht erkältet, hustet, ist aber ansonsten gut drauf. Wir haben bei Dr. B. und Prof. S. nachgefragt, wie es weitergeht. Mit der Kunsttherapeutin proben wir Ende der Woche spielerisch die Maskenanfertigung im Wachzustand für die Bestrahlung - anhand einer Gipsmaske. Der Bestrahlungsplan von dem Experten aus Leipzig ist eingetroffen. Den Dortmunder Radiologen ist dieser Plan zu komplex, sprich: sie trauen sich nicht daran. Dr. B. ist der Meinung, wenn man "mit dem Rücken zur Wand steht" (so seine Worte), dürfe man sich keine großen Gedanken mehr über die Gefahr einer möglichen Schwerhörigkeit oder Produktionseinstellung der Hirnanhangdrüse machen. Ich lenke ein, dass es legitim sei zuzugeben, dass es die eigenen Fähigkeiten übersteigt. Aber es ist auch erschreckend, dass an sich erfahrene Radiologen eine Behandlung wegen der erheblichen möglichen Folgen nicht ausführen wollen. "Alle drei Monate ist ein neues Rezidiv aufgetreten...", wirft Dr. B. ein. Wir wissen das. Es ist trotzdem schwer, sich diese nackte Tatsache zu vergegenwärtigen. Unsere Dortmunder Onkologen haben nun Kontakt zu den Essener Radiologen aufgenommen. Derzeit beantragen sie auch die Kostenübernahme für den Einzelheilversuch mit einem Medikament, das zwar in den USA, nicht aber in Europa zugelassen ist. Die Heidelberger Experten vom Deutschen Krebsforschungszentrum, die Viannes Gewebe molekularbiologisch untersucht haben, befürworten diesen Einzelheilversuch. Unsere Krankenkasse hat eine umfangreiche Stellungnahme von unseren behandelnden Ärzten erbeten. Prof. S. hat den Vordruck ausgefüllt. Ich kenne seine Antworten. Ich kannte sie auch vorher. Aber es ist so schwer, sie schwarz auf weiß zu sehen, zu lesen, zu begreifen...
2.) Liegt bei Emma Vianne eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor oder droht der Eintritt einer irreversiblen schwerwiegenden Behinderung?
Prof. S.: "Ja " (Er hat "regelmäßig tödlich" unterstrichen....)
2.6.) Besteht eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf durch die Verabreichung des Arzneimittels? Wenn ja, bitten wir um die Quellenangabe und ggf. Benennung entsprechender Veröffentlichungen.
Prof. S.: "Ja, Erfahrungen bei anapl. Hirntumoren des ??? (kann ich nicht lesen) und am DKFZ (Deutsches Krebsforschungszentrum) Heidelberg."
3.) Aussagen über Prognose und Krankheitsfolgen, die bei Nichtanwenden des Arzneimittels bei Emma Vianne zu erwarten sind:
Prof. S.: "es ist mit einem Folgerezidiv und dem Tod im nächsten Jahr zu rechnen!"

Das ist mein Versprechen an dich, meine süße Vianne, an dich, Micha, an euch, Ada, Luke und Jesse und ich wiederhole es noch einmal: "Ich werde alles Menschenmögliche tun, für Vianne, für mich, für unsere Familie. Ich lasse mir (und euch) nicht einfach den Boden unter den Füßen wegziehen. Egal von wem oder was!" Erst recht nicht von irgendwelchen Prognosen...



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