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2. September 2016

Schweiz - liebe Besuche



Rückblick: August 2013


Nach drei Wochen auf dem Martiburhof stand ein Umzug an, da die Wohnung in diesem Zeitraum bereits vermietet gewesen war. Für die letzten beiden Bestrahlungswochen (Woche 6 und 7) wollten wir dann zurückkehren. Zwischenzeitlich fanden wir ein neues Domizil oberhalb von Tiengen auf einem Demeterhof im Nirgendwo. Auf dem Weg dorthin schienen die dunklen Tannen gar kein Ende zu nehmen. Wir wurden absolut herzlich von den Besitzern, Steffen und Ruth, in Empfang genommen. Der Hof lag malerisch. Jesse konnte kaum glauben, dass wir nun noch einsamer und ländlicher als zuvor wohnen sollten. Als er dann noch nicht einmal Handy-Empfang hatte, weigerte er sich, aus dem Auto auszusteigen. Nachdem Steffen ihm jedoch das W-Lan-Passwort verraten hatte, kehrte wieder etwas Farbe in sein Gesicht. Ada, Vianne und Luke hingegen waren begeistert. Es gab die "Geißens", ein Ziegenpärchen, etliche Gänse, zwei Hunde, Katzen, Schweine, Rinder und Hühner. Luke durfte auf dem Mähdrescher mitfahren und die Ernte einholen. Ada und Vianne fütterten fast täglich die Schweine mit unseren Küchenabfällen oder führten die "Geißens" an der Leine spazieren. Die Ferienwohnung war sehr dunkel und in die Jahre gekommen und trug den Geruch vergangener Zeiten. Aber dieses Manko machten Steffen und Ruth durch ihre nette Art wett. Sie überraschten uns mit frischgebackenem Brot, Ruth brachte unsere Jungs gemeinsam mit ihrem jüngsten Sohn und dessen Freund ins Naturfreibad. Wir erlebten die Geburt und den Tod eines Kälbchens und waren beeindruckt, wie sehr Steffen sich bemühte, der Kuh ein fremdes Kälbchen zu besorgen. Er verbrachte solange Zeit bei den beiden, bis er sah, dass die Kuh das Kalb angenommen hatte. Vianne ging es immer noch gut, obwohl sie bereits drei Wochen Bestrahlung hinter sich hatte. Lediglich ihre Abwehrkräfte waren weiter gesunken, sie fielen aber nicht so tief wie bei der Chemo. Wegen der nicht ganz so sterilen Bauernhofwohnung und den hunderten von Fliegen in unserer Unterkunft (seitdem haben wir diesen Insekten gegenüber einen riesengroßen Ekel) und den vielen fremden Keimen in den Ställen machte ich mir Sorgen - zum Glück unbegründet. Vianne spielte an der Wassertränke im Hof, schaukelte vergnügt in der Baumschaukel oder düste mit der selbstgebauten Seilbahn quer über den Hof. Wir bekamen in diesen Wochen Besuch von unseren Freunden aus Heidelberg und verbrachten gemeinsam einen wunderschönen unbeschwerten erfüllten Tag. Wir ließen uns mit den Kindern im Rhein flussabwärts treiben, abends grillten wir alle zusammen mit Ruth und Steffen. Unglaublich lustig - und immer wieder aufregend und liebevoll chaotisch - war der Besuch meiner M. aus Düsseldorf, die mit ihren beiden Kindern für mehrere Tage in den düsteren Schwarzwald angereist war. Wir lachten viel, wanderten zu einer kleinen Waldhütte (die leider nicht bewirtet war) und fuhren zusammen zum Bodensee. Unsere morgendlichen Pflichttermine am PSI wurden zur Routine, Vianne machte weiterhin klasse mit und murrte selten - außer nach dem Aufwachen. Irgendwann sprach mich eine Mitarbeiterin an, dass Vianne immer so süße Kleidchen an hätte. Nur leider gingen uns die süßen Kleidchen langsam aus, weil wir auf dem Demeterhof keine Waschmaschine haben, erzählte ich ihr grinsend. Wisst ihr, was sie antwortete? Ich solle ihr doch einfach einen Sack Wäsche mitgeben, dann würde sie die Sachen für uns waschen. Verdutzt starrte ich sie einen Moment lang sprachlos an. Da bietet mir eine medizinische Mitarbeiterin vom PSI mal eben so an, unsere Schmutzwäsche zu waschen, obwohl sie uns kaum kennt. Solch eine ungezwungene und zuvorkommende Art kann ich mir bei den meisten Deutschen nur schwer vorstellen. Ich lehnte gerührt und dankend ab (noch reichte es bis zu unserer Rückkehr zum Martiburhof, wo uns eine Waschmaschine zur Verfügung stand).
Die zuvorkommende Art der Schweizer überraschte uns ein ums andere Mal. Einmal hatte ich nicht mehr genügend Schweizer Franken, sondern nur noch Euro zur Verfügung, als ich mir im PSI-Bistro einen Kaffee kaufen wollte. Mit Euro konnte man ebenso bezahlen, bekommt das Wechselgeld allerdings in Franken. Also reichte ich der Kassiererin einen 50-Euro-Schein, kleiner hatte ich es nicht. Sie lächelte und meinte, es wäre schon okay, ich solle den Schein wieder einstecken. Wirklich nett!
Die zwei Wochen auf dem Demeterhof vergingen wie im Flug. Nach vier Wochen gemeinsamer Familienzeit ging es für Micha und die Jungs wieder nach Hause. Ich vermisste sie bereits bei ihrer Abfahrt. Ich wechselte zurück zum Martiburhof. Am nächsten Tag reisten meine Eltern an, um mich zu unterstützen. Irgendwie war ich davon ausgegangen, dass Vianne an 30 Tagen bestrahlt wird. Da es lediglich zu einer eintägigen Verzögerung gekommen war und dieser Tag hinten dran gehängt werden musste, stand nach sechs Wochen nur noch der Montag zur Bestrahlung an. Direkt im Anschluss wollte ich mit den Kindern nach Hause fahren. Ich kündigte die Wohnung für Montag. Zur Sicherheit hatten wir im Vorfeld sieben Wochen reserviert. Am Donnerstag bekam ich dann den Bestrahlungsplan mit den neuen Uhrzeiten. Komischerweise war nicht nur der Montag vermerkt, sondern auch noch Dienstag, Mittwoch und Donnerstag. Irritiert fragte ich nach. Bei der Protonentherapie sind zwar 30 Einheiten angesetzt, an drei weiteren Tagen gibt es jedoch einen Extra-Boost auf das Hauptareal. Ich war todtraurig. Ich hatte mich mental schon auf die Heimkehr am Montag vorbereitet. Meine Eltern boten zwar an, noch ein paar Tage länger zu bleiben, aber ich lehnte dankend ab. Sie sind schon über siebzig und brauchten meiner Meinung nach dringend Ruhe. Ich ging also wieder zu unserer Vermieterin und setzte sie in Kenntnis, dass wir doch noch bis Donnerstag bleiben. Besorgt erklärte sie mir, dass sie die Wohnung ab Mittwoch bereits wieder vermietet hätte. Was für ein Schlamassel! Hinzu kam, dass ganz Waldshut wegen einer Revision des Atomkraftwerkes fast vollständig ausgebucht war. Ich war wirklich fertig. Dann aber fiel mir das kleine Hotel oberhalb von Tiengen ein, in dem M. während ihres Besuches abgestiegen war. Sie hatten noch ein Zimmer für unsere letzte Nacht im Schwarzwald – zum Glück. Meine Eltern reisten ab, wir winkten ihnen noch fröhlich nach. Sie waren kaum um die Kurve, als ich merkte, wie es schrecklich in meinem Bauch rumpelte. Die nächsten 24 Stunden kam ich kaum noch vom Klo runter - mir war hundeelend zumute, heulend rief ich Micha an. Sonntagmittag ging es mir etwas besser. Ein Freund, der mit seiner kleinen Tochter in der Nähe Urlaub machte, hatte sich angekündigt. Es tat so gut, M. und T. zu sehen. Am Abend merkte ich allerdings, wie platt ich von der Durchfallerkrankung war. Am Montag schleppte ich mich mit Ada und Vianne wieder zum PSI. Ich fragte, ob ich besser wieder fahren solle, bevor ich jemanden anstecke. Die Schweizer waren wieder tiefenentspannt und verneinten. Dann schaute mich die Sekretärinnen besorgt an und meinten, ich sehe wirklich richtig krank aus. Na danke! Den restlichen Tag durften Ada und Vianne "Yakari" in Endlosschleife gucken - ich schlief nur noch. Danach ging es mir merklich besser. Was für eine Ironie: sechs Wochen war ich nie allein mit den Kindern, und sobald kein Erwachsener mehr greifbar ist, hole ich mir eine hinterhältige Virusinfektion. Dienstag packte ich stundenlang unsere Sachen, da wir Mittwochmorgen aus dem Martiburhof auszogen. Am Donnerstag durften wir dann endlich nach Hause fahren. Nach sechsstündiger Heimreise fielen wir uns alle hocherfreut in die Arme. Wir hatten es geschafft! Sechseinhalb Wochen Bestrahlung lagen hinter uns, 33 Narkosen. Und Vianne ging es gut! Der erste zarte Haarflaum zeigte sich sogar schon auf ihrem Köpfchen. Die Haut im Bestrahlungsfeld war zwar stark gerötet, aber nicht entzündet.











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