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26. August 2016

Protonentherapiestart



Rückblick:  14. - 21. Juli 2013

Eine Woche vor Beginn der Sommerferien fuhren Andi und ich mit Vianne und Ada in die Schweiz. Die Bestrahlung war auf sechs bis sieben Wochen ausgerichtet - jeweils fünf Tage die Woche. Das Wochenende sollte frei sein. Micha blieb vorerst zuhause, da die Jungs noch Schule hatten. Er arbeitete die Woche etwas weniger und übernahm an manchen Tagen ab dem Nachmittag die Kinderbetreuung, ansonsten sprangen meine Eltern und Freunde ein. Einen Tag arbeitete er von Zuhause aus. So waren die Jungs nie lange allein. Und Vianne, Ada und ich hatten unsere Andi an unserer Seite.
Bereits am Sonntagvormittag brachen wir auf Richtung Waldshut. Wir hatten in Deutschland direkt an der Grenze zur Schweiz eine Ferienwohnung auf dem Martiburhof gebucht. Von dort aus dauerte die Fahrt rund 20 Minuten zum Paul-Scherrer-Institut (PSI) in Villingen/ Aargau. Die Ferienwohnungen sowie die Lebenshaltungskosten in der Schweiz waren für uns über solch einen langen Zeitraum einfach zu hoch. Wir hatten Glück mit der Wahl unserer Ferienwohnung: sie war schön hell, sauber, gut ausgestattet und geräumig, lag in einem Neubau, direkt neben dem eigentlichen Bauernhof, in dem die Vermieter wohnten. Es gab zwei drollige Ziegen, ein Trampolin im Garten, Schaukel und Rutsche, einen riesigen Kuhstall mit Kühen und niedlichen Kälbern, Blindschleichen, einen Sandkasten, in dem zwei Monster-Spinnen wohnten, zwei kleine Ponys (auf denen unsere Kinder reiten durften und die in den kommenden Wochen beinahe zu Tode gestreichelt wurden) und Frau T., eine überaus nette Vermieterin. Einmal die Woche veranstaltete sie für alle Gäste einen gemeinsamen Grillabend mit anschließendem Stockbrotbraten. Bei ihr - sie war übrigens Krankenschwester - waren schon einige Patienten untergekommen, die am PSI bestrahlt wurden. Zeitgleich mit uns wohnte eine Familie mit drei netten Kindern auf dem Hof. Der Jüngste war in Behandlung. Andi, Vianne und ich fühlten uns hier auf Anhieb wohl. Die Rahmenbedingungen waren somit schon mal gut, die Wetteraussichten versprachen strahlenden Sonnenschein und hochsommerliche Temperaturen für die kommende Woche. Abends saßen Andi und ich auf dem "Balkon" und genossen den Blick auf den Rhein und die Schweizer Berge. Bei klarer Sicht konnten wir sogar die schneebedeckten Viertausender sehen. Nur eine "Kleinigkeit" trübte diesen tollen Ausblick. Hinter dem Hügel rechts stiegen regelmäßig Wasserdampfwolken auf, zwar etliche Kilometer entfernt, aber dennoch gut sichtbar. Die Schweizer hatten kurz hinter der Grenze zu Deutschland ein mittlerweile in die Jahre gekommenes Atomkraftwerk gebaut. Irgendwie pervers: rechts und links idyllische Landschaft, grasende Kühe, ein träge fließender Rhein, hinter uns das riesige Naturschutzgebiet Schwarzwald - und in unmittelbarer Nachbarschaft ein Atomkraftwerk. Wir mussten uns erst daran gewöhnen. Aber hey, was sollte es, ab morgen würde meine Tochter mehr als 30 Tage mit Strahlen bombardiert. Da empfindet man so ein Atomkraftwerk zwar noch als befremdlich, aber nicht mehr als bedrohlich. Ab dem ersten Tag hieß der Balkon bei uns nur noch „Atombalkon". Es gab auch noch einen zweiten Balkon.
Früh am nächsten Morgen überquerten wir drei das erste Mal die Grenze zur Schweiz, den Rhein, und fuhren zum PSI. Es war ein fast schon vertrautes Wiedersehen mit den beiden Sekretärinnen. Wir spielten kurz im Spielzimmer, dann wurden wir auch schon in den Vorbereitungsraum geleitet. Vianne ging etwas zögerlich an meiner Hand mit. Als erstes bekam sie eine leere Perlenschnur überreicht. Die Anästhesistin holte ein wunderschönes Holzkästchen hervor, aus dem sie drei Perlen nahm, die Vianne auf ihre Kette auffädeln durfte. Diese Kette sollte Vianne täglich vor Augen halten, wie viel sie bereits geschafft hatte – eine Schweizer Mutperlenkette. Dann schlief Vianne wieder ganz sanft auf meinem Arm ein. Die Narkose wurde über ihren Broviak-Katheter eingeleitet. Dabei fragten die Ärzte sie, was später auf den steril umwickelten Broviak-Schenkel draufgeklebt werden solle: sie waren wirklich gut mit der Schere: mal zauberten sie auf Viannes Wunsch hin aus dem bunten Verbandsmaterial einen "Hello Kitty"- Aufkleber, mal ein Pony. Das Einhorn allerdings brachte sie kurzzeitig an ihre Grenzen. Vianne registrierte kaum, dass derweil Narkosemittel in sie floss. Ich verließ anschließend erstaunlich entspannt den Vorbereitungsraum. Eine gute Stunde sollte die Behandlung dauern. Die Bestrahlung an sich umfasst nur wenige Minuten. Zeitaufwendiger hingegen ist die Anbringung des "Beißblocks" für die millimetergenaue Lagerung. Da Vianne in leichter Seitenlage bestrahlt wurde, hatte sich Dr. G. anstelle der Helmtechnik für die Fixierung mittels Beißblock entschieden, der bereits vor zwei Wochen während der Vorbereitung angefertigt worden war. Dabei wurde - ähnlich wie beim Zahnarzt - ein Abdruck vom Gebiss genommen. Das daraus entstandene Mundstück wurde unter der Narkose eingesetzt und mit Unterdruck festgesaugt. Das Mundstück ist über einen Haltearm befestigt, so dass sich Viannes Kopf bei jeder Behandlung in exakt der gleichen Lage befindet. Zur weiteren Absicherung wird vor jeder Bestrahlung ein Lagerungs-CT durchgeführt. Stimmen die Daten mit den Daten aus der Planungsaufnahme überein, beginnt die vorsichtige Fahrt auf der ferngesteuerten Behandlungsliege hin zum Gantry (Protonenbestrahler).
Angekommen im Gantry, wird die Behandlungsliege an das Bestrahlungsgerät angekoppelt. Dann müssen alle den Raum verlassen und der "Operator" übernimmt von außerhalb. Der Boden unter der angedockten Behandlungsliege wird automatisch abgesenkt. Anschließend fährt die mehrere Tonnen schwere Maschine um Vianne herum, bis die Öffnung, aus der der eigentliche  Protonenstrahl kommt, in der richtigen Position ist. Das alles nimmt den Großteil der Zeit in Anspruch.
Andi und ich überbrückten die Zeit derweil mit einem Latte Macchiato und einem Frühstück im gegenüberliegenden Bistro. Noch vor Ablauf der Zeit kehrten wir ins Spielzimmer zurück. Schließlich holte uns die Anästhesistin in den Aufwachraum. Dort lag unsere Maus in ihrem Bett, wärmende Luft wurde unter ihre Decke gepustet. Vianne schlief sich jedes Mal richtig lange aus. Danach musste ich noch etliche Bücher vorlesen, bis sie sich bereiterklärte, aufzustehen. Andi hielt derweil Ada bei Laune. Das Schöne war, dass wir immer alle in den Aufwachraum durften, einschließlich Ada. Anschließend gingen wir mit den Kindern ins Bistro, wo Vianne tüchtig zulangte. Aufgrund der Narkose musste sie morgens immer nüchtern bleiben. Gegen 13 Uhr waren wir meistens wieder in der Ferienwohnung. Vianne war erstaunlich fit. Die Nachmittage hatten sogar etwas von Urlaub.










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